■ In Peking findet ein internationaler Konfuzius-Kongreß statt – das kommunistische Regime will sich neu legitimieren
: Ideologie des Kaderkapitalismus

Konfuzius, chinesisch K'ung-tzu, gilt als der größte, wiewohl nicht unumstrittene Denker Chinas. Angeblich vor 2.545 Jahren in Qufu in der Provinz Shandong in Nordchina geboren, hat er das geistige, soziale und politische Leben der Chinesen grundlegend geprägt. Seit ihrer Gründung 1920 hat die Kommunistische Partei Chinas den Konfuzianismus als ideologischen Hauptfeind betrachtet und die Befreiung Chinas vom „Feudalismus“ mit der Ausrottung des konfuzianischen Erbes gleichgesetzt.

Der internationale Konfuzius-Kongreß in Peking, der letzte Woche begann, soll nun den großen Chinesen ehren. Rund 400 Wissenschaftler sind aus aller Welt angereist. Bereits vor fünf Jahren, 1989, nur wenige Monate nach dem Massaker auf dem „Platz des Himmlischen Friedens“, wurde der erste Konfuzius- Kongreß abgehalten. Damals kamen dreihundert – trotz des Massakers. Kein Teilnehmer sagte ab. Jiang Tsemin, der Parteivorsitzende persönlich, hieß alle willkommen und redete von den Tugenden des Konfuzianismus. Auch der Vorsitzende der Konfuzius- Gesellschaft auf Taiwan, Ch'en Li-fu, hohes Mitglied der Nationalen Volkspartei unter Chiang Kaishek und im mehr als sechzigjährigen Kampf gegen den Kommunismus ergraut, schickte überraschenderweise ein Grußtelegramm. Wofür steht also die seit Mitte der achtziger Jahre einsetzende Wiedergeburt des Konfuzianismus in China?

Der Marxismus-Leninismus und der Maoismus sind tot, auch wenn das Bildnis Maos noch über dem Eingang zur Verbotenen Stadt hängt. Seit Mitte der achtziger Jahre vollzieht sich statt dessen eine Re-Traditionalisierung des politischen Denkens, die bis tief in die Kommunistische Partei hineinreicht.

Auf den Verlust ihrer bisherigen Herrschaftslegitimation und die Gefährdung durch westlich beeinflußte demokratische Bewegungen reagiert die Kommunistische Partei nun mit einer dreiteiligen Strategie: Zum einen versucht sie, die autoritären Erziehungsideale im Konfuzianismus für ihre politischen und ökonomischen Zwecke nutzbar zu machen: Gehorsam, Verleugnung der individuellen Bedürfnisse und widerspruchslose Unterordnung unter die Autorität des Staates.

Zum zweiten unterdrückt sie gleichzeitig alle Ansätze eines westlichen politischen Liberalismus im Lande. Nachweislich hat die politische Repression in China zugenommen, darin sind sich die meisten Beobachter einig.

Nun entspricht die Regierung in Peking allem anderen, nur nicht den Vorstellungen des Konfuzius von einer guten Regierung. Daher ist es reiner Zynismus, wenn Mitglieder des Politbüros auf dem Kongreß über konfuzianische Tugenden, Moral und charakterliche Bildung schwatzen, während gleichzeitig in den chinesischen Arbeitslagern 10 bis 20 Millionen Menschen unter unbeschreiblichen Bedingungen für den Aufbau Chinas schuften.

Zum dritten verbindet die Partei mit diesem Vorgehen zugleich das nationalistische mit dem antiwestlichen Element. Beides zusammen, Nationalismus und antiwestliche Einstellung, bildet mit dem Pseudo- Konfuzianismus den ideologischen Kitt, mit dem die Partei ihr bröckelndes Herrschaftsgebäude zusammenhalten will. Von nun an soll sich das Reich der Mitte mit Hilfe des Kapitalismus endlich zu jener Größe erheben, zu der ihm sozialistische Methoden eben nicht verholfen haben.

Diese antiwestliche, antiliberale und zugleich auf einen asiatischen Nationalismus hinzielende Tendenz ist es auch, die neuerdings den ehemaligen Ministerpräsidenten von Singapur, Lee Kwan Yew, und selbst konfuzianische Politiker auf Taiwan zu ideologischen Verbündeten der Machthaber in Peking werden lassen.

Die Partei hat den Sozialismus bereits vollständig aufgegeben. Sie verfällt nun, wie schon so oft in der Geschichte, ins genaue Gegenteil: Jetzt betreibt sie den uneingeschränkten Kaderkapitalismus – ohne unabhängige Gewerkschaften und ohne politische Kontrolle der Herrschenden. Und hierfür braucht sie eine neue – oder alte – Herrschaftsideologie: den Konfuzianismus in seiner autoritären Form – es gibt auch andere, liberalere Formen –, deren Ziel stets die vollständige Unterwerfung des Individuums unter die Familie und den zentralen Staat war.

Wie weit der Sinneswandel und der Bruch mit der sozialistischen Vergangenheit innerhalb der Kommunistischen Partei inzwischen wohl gehen, wurde jüngst in Hongkong deutlich: In seinem jährlichen Regierungsbericht verkündete der Gouverneur Patten, von Hause aus Mitglied der britischen Konservativen und mit Sicherheit jeder Neigung zum Sozialismus unverdächtig: Die Regierung von Hongkong werde demnächst eine erhebliche Aufstockung der Renten vornehmen. Darüber entrüsteten sich die Vertreter Pekings in Hongkong und warfen dem Gouverneur doch wortwörtlich vor, er wolle das kapitalistische System in Hongkong abschaffen und damit die Zukunft der Stadt untergraben.

Für ein solches Verhalten gibt es sogar ein Sprichwort im Chinesischen: pai-an jing-qi, was soviel heißt wie: „Geschichten, bei deren Lesen der Leser unwillkürlich mit der Hand auf die Tischplatte haut und sich wundert“.

Wie konkret auch chinesische Firmen den Konfuzianismus zu nutzen verstehen, zeigt sich am Beispiel des Vizekanzlers einer Hongkonger Universität, Kung Shaindow. Kung ist Nachkomme des legendären Konfuzius in der 72. Generation. Aus Publicity- Gründen wird er demnächst Vizedirektor der Shantung International Power Development, die in der Heimatprovinz von Konfuzius liegt. Sein Name und seine Abstammung, so hofft die Firma, soll bei der anstehenden Ausgabe der Firmenaktien mehr Investoren anlocken. Peter Seladonis, Hongkong