Österreich zittert vor dem Alpen-Berlusconi

■ Bei den morgigen Wahlen droht ein ÖVP-Absturz und Jörg Haiders Durchbruch

Wien (taz) – So ändern sich die Zeiten. Noch vor einem knappen Monat sah es so aus, als würden die Wahlen zum Nationalrat, dessen Zusammensetzung die Österreicher am morgigen Sonntag neu bestimmen, zu einer drögen Pflichtübung. Zu verbindlich waren die Absichtserklärungen von Sozialdemokraten (SPÖ) und der konservativen Volkspartei (ÖVP), ihre Große Koalition weitere vier Jahre fortzusetzen.

Doch innerhalb weniger Wochen geriet die politische Landschaft ins Rutschen – und das vor laufenden Fernsehkameras. Denn dort hatte man den Einfall, die Spitzenkandidaten der fünf Parlamentsparteien in Duellen antreten zu lassen. Das Ergebnis waren zehn Abendprogramme, die die österreichische Welt erschütterten. Am Ende hatte Franz Vranitzky – der Kanzler, in dessen Strahleglanz sich die ansonsten waidwunde Sozialdemokratie seit seiner Amtsübernahme 1986 gesonnt hatte – einen guten Teil seines staatsmännischen Nimbus verloren.

Noch übler erging es seinem Koalitionspartner, dem traurigen Erhard Busek. Dessen ÖVP hatte schon vor vier Jahren mit gerade 32 Prozent ein miserables Ergebnis eingefahren – doch nun droht der „Volkspartei“, deren Name immer mehr zum Euphemismus tendiert, der Absturz unter die magische 30-Prozent-Marge.

Jüngsten Umfragen zufolge wird die Sozialdemokratie wohl bei weniger als 40 Prozent landen (1990: 43 Prozent), vielleicht gar bei 37 Prozent. Die ÖVP muß bangen, gerade einmal 27 Prozent zu holen und damit nur noch knapp vor der rechtspopulistischen „Freiheitlichen Partei“ (FPÖ) Jörg Haiders zu liegen, der die Demoskopen 21 bis 23 Prozent voraussagen.

Ein schönes Ergebnis winkt auch den „Grünen“, deren etwas biedere, aber gewandte Spitzenkandidatin Madelaine Petrovic im Wahlkampf einen guten Eindruck hinterließ – acht Prozent der Wähler wollen ihr die Stimme geben. Viel Lob und Sympathie erntete auch Heide Schmidt, die Vorfrau des „Liberalen Forums“, das sich vor eineinhalb Jahren von Haiders Radaupartie lossagte. Aus der einstigen Haider-Gefährtin wurde eine gefestigte Linksliberale. Doch Schmidts Truppe muß sich quälen, die Vier-Prozent-Hürde zu überspringen.

Für die besonders gefährdete ÖVP entwerfen Insider zwei gleichsam tödliche Szenarien: Entweder macht die Busek-Partei, ihres Überlebenswillens verlustig, in einer Art Schocklähmung ungerührt weiter – und dann ist nach vier weiteren Jahren „Großer“ Koalition die einst stolze Vertreterin des österreichischen Bürgertums endgültig hinüber. Oder aber der Kitt einer Volkspartei, der bislang Partikularinteressen von Großindustriellen, städtischem Bürgertum, dörflichen Honoratioren und Bauern zusammengehalten hat, verliert seine Bindekraft – und dann könnte es zu einer totalen Neuordnung im bürgerlichen und rechten Spektrum kommen.

Nicht ausgeschlossen wird sogar, daß es dem „bösen Jungen“ Jörg Haider gelingen könnte, die versprengten Reste der Konservativen zu sammeln und so zu einer Art Alpen-Berlusconi zu werden – Forza Austria. Zwar garantiert ÖVP-Chef Erhard Busek alle Tage, es werde „keine Koalition mit der FPÖ unter Jörg Haider geben“; doch was ist, wenn der Vormann nach der Wahl in einer Nacht der langen Messer Kopf und Kragen verliert?

Kein Wunder, daß eine Äußerung des schwer kranken Außenministers Alois Mock für einige Aufregung sorgte: Es sei an der Zeit, „daß die SPÖ in die Opposition geht“. Eingedenk der Mehrheitsverhältnisse kann das nur ein Plädoyer für eine ÖVP-FPÖ-Koalition gewesen sein. „Die einzige Garantie gegen eine solche Konstellation ist, daß man sie rechnerisch unmöglich macht“, sagt Heide Schmidt – daß also die Liberalen ins Parlament kommen und zusammen mit SPÖ und Grünen über die Mehrheit verfügen.

Dann wäre die Fortsetzung einer Großen Koalition aber immer noch am wahrscheinlichsten, da Franz Vranitzky die Zusammenarbeit mit der pflegeleichten ÖVP einem prekären tête-à-tête mit den zwar realpolitisch geläuterten, aber oft quengelnden und manchmal unzuverlässigen Grünen vorziehen würde. Zuletzt erboste den Kanzler, daß die Ökopartei gemeinsam mit Haiders FPÖ gegen den EU-Beitritt Österreichs mobil machte. Doch wenn in der ÖVP das innere Gerangel bis zur Selbstzerfleischung ausartet, würde ein Ampel-Bündnis zumindest auf Tolerierungsbasis eine realistische Option.

Derweil lacht Haider. Den Kanzler brachte er außer Tritt, indem er vor laufender Kamera sozialdemokratische Privilegienritter outete. Große Verwerfungen hatte er für dieses Wahljahr noch gar nicht angestrebt. Eitel warf sich der solariumgebräunte 44jährige, der sich gerne als Tribun der kleinen Leute präsentiert, in Pose: „Kanzler werde ich erst 1998.“ Robert Misik