„Eine Linke, die sich mit Kohl abfindet, die kotzt mich an“

Der Mann hat eine Wut. Auf die Linke und „dieses Gejammere“, daß „Macht schmutzig mache“. Joschka Fischer will in die Bundesregierung mit SPD-Chef Scharping: „Ich habe keine Angst.“ Das sei eine historische Aufgabe: „Autoritäre Strukturen drohen.“ Das ehemalige Mitglied des „Revolutionären Kampfes“ hält es für seine verdammte Pflicht, die „Machtfrage zu stellen“, und verspricht: Ein Fischer in der Regierung ist „ein Ärgernis“.  ■ Ein Gespräch mit Arno Luik

taz: Herr Fischer, über Herrn Kohl haben Sie vor zehn Jahren gesagt, er sei ein „Gesamtkunstwerk, das langsam in barocker Opulenz versinkt“. Und jetzt sind Sie selbst recht gut beieinander.

Joschka Fischer: Ja? Aha.

Soll ich Sie in Ruhe lassen?

Ja, das wäre gut.

Ich wollte über das reden, wer Sie waren, wie Sie wurden, was Sie sind.

Aber ich nicht. Seien Sie mir nicht böse, aber ich kann es gegenwärtig nicht mehr hören. Ich lese jeden Tag, wer ich bin, wer ich war, wer ich sein werde und warum. Ich lese täglich neue Dinge über die politische Bedeutung des Körpergewichts und ähnlich substantielle Sachen mehr. Mir läuft das zu den Haarspitzen raus; vielleicht sind solche Fragen ein halbes Jahr nach der Wahl wieder möglich. Ich kann das jetzt einfach nicht mehr ab.

Sie sind zu sehr den Medien ausgesetzt?

Ja, es reicht. Zur Sache also. Ich bitte darum.

Der spanische Schriftsteller Jorge Semprún klagt über eine beklemmende Ausweglosigkeit: Einerseits seien die Gesellschaften „unüberwindlich“, andererseits aber „unerträglich“. Dennoch müsse man das Unmögliche versuchen: sie „überwinden“.

Es ist dies eine uralte Frage der Politik: Wieviel kann sie bewirken? Wir haben einen epochalen Bruch erlebt. Wie ist er gekommen? Hat ihn jemand herbeigeführt? Hat er es bewußt getan? Ganz gezielt? Ganz geplant? Überschätzen wir uns nicht, wenn wir glauben, wir könnten die historischen Kräfte gezielt einsetzen? Wenn wir Glück haben, können wir uns ihrer bedienen, wie ein Wellenreiter eine Welle nimmt. Aber man kann sie nur unter dem Einsatz unglaublicher Gewalt und Brutalität brechen und das nur für eine eng begrenzte Zeit unter spezifisch historischen Bedingungen. Doch die Vorstellung, daß am Ende aller Mühe eine Gesellschaft stünde, die dem vorgegebenen Ideal entspräche, für das man angetreten ist, ist ein Irrtum. So sehr viel kann Politik wohl gar nicht bewirken.

So sah das schon Goethe vor 200 Jahren: „Wie von unsichtbaren Geistern gepeitscht, gehen die Sonnenpferde der Zeit mit unseres Schicksals leichtem Wagen durch, und uns bleibt nichts, als mutig gefaßt die Zügel festzuhalten und bald rechts, bald links, vom Steine hier, vom Sturze da bedroht, die Räder wegzulenken.“

Frankfurt hat eben kluge Leute hervorgebracht. Aber diese Zügel können Sie nicht halten ohne ein paar prägende Grundüberzeugungen. Und wenn dieser „Wagen des Schicksals“ auf den Abgrund zurollt, dann erst zeigt sich, wie demokratisch eine Gesellschaft tatsächlich ist. Und da glaube ich, daß 68 – auch in seinen Irrtümern – zum Gelingen der zweiten deutschen Nationalstaatsbildung mehr beiträgt, als viele heute glauben. Das war eine innere demokratische Selbstaneignung...

... die bei der Revolution von 1848 nicht geklappt hat?

In einer besonderen Art wurde 1848 in Westdeutschland 1945 und 1968 nachgeholt. 1968 war ein kultureller und politischer Umbruch, der Deutschland völlig verändert hat. Doch der Freiheitsvorrat, um Christian Graf von Krockow zu zitieren, ist in diesem Land immer noch geringer als in anderen Ländern.

Sie haben Angst vor den Deutschen?

Überhaupt nicht. Aber die Mittellage dieses Landes, sein Gewicht, seine Stärke sind Belastung und Verführung zugleich: Für die Nachbarn ist Deutschland eine latente Bedrohung und für Deutsche eine Versuchung zur Hegemonie. Und wenn man da raus will, kann man das nur durch eine Einbindung des Landes in Europa.

Und so wird aus dem einstigen „Nato-raus-Kämpfer“ ein Nato- Sympathisant.

Passen Sie auf Ihre Wortwahl auf! Bei diesem Thema ist nicht zu spaßen. Ich war nie ein Nato-raus- Kämpfer. Solange es deutsches Militär gibt, will ich es integriert sehen. Ich will keinen deutschen Oberbefehl, keinen deutschen Alleingang, sondern...

... die Westbindung?

Ja, Europa eignet sich nicht als Aggressor, das verhindert seine innere Interessensgebrochenheit. Aber wenn Kohl Kanzler bleibt oder gar Schäuble ihm nachfolgt, wird die Bundeswehr global interventionsfähig gemacht, und dann heißt es erneut „Weltmacht Deutschland“. Ich halte die Bonner Politik: Habe Armee, suche Auftrag, für völlig falsch. Vom Nationalismus geht in diesem Land die Hauptgefahr aus, das darf die deutsche Linke niemals vergessen. Schäuble ist für mich derjenige in der Union, der diesen deutschnationalen Tiger zu reiten versucht. Vielleicht ist es ja zuviel von der Altlinken verlangt zu begreifen, worum es in diesem Land in den kommenden vier Jahren geht und weshalb wir eine Reformmehrheit brauchen.

Weil sonst – wenn Sie nicht an der Macht sind – die große Katastrophe droht?

Nein, aber eine anhaltende weitere Rechtsentwicklung. Dieses Land ist seit der Einheit kontinuierlich nach rechts gerutscht. Die Reps haben ja durchaus eine nachhaltige Wirkung gehabt: Sie haben die Volksparteien – Asylbedrohung statt Asyl! – wirkungsvoll nach rechts gedrückt. Ökologischer Umbau, multikulturelle Gesellschaft, Bewahrung der inneren Freiheit, Absage an jede deutsche Weltmacht-Illusion – das sind die Dinge, um die es jetzt gehen muß.

„Wir müssen die Utopien zerstören“, haben Sie vor ein paar Jahren gesagt, „alle Utopien machen totalitär“.

Man kommt doch nicht darum herum: Alle großen Sozial- und Technik-Utopien haben nach der ersten Hälfte des Jahrhunderts endgültig ihre Unschuld verloren, linke und rechte. Sie alle münden in der Vorstellung: Wir schaffen eine neue Welt ohne Gewalt und Klassenschranken, und um dieses große Glücksversprechen zu realisieren, sind wir legitimiert, das große Unglück zu produzieren.

Dieses Unglück, prognostiziert der „Club of Rome“, produziert auch die von Ihnen verteidigte kapitalistische Gesellschaftsform.

Der Kapitalismus bedarf nicht meiner Verteidigung. Aber gerade der Kapitalismus verfügt noch über starke utopische Elemente. Schauen Sie sich die aktuelle Debatte um die Gentechnik an: Da finden Sie bei den kritiklosen Befürwortern die klassischen technisch-utopischen Glücksversprechungen. Ich könnte Ihnen, sozialistisch gewendet, einen Aufsatz über Techno-Utopien schreiben, affirmativ ganz im Sinne von Ernst Blochs „Prinzip Hoffnung“. Bei Bloch finden Sie ja wunderbare Stellen, wo er von der Atomkraft als der „Energieform des Kommunismus“ schwärmt. Nein, ich habe kein Idealbild mehr von einer Gesellschaft, weil das gefährlich wäre, wenn man es ernst meint; überflüssig, wenn es ein bloßes Bekenntnis ist. Ich habe konkrete politische Ziele und moralische Ideale.

Ihr ehemaliger Mitstreiter Thomas Ebermann sieht das so: „Joschka Fischer hat die Ideale der Mächtigen übernommen.“

Ach, der Thomas. Ich habe nicht die Ideale der Mächtigen übernommen. Ich habe was anders gemacht, und das unterscheidet mich radikal von Ebermann. Ich bin vor der praktischen Herausforderung der Macht nicht ins Wirtshaus „Zum ewigen Radikalismus“ geflüchtet. Er hat über die Gefährlichkeit der Atomenergie immer nur bramarbasiert, er hat nie versucht, eine Politik zu machen, um das Risiko zu minimieren oder gar ganz zu beseitigen.

Acht Jahre nach Ihrem ersten Amtsantritt als hessischer Umweltminister brummen in Hessen noch immer die Atomreaktoren.

Ich glaube, bei Ihnen brummt was ganz anderes. Wenn es allein nach mir gegangen wäre, wäre Biblis A wegen erheblicher Sicherheitsdefizite schon längst vom Netz. Ich wurde durch eine Bundesweisung an der Stillegung gehindert. Aber das größte Atomrisiko gibt es nicht mehr: Die alte Plutoniumfabrik in Hanau, die jährlich mit einer halben Tonne Plutonium- Oxyd umging, ist stillgelegt.

Ihrem Einsatz zum Trotz: Eine neue Plutoniumfabrik wird gebaut.

Sie wird gebaut, weil das Bundesverwaltungsgericht gegen die Kläger entschieden hat. Und wenn wir in Bonn eine Mehrheit für Rot- Grün haben, wird das Kapitel Plutonium endgültig geschlossen.

Das sagen Sie jetzt so. Aber dann heißt es wieder: Zwänge, Kompromisse...

Nein, Sie können sich darauf verlassen. Und wenn ich mir anschaue, was wir in Hessen in der Atompolitik erreicht haben – mehr als unsere Fundis seeligen Angedenkens zu träumen gewagt haben. Bei Störfallanlagen in der Chemie und anderswo haben wir eine Sicherheitserhöhung durchgesetzt, die es bundesweit so nicht gibt. Grundwasserabgabe, Sonderfallabgabe, Förderung der alternativen Energien...

Andere schätzen Ihre Arbeit kritischer ein. Jutta Ditfurth meint, Sie haben so gut „wie gar nichts erreicht“. Sie seien vor allem in einem hervorragend: „in der Propaganda“.

Gott ja, Jutta werde ich es nie recht machen können. Mit diesem schweren Los muß ich wohl leben. Aber ich mache das nicht für Jutta von Ditfurth. Sie soll sagen, was sie will. Leute wie Ditfurth und Ebermann belassen es bei radikalen Sprüchen und ziehen sich vornehm zurück und sagen: Nicht ich täusche mich, die Realität täuscht sich. So eine Haltung können wir uns nicht erlauben, und...

... deshalb brauchen wir Joschka Fischer, den Retter?

Na bitte. Jetzt haben Sie es verstanden. Wenn diese Wirtschaftsordnung so bleibt, wie sie ist, kommt die Welt von ihrem Destruktionstrip nicht runter. Wenn es so weitergeht, daß 20 Prozent der Menschheit 80 Prozent der Ressourcen verbrauchen, wird es zu Verteilungskämpfen kommen, die sich gewaschen haben. Wir werden autoritäre Systeme kriegen, in denen ich nicht mehr leben möchte. Das sind die entscheidenden Fragen. Nicht dieser geschmäcklerische Links-rechts- Hickhack. Mir fällt es schwer vorzustellen, wie diese Erde organisiert sein wird mit acht Milliarden Menschen. Deshalb kämpfe ich so heftig für eine ökologische Abrüstung, wir müssen runter mit dem Energieverbrauch. Wir müssen...

Sie sind mal in Hessen angetreten, die Startbahn West am Frankfurter Flughafen zu verhindern. Das Ergebnis: „schrittweise Einführung des Nachtflugverbots“. Und nicht mal daraus ist was geworden – es gibt unzählige Ausnahmen. Der damalige Ministerpräsident Börner hat das später süffisant kommentiert: „Wir haben die Grünen zu einer Anhörung runterverhandelt, und das hat zum Ausbau geführt.“

Wir haben viele entscheidende Punkte durchgesetzt. Aber wer die hessische Politik nicht kennt, der tut sich schon schwer bei der Frage: Die erste rot-grüne Koalition ist an der Plutoniumfrage gescheitert. Dann folgten vier Jahre CDU und anschließend die zweite rot-grüne Koalition, die ohne Börner eine völlig andere Reformpolitik betreibt. So ist das in der Politik. Es gibt Niederlagen, es gibt Siege. Oft denkt man, es geht kaum weiter, bloße Millimeterarbeit. Und dann schaut man zurück und sieht plötzlich, was für eine große Wegstrecke man bereits erfolgreich zurückgelegt hat.

Vielleicht merkt man gar nicht, wie sehr man sich auf dieser Wegstrecke verändert hat: „Man erreicht dies und jenes“, meint Tucholsky. „Man bildet sich ein, noch mehr zu verhüten. Und man kommt mit den Herren Gegnern ganz gut aus, und eines Tages sind es eigentlich gar keine mehr.“

Tja, Tucholsky. Er zitiert sich angenehm bei radikaler Tatenlosigkeit. Aber damit kann ich leben: Gut, dann bin ich halt auf der anderen Seite. Abgehakt, lassen wir das. Es geht um den ökologischen Umbau dieses Landes und nicht um den „ewigen Sozialismus“.

Aha.

Jawohl, Euer Ehren: Es geht um den ökologischen Umbau der Industriegesellschaft und nicht mehr um die proletarische Revolution. Dazu muß Kohl weg. Wenn das nicht passiert, vergeigt das Land für weitere vier Jahre seine Chancen. Wir werden weiter abwärts rutschen, und zwar in eine Richtung, die fatal ist. Wir haben eine Rechtsverschiebung, die unerträglich ist, die schlimme Folgen hat. Und eine Linke, die die Machtfrage ängstlich umgeht, Opposition bleiben will um fast jeden Preis, die ist nur noch jammervoll. Die kotzt mich an.

Die Linke, meinen Sie, findet sich mit den Verhältnissen ab?

Ja, das tut sie. Und ihr linksradikales Gequatsche geht mir so auf den Senkel. Jetzt lassen Sie sich von mir, der bis vor ein paar Tagen noch Minister war, mal was sagen: Für die Firma Siemens oder die Firma RWE ist ein Joschka Fischer, sind die Grünen in der Opposition ein Minimum an Ärgernis. Aber in der Regierungsverantwortung ist das völlig anders. Gerade deshalb hält der BDI uns gegenüber der PDS auch für das größere Risiko, und das sagt fast alles.

Kann es sein, daß Sie sich überschätzen?

Nein! Es regt mich immer noch wahnsinnig auf, daß die Linke in diesem Land von einer elenden Oppositionssüchtigkeit befallen ist. Und das heißt, daß sie die Vorherrschaft der Konservativen auf Dauer akzeptiert. Gewiß, inhaltliche Opposition ist das A und O jeder Reformpolitik, klar. Man muß den Status quo in Frage stellen – das hat mich immer interessiert, und deshalb tauge ich auch nicht zum konservativen Politiker. Aber nur Opposition ohne Mehrheits- und Machtperspektive heißt schlichte Kapitulation vor der Wirklichkeit. Ach je, ich hasse dieses Gejammere, diese Angst: Die Machtfrage ist zu brenzlig, sie könnte uns schmutzig machen, und überhaupt ist das alles zu anstrengend und zu kompliziert... Das macht mich rasend. Und diese Oppositionssehnsüchtigkeit steckt auch zum Teil in der Sozialdemokratie – auch das macht mich rasend. Reformpolitik, verdammt noch mal, ist kein Teufelszeug!

Die Grünen in Rheinland-Pfalz haben ihre Erfahrungen mit dem SPD-Kandidaten Rudolf Scharping. In einem Memorandum stellen sie fest: Scharping hat keine Nähe zu ökologischen Themen. Und die ehemalige Fraktionschefin Gisela Bill ist „froh, wenn der konservative Scharping endlich nach Bonn geht“. Denn: „Mit dem ist nichts anzufangen.“

Die Alternative heißt Kohl oder Scharping. Tertium non datur.

Will sagen?

Ich habe keine Angst, mich auf Scharping und die SPD einzulassen. Wir werden ein gutes Verhandlungsergebnis hinbekommen. Unsere Vorstellungen sind klar und eindeutig. Sollte es am 16. Oktober eine rot-grüne Mehrheit geben, dann werden wir den Reformzug in die richtige Richtung bewegen. Je stärker die Grünen sind, desto mehr Kraft haben wir, soziale und ökologische Reformpolitik durchzusetzen. Und dazu gehört zum Beispiel ein Einwanderungsgesetz, die doppelte Staatsangehörigkeit, Änderung des Staatsbürgerrechts hin bis zu ius solis...

... wer in Deutschland geboren ist, ist deutsch.

Ja, das alles sind Grundpositionen unserer multikulturellen Politik.

Also Knackpunkte in einer Koalitionsverhandlung?

Ich führe keine Koalitionsgespräche über die taz.

Das demontierte Asylrecht, wäre das für Sie...

Das heutige Asylrecht ist ein Monstrum. Es wurde von den Konservativen mit Hilfe der SPD zu einem Asylabschreckungsrecht. Es war eine der schwersten Niederlagen der demokratischen Linken in den vergangenen vier Jahren. Aber ich führe jetzt keine Koalitionsverhandlung.

Man möchte doch gerne wissen, woran man mit den Grünen ist – etwa dem Ausstieg aus der Atompolitik innerhalb von zwei Jahren, wie es Ihre Partei beschlossen hat.

Mich interessiert allein die Frage: Ist dieser Parteitagsbeschluß praktisch umsetzbar – ja oder nein? Und ich halte es nicht für glaubwürdig zu sagen, wir können in zwei Jahren aus der Atompolitik aussteigen. Aber das ist meine persönliche Ansicht. Wer es in zwei Jahren schafft, derjenige sollte es tun. Und ich würde ihn bewundern und unterstützen. Ich kann das nicht. Aber klar ist: Wir wollen so schnell wie möglich und mit aller Kraft raus.

So sagt das die SPD auch – und die hat vor acht Jahren mal beschlossen: Ausstieg bis 1996.

Sie können davon ausgehen: Mit uns kriegt die SPD nicht die Katze im Sack. Es kommt die Energiewende: Atomausstieg, der Durchbruch bei erneuerbaren Energieträgern, die Einführung der Ökosteuern und die Verkehrswende: Sommersmogverordnung, Tempolimit. Auch der Transrapid wird abgehängt. Diese zwölf Milliarden Mark werden nicht im märkischen Sand versinken.

Beim Transrapid hat Ihnen gerade die SPD Hessen gezeigt, wo der Bartel den Most holt: In einem kühl durchgezogenen Koalitionsbruch hat sie für den Transrapid gestimmt, und Sie haben das ganz brav geschluckt.

Beim Transrapid haben wir nicht bei der Sache nachgegeben, sondern weil wir in Hessen eine insgesamt erfolgreiche Koalition vier Monate vor der Landtagswahl nicht scheitern lassen wollten. Aber diese Erfahrung wird Konsequenzen haben.

Die Verhandlungen mit der SPD werden härter?

Das wird Konsequenzen haben.

Hier spricht der Staatsmann.

Jede Zeit hat ihre Formulierung.

Und noch etwas beunruhigt Ihre Klientel: Wer womöglich mit der FDP koalieren will, dem kann es mit den ökologischen und sozialen Reformen doch nicht sehr ernst sein. Der will einfach mal dabeisein beim Machtpoker in Bonn.

Mein Lieber, ich sage Ihnen jetzt mal was: Sie scheinen bereits Tagträume vom Machtpoker zu haben, nicht ich. Koalieren Sie mit Lambsdorff oder mit Lenin, unterstellen Sie mir weder das eine noch das andere. Ich bin nicht scharf drauf, Minister zu werden. Ich brauche das Bonner Ministeramt nicht, um mein Ego zu kitzeln. Und ich gehe nicht in eine Regierung, die die jetzige Politik mit ein paar grünen Tupfern versieht. Ich kämpfe um Rot-Grün, für eine andere Politik und nicht bloß für andere Köpfe. Meine Phantasie reicht nicht aus, um mit Kinkel, Lambsdorff und Möllemann eine Ampel hinzukriegen.

Im Klartext: Es gibt keine Ampel?

Es wird mit uns keine Fortsetzung der Pro-Atom-Politik geben, keine Politik des Sozialabbaus, kein Verzicht auf die Umweltsteuerreform. Eine solche Koalition hielte ich für uns für selbstmörderisch.

Vielleicht kommt ja alles ganz anders: Sie müssen draußen bleiben, und die PDS ist die einzige Oppositionspartei.

Das wäre eine historische Katastrophe. Das Experiment von 68 wäre dann kaputt. Helmut Schmidt hätte dann doch noch gesiegt. Unsere Partei würde das nicht aushalten. Es wäre auch der größte Treppenwitz der Geschichte, wenn Kohl dranbleibt wegen Gysi. Die PDS als pazifistisches Resozialisierungsprojekt von NVA, Volkspolizei und Berufsmilitärs, eine Partei, die keinen einzigen neuen Gedanken hat. Eigentlich ist es was fürs Kabarett, daß Voll-Autonome bei dieser Partei landen, die...

... aber spaßguerillahaft eines ermöglicht: Mit ihr kann man die in Bonn mächtig ärgern.

Eine Linke, die so denkt, tut mir bloß noch leid. Diese Linke will Kohl ärgern! Hübsch. Zwölf Jahre hat die Linke Kohl geärgert, und der war mächtig beeindruckt. Wie wäre es damit, ihn mal ablösen zu wollen? Daß die antistalinistische westdeutsche Linke auf die PDS reinfällt – mich wundert nichts mehr.

Vielleicht sind am großen Politfrust auch die Grünen mitschuld?

Klar, klar. Die Grünen sind an allem mitschuld, selbst am Untergang der Sowjetunion und des glänzenden Sozialismus. Deshalb müssen Sie uns wählen.

Vielleicht haben die Grünen auf ihrem Marsch zur Regierungsfähigkeit zu viele Ideale und Positionen aufgegeben.

Nein.

Undenkbar wäre es noch vor ein paar Jahren gewesen, daß die Grünen nach Washington reisen, um sich im Weißen Haus die Regierungstauglichkeit bestätigen zu lassen – wie Sie es vor ein paar Wochen getan haben. Gaby Gottwald, die für die Grünen 1983 im Bundestag saß, ist „vor Scham rot geworden“. „Nur noch peinlich“ sei diese Buhlerei um Akzeptanz und schlimm zu erleben, „wie stolz die Grünen waren, von zweitrangigen Mitgliedern der Clinton-Administration empfangen zu werden“.

Ich bin zutiefst erschüttert. Früher war das wirklich anders: Besonders gern erinnere ich mich an Ditfurths Auftritt...

Die mögen Sie wirklich nicht...

... und an ihre Reden beim „Treffen von Parteien und Bewegungen zum 70. Jahrestag der Oktoberrevolution“ in Moskau 1987. Ei, war das revolutionär!

Angenommen, Sie würden Außenminister...

Jetzt fängt der schon wieder an – vergessen Sie's!

... würden Sie dann die Staatsempfänge mit dem Aufmarsch des Wachbataillons abschaffen? Das seien, meint der ehemalige Stern - Chefredakteur Rolf Winter, Imponiergesten eines autoritäten Staates: Da wird der Schellenbaum herumgetragen, „ein schepperndes Penissymbol, und so albern, daß...

Ich bin jetzt echt an meiner Kompetenzgrenze angelangt. Und damit ist exakt bewiesen, was zu beweisen war: Ich tauge nicht zum Minister, denn – Schande! – ich weiß gar nicht, ob der Außenminister dieses martialische Zeremoniell überhaupt abschaffen kann. Aber das verspreche ich: Wenn es soweit ist, will ich mein Bestes versuchen. Und von wegen der Penissymbole: Bei uns ist alles streng quotiert!