Auch wenn Marliese zittert und Wolfgang hofft...

■ Zwischen Bangen und Hoffen: Sozialdemokraten suchen Trost im Bundeswahlgesetz

Für helle Aufregung bei Marliese Dobberthien, SPD-Wahlkreiskandidatin in Altona, und SPD-Nord-Wahlkämpfer Wolfgang Curilla hat die taz-Berichterstattung über den scheinheiligen Hamburger Erststimmen-Wahlkampf gesorgt. Beide KandidatInnen mutmaßten besorgt, der taz-Hinweis auf die Bedeutungslosigkeit der Erststimme könne sie Stimmen und damit, bei knappem Wahlausgang, auch den Posten kosten.

Mit diffizilen Argumenten schilderten sie der taz ihre Not. Und tatsächlich: Je komplizierter die Annahmengebäude gebastelt werden, desto gefährdeter oder aussichtsreicher läßt sich die eigene Wahlchance schildern. Deshalb ein kleiner Nachschlag zu den Abgründen des Bundeswahlgesetzes:

Am 16.Oktober werden in Hamburg 7 Wahlkreise direkt und – in Abhängigkeit von der Wahlbeteiligung in Hamburg und anderswo – fünf bis acht Listenplätze vergeben. Wie diese 12 bis 15 Sitze (voraussichtlich werden es 13 oder 14 sein) sich dann wirklich verteilen, hängt ab von den Zweitstimmen in Hamburg, der Wahlbeteiligung in Hamburg und anderswo, den Zweitstimmen der Parteien im restlichen Bundesgebiet und von der Frage, ob eine Partei in Hamburg alle 7 Wahlkreise gewinnt.

Die Zahl der Wenns, so kann die geneigte LeserIn jetzt unschwer erahnen, ist derart gewaltig, daß die Zahl denkbarer Konstellationen die Vorstellungskraft normaler Menschen übersteigt. PolitikerInnen freilich schreckt dies nicht ab. Marliese Dobberthien, nach taz-Auffassung schon mit anderthalb Beinen wieder in Bonn, sieht das ganz anders: Entfallen auf Hamburg ingesamt nur 13 Sitze und davon nur 6 auf die SPD, gewinnt dann auch noch Wolfgang Curilla den Wahlkreis Nord, während Dobberthien in Altona scheitert, ja, dann – und nur dann – gehört Frau Dobberthien nicht dem nächsten Bundestag an, weil ihr guter Listenplatz ihr dann nichts nützt, alle SPD-Mandate an die WahlkreissiegerInnen gehen. Verliert Curilla dagegen in Nord, ist Dobberthien fast 100prozentig in Bonn.

Ex-Finanzsenator Wolfgang Curilla, auf der Landesliste ganz schlecht plaziert und deshalb tatsächlich in Sorge um seinen Bonner Sessel, baut seine Erststimmenargumentation auf eine ganz andere Wenn-Ja-Dann-Kette: Wenn in Hamburg die SPD schlecht abschneidet, die Wahlbeteiligung mies ist, die FDP in Hamburg doch einen Sitz erringt und die SPD trotzdem alle 7 Wahlkreise gewinnt, ja, dann – aber nur dann – könnte der Fall eintreten, daß die SPD sieben von 13 Hamburger Mandaten bekommt, obwohl ihr von den Zweitstimmen her nur sechs zustehen. Dieses „Überhangmandat“ würde die SPD dann tatsächlich zusätzlich erhalten. Im Kurt-Schumacher-Haus hat man für derlei Spekulationen nur ein müdes Lächeln übrig. Sechs Mandate, wie beim vorigen Mal, so lautet die interne Erwartung. Das offizielle Wahlkampfziel sieben plus eins, sprich alle Wahlkreise plus ein Listenmandat, wäre nur beim einem SPD-Ergebnis von deutlich über 50 Prozent wahrscheinlich. Kurz: Auch wenn Marliese zittert und Wolfgang hofft – am 16.Oktober kommt es in Hamburg in Sachen Wechsel oder Wende allein auf die Zweitstimme an. F. Marten