Ökosteuer: Konzept mit Tücken

Die Idee eines ökologischen Steuersystems findet immer mehr Zuspruch, doch ein grüner Wirtschaftsboom ist damit noch lange nicht in Sicht  ■ Von Erwin Single

Bonn (taz) – Ernst Ulrich von Weizsäcker ist kein Mann der starken Worte. Ob Mahnungen an die Politiker oder düstere Prophezeihungen ans Volk – seine Botschaften verbreitet der Biologe gerne im dezenten Code des Bildungsbürgertums. Die reichen Länder, lateinert er Regierenden wie Industriellen seit langem vor, könnten dem Fortschritt eine ökologisch attraktive Richtung geben. Sein Plan: Der Energieverbrauch soll bestraft, die Arbeit im Gegenzug verbilligt werden. Dazu müßten man nur, so der Chef des Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt und Energie, alle nicht erneuerbaren Energieträger über Jahrzehnte hinweg um real fünf Prozent jährlich verteuern und die Lohnnebenkosten im gleichen Maße senken.

Weizsäckers Appelle zeigen inzwischen Wirkung. Keine noch so dünne Wahlkampfbroschüre, in der nicht die grünen Umweltvisionen in irgendeiner Form Eingang fänden. Schattenfinanzminister Oskar Lafontaine hat für den Fall eines SPD-Wahlsiegs eine ökologische Steuerreform angekündigt, die Bündnisgrünen verlangen eine drastische Mineralölsteuererhöhung und die Einführung einer Primärenergiesteuer, und auch Teile der Koalition sind solchen Plänen längst nicht mehr abgeneigt. So möchte Umweltminister Klaus Töpfer, wenn ihn sein Kanzler nur ließe, über seine „Töpfer-Treppe“ Benzin und Diesel stufenweise weiter steuerlich belasten.

Kein Hirngespinst von Umweltphantasten

Längst ist die Umweltpolitik in eine Sackgasse geraten, weil sie mit Grenzwerten und einem Wust von Umweltvorschiften lediglich an den Symptomen herumdoktort. Derweil blasen Industrieanlagen, Fahrzeuge und Haushalte jährlich rund eine Milliarde Tonnen Schadstoffe durch das Verbrennen der fossilen Energieträger Öl, Kohle und Erdgas in die Luft. Die Folgen sind allseits bekannt: eine angegriffene Ozonschicht, wachsende Treibhauseffekte, drohende Klimakatastrophe, saurer Regen, Waldsterben. Daß die Ökosteuer kein Hirngespinst alternativer Umweltphantasten ist, hat im Frühjahr das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) wissenschaftlich untermauert. Die Forscher plädierten in ihrem im Auftrag von Greenpeace verfaßten Gutachten dafür, die Energieträger, je nach ihrem Brennwert, um jährlich sieben Prozent zu verteuern. Der Effekt: Der Energieverbrauch und Ausstoß von Kohlendioxid (CO2) soll bis zum Jahr 2005 um ein Fünftel sinken. Zudem würde das Umbauprogramm für 610.000 neue Arbeitsplätze sorgen und den notwendigen Strukturwandel verstärken. Allerdings müsse das Steueraufkommen, so die Experten, Industrie und Haushalten als Öko-Bonus voll zurückgegeben werden – im Jahr 2005 immerhin rund 120 Milliarden Mark. Grundsätzlich stimme man der Einführung von Lenkungsabgaben zu, um die natürlichen Ressourcen marktkonform ins Preissystem einzubeziehen, ist seit dem Weltgipfel in Rio von Regierung und Wirtschaft immer öfters zu hören. Doch sobald die hehren Grundsätze in die Tat umgesetzt werden sollen, stoßen sie noch immer auf erbitterten Widerstand. Seit der Vorlage der DIW-Studie vergeht kein Tag, an dem nicht ein Wirtschaftsführer oder Verbandsvertreter mitteilt, warum man diesen oder jenen Vorschlag nicht gutheißen könne. Das Ganze sei nicht umsetzbar und ohnehin nur als Kassenfüller für den Fiskus geplant; zudem verzerre die Ökosteuer den Wettbewerb und müsse europaweit eingeführt werden.

In dieses Horn blasen auch andere Wissenschaftler. Beim Rheinisch-Westfälischen Institut für Wirtschaftsforschung (RWI) etwa wird die Lenkungseffizienz des „Breitband-Antibiotikums mit unbekannten Nebenwirkungen“ (RWI-Chef Paul Klemmer) als äußerst gering veranschlagt. Außerdem müßten energieintensive Branchen wie die Stahl- und Zementindustie, der Kohlebergbau, die Grundstoffchemie oder die Mineralölwirtschaft mit massiven Kosten- und Wettbewerbsnachteilen rechnen. Für die Chemieindustrie beliefen sich die Mehrkosten für Strom gegenüber der EU-Konkurrenz auf jährlich 2,4 Milliarden Mark, die heimische Papierindustrie sieht sich Kostennachteilen von rund einer halben Milliarde ausgesetzt. Dennoch hat die Ökosteuer auch in Unternehmenskreisen längst ihren Schrecken verloren. Hauptgegner bleiben zwar weiterhin die Chemiekonzerne, allen voran BASF. Der Chemieplatz Germany werde durch eine Energiesteuer „erdrosselt“, fürchtet deren Chef Jürgen Strube. Doch die Spitzenmanager von Daimler- Benz, BMW, Siemens oder IBM halten eine Energiesteuer inzwischen durchaus für eine sinnvolle Maßnahme. Aber der Teufel steckt bekanntlich im Detail. Wer die Energiesteuer tragen muß, was mit den Einnahmen gemacht werden soll, wie die ökonomischen und gesamtgesellschaftlichen Folgen der einzelnen Varianten aussehen, darüber herrscht selbst unter Ökologen und Ökonomen Unklarheit. Welche Steuern in welchen Schritten wie hoch angehoben werden, vermag niemend zu sagen, erst recht nicht, welche Konsequenzen sich fiskal, wirtschaftlich und sozial daraus ergeben. Nur soviel ist sicher: Wird die Steuer nur moderat angesetzt, um die Wirtschaft nicht zu verprellen und die Reform politisch leichter durchsetzbar zu machen, bliebe das Projekt ökologisch wirkungslos. Wird dagegen geklotzt, dürfte drohend ins Ausland schielende Industrie zwar unter dem Anpassungsschock nicht gleich abwandern, aber wohl andere Investitionen zurückstellen. Daß es den meisten Politikern ohnehin weniger um ökologische Belange als vielmehr um die in die leeren Staatskassen gespülten Öko-Milliarden geht, ist evident. Allein 11 Prozent des Steueraufkommens, insgesamt rund 87 Milliarden Mark im Jahr, machen bereits heute die Energieabgaben aus, ohne daß auch nur eine Mark daraus gezielt für die Förderung erneuerbarer Energieträger oder Energiesparmaßnahmen eingesetzt worden wäre. Für die Bundesregierung spielt das Lenkungsziel gegenüber der Einnahmenseite eine untergeordnete Rolle.

Und auch die Sozialdemokraten wollen die von ihnen angekündigte Steuerfreistellung des Existenzminimums durch eine ökologische Steuerreform „erleichtern“. Über den Rest ihres „Jahrhundertprogramms zum Ausgleich von Ökologie und Ökonomie“ (Oskar Lafontaine) schweigen sie sich lieber aus.