Eine neue Generation für Versöhnung

Morgen beginnen die Verhandlungen zwischen der Regierung in Colombo und der tamilischen LTTE / Ein Wettrennen zwischen Kriegsalltag und Friedenssignalen in Sri Lanka  ■ Von Bernard Imhasly

Delhi (taz) – Seit knapp acht Jahren ist der Archipel im Norden Sri Lankas, die Heimat der tamilischen Minderheit, wirtschaftlich abgeriegelt. Krieg und Blockade haben die früher blühende Wirtschaft um die Stadt Jaffna ruiniert. Der Warenboykott hat das militärische Rückgrat der allesbeherrschenden Liberation Tigers of Tamil Eelam LTTE nicht brechen können – ihr Nachschub wird durch Schmuggelware aus Indien sichergestellt. Der Zivilbevölkerung aber hat sie eine „Fahrradökonomie“ beschert: Benzin ist nicht erhältlich, und Kerosin wird zum Kochen und fürs Licht gebraucht, mit Preisen bis zu fünf Dollar – pro Coca-Cola-Flasche.

Zwar kommen die wichtigsten Medikamente mit Transporten des Internationalen Roten Kreuzes IKRK nach Jaffna, doch weil sie so knapp sind, kommen in diesem Krieg viele Menschen um, die sonst gerettet werden könnten. Letztes Jahr starben allein im lokalen Spital über 1.100 Verletzte. Die ehemals eine Million zählende Bevölkerung um die Lagune von Jaffna ist um mehr als ein Drittel geschrumpft – viele der Auswanderer landeten schließlich als Asylsuchende in Westeuropa.

Als Premierministerin Chandrika Kumaratunga nur zwei Wochen nach ihrer Amtsübernahme die Aufhebung der Blockade verfügte, war die politische Tragweite unübersehbar. Sie wurde von der LTTE sofort aufgegriffen: Schon zwei Tage später antwortete die radikale Tamilenorganisation mit der Freilassung von zehn gefangenen Polizisten. Und in einem Schreiben ihres Chefs, V. Prabhakaran, erklärte sie sich zu Verhandlungen bereit.

Die Premierministerin ließ auch die innenpolitische Front nicht aus den Augen. Nur einen Tag nach der Embargoaufhebung lud sie die Militärs zu einer Aussprache nach Colombo. Gleichzeitig sandte sie Vizeverteidigungsminister Ratwatte an die Front. Seine Aufgabe: die Befürchtungen der Soldaten zu zerstreuen, daß mit Verhandlungen lediglich teuer erkämpfte militärische Gewinne aufgegeben würden, ohne Gewähr eines endgültigen Friedens.

Der Einbezug der Streitkräfte ist von großer Bedeutung. Sie waren es, die in der Vergangenheit den Preis für fruchtlose Verhandlungen bezahlt hatten.

Die Falken beider Seiten überlisten

Vorläufig geht der Bürgerkrieg sowohl für Regierungssoldaten als auch für die Tamil-Tiger weiter. Aber die Regierung hofft, daß der Friedensprozeß eine Eigendynamik erhält, bevor er durch Falken auf beiden Seiten wieder torpediert wird. Daher beginnen morgen erste Gespräche, obwohl Frau Kumaratunga nach eigenen Aussagen für eigentliche Verhandlungen noch kein klares Mandat hat. Sie wird versuchen, dieses noch in diesem Jahr in der Präsidentenwahl am 10. November einzuholen.

Der ethnische Konflikt wird das beherrschende Thema des Wahlkampfs sein. Die Regierung glaubt, daß eine große Mehrheit der Sinhalesen und der Tamilen heute für eine friedliche Lösung im Sinn einer Föderalisierung des Staatswesens eintreten. Insofern hat der blutige Konflikt ein Zusammenrücken der Einstellungen bewirkt.

1983 wollte noch eine große Mehrheit der Tamilen die volle Unabhängigkeit, während die meisten Sinhalesen selbst die Gewährung von größerer Autonomie ablehnten.

Das gegenseitige Mißtrauen nährt sich insbesondere an der Auseinandersetzung um die Verschmelzung der Ost- und Nordprovinz in eine von Tamilen beherrschte Großprovinz mit großer regionaler Autonomie. Selbst die gemäßigten tamilischen Parteien fordern eine Vereinigung, während die Mehrheit der Sinhalesen sie ablehnt und die Muslime ihr mißtrauisch gegenüberstehen. Die Tamilen stellen nur in der Nordprovinz eine absolute Mehrheit dar, die Ostprovinz dagegen ist zu je einem Drittel von Sinhalesen, Tamilen und Muslimen bewohnt. Eine Vereinigung gäbe ihnen eine Mehrheit in einem Gebiet, das mit den großen Städten Batticaloa, Trincomalee und Jaffna auch wirtschaftlich ein Gegengewicht zur Metropole Colombo darstellen würde.

Die Regierung braucht tatsächlich ein klares Mandat des Volkes, um so weitreichende territoriale und politische Korrekturen vorzunehmen. Die regierende Volksallianz hat statt Frau Bandaraneike die Premierministerin als Kandidatin aufgestellt.

Auch auf der Seite der Opposition ist es zu einer Verjüngung gekommen. Präsident Wijetunga wird sich nicht zur Wahl stellen und hat der UNP ihren neuen Parteichef Gamini Dissanayake als Kandidat vorgeschlagen. Dissanayake gehört der gleichen Generation an wie Kumaratunga, und er denkt auch in der ethnischen Frage ähnlich wie sie. Man kann daher annehmen, daß die Politik der Versöhnung mit den Tamilen auf jeden Fall fortgeführt würde, wer immer die Präsidentenwahl gewinnt. Die Voraussetzungen für ein Ende des Bürgerkriegs sind von seiten Colombos damit geebnet. Viel wird nun vom Verhalten der LTTE und damit von ihrem unbestrittenen „Supremo“, Vellupallai Prabhakaran, abhängen.