Freiheit für den Reichstag

■ Als wenn es was umsonst gäbe: mehrere hundert Menschen mußten draußen bleiben, als Christo im Historischen Museum sein Verhüllungsprojekt vorstellte

Silbrig schimmernder Stoff umhüllt im Frühsommer nächsten Jahres den Berliner Reichstag. Festgezurrt mit blauen Seilen soll das monumentale Gebäude das Licht reflektieren. Rund achtzig Tonnen des silbrig-grauen Stoffs, der extra für das Projekt angefertigt wird, bilden dann „The wrapped Reichstag“, dessen antikes Kettenhemd als Chiffre der Verhüllung das Gebäude nach der Enthüllung in ein neues Dasein entläßt.

Der Verpackungskünstler Christo befindet sich in einer fortgeschrittenen Phase des Projektes. Vermutlich im Juni 1995 wird das Kunstwerk zwei Wochen lang zu bewundern sein, sagte er am Mittwoch bei einem Vortrag im Kinosaal des Deutschen Historischen Museums Berlin (DHM). Während sich vor dem Gebäude noch einige hundert Interessierte drängelten und einige auf Schleichwegen – aber vergeblich – in das Innere des DHM vorzudringen versuchten, ließ Christo in dem mit dreihundert Zuhörern überfüllten Kinosaal mit Dias sein Zehn-Millionen-Mark-Projekt Revue passieren. Nichts Neues zwar, aber immerhin.

Im Februar 1994 bekam der Künstler das offizielle O.K. des Parlaments. In einer namentlichen Abstimmung sprach sich damals die Mehrheit der Abgeordneten des Bundestages für die Reichstagsverhüllung aus. Das Ergebnis bedeutete für den Künstler das Ende eines 23jährigen Kampfes um dieses Projekt. Die Idee beschäftigte Christo bereits seit 1971, als ein Freund ihm eine Reichstags-Postkarte aus Berlin schickte. Bis ihm Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth Ende 1991 Unterstützung zusicherte, war Christos Vorhaben immer an einem „Nein“ der Bundestagspräsidenten gescheitert.

Auf den Sinn und Unsinn der Aktion angesprochen, sagte L'art- pour-l'art-Christo, ihm sei klar, daß das Kunstwerk vollkommen irrational sei, daß es niemand brauche. Doch gerade diese Tatsache verleihe dem Werk Freiheit. Niemand könne es kaufen oder besitzen. Das Vergängliche sei für ihn ein wichtiger Aspekt. Es sei ein naiver Gedanke, Kunst für immer festhalten zu wollen.

Das Reichstagsgebäude reize ihn besonders wegen seiner einzigartigen Lage. Die unbebaute Fläche ringsum lasse das Kunstwerk erst richtig wirken. Die Verhüllung zeige die wesentlichen Proportionen der Architektur. 350 bis 500 Mitarbeiter werden den Kunst- Reichstag mit Christo verhüllen, so seine Arbeitsplatz-Prognose. Auf andere Berlin-Projekte angesprochen – etwa die Verhüllung eines neuen Gebäudes in der Friedrichstraße – sagte der Verpacker: „Würden Sie für eine häßliche Braut ein schönes Brautkleid entwerfen?“ Na, ja.

Nach der Enthüllung des Reichstags werden die Stoffmassen wiederverwertet. Jeder Quadratmeter hat bereits einen Abnehmer. Das Material soll später nicht mehr als Teil von Christos Kunstwerk zu erkennen sein. Deshalb lehnt der Künstler auch einen Verkauf von einzelnen Stücken des Stoffes ab. rola/adn

Am Montag beginnt im Institut für Pathologie der Berliner Charité eine Werkschau des Künstlers