Gespensterstunde im Tacheles

■ Eine Butoh-Tanz-Performance mit Yumiko Yoshioka

Teruterubozu sind kleine oder auch große japanische Gespenster; traditionelle Puppen, die aufgehängt werden, um schönes Wetter zu bringen. Sie baumeln, an ihrem langen schwarzen Haarzopf aufgehängt, in der Luft, und gibt es Regen statt Sonnenschein, so schneidet man ihnen zur Strafe kurzerhand den Kopf ab. In „Out Off“, der neuesten Produktion der Butoh-Gruppe „tatoeba théatre danse grotesque“, hängt die Bühne voll mit solchen Puppen. Und mittendrin hängt Yumiko Yoshioka, zehn wunderbare Minuten lang. Yumiko Yoshioka wird zu einem untoten Wesen, einer scheinbar Lebenden, die doch nur von Windstößen in Bewegung gebracht wird. In manchen Momenten scheint es, als wolle sie sich aufraffen, lebendig zu werden, aber dann war es doch nur ein heftiger Windstoß: Schon im nächsten Moment sinkt sie wieder in sich zusammen. Yumiko Yoshioka gelingt es, alles Leben aus ihrem Körper weichen zu lassen und sich in einen nahezu dematerialisierten, gespenstischen Zustand zu bringen. Auf der anderen Bühnenseite liegt Tanzpartner Kim Itoh und zieht im Halbschlaf Gespensterpüppchen aus seinen Hosentaschen, zieht ihnen an den Haaren, wirbelt sie durch die Luft und scheint so der aufgehängten, geisterhaften Tänzerin unendliche Qualen zuzufügen.

Für Kazuo Ohno, den 94jährigen Großmeister des Butoh, gibt es keinen Unterschied zwischen Lebenden und Toten. Für ihn ist „die Energie derer, die vor uns gelebt haben, eine Energie, die wir dauernd von ihnen empfangen“, und es ist „das Wohlwollen unserer Vorfahren, die unser Leben lebenswert macht“. Die Lebenden sollen sich für die Vorfahren verantwortlich fühlen, denn: „So können die Vorfahren wachsen und die Lebenden tief zu den Toten gelangen. Schließlich glaube ich, daß die Toten genauso lebendig wie die Lebendigen sein sollten.“ Die Toten sind unter uns. Was man auch immer davon halten mag, in seinen besten Momenten ist Butoh eine Begegnung mit der anderen Dimension, und Yumiko Yoshioka gehört zu den Tänzern, die das vermitteln können. Vielleicht ist diese Nähe zum Tod – auch der zweite, früh verstorbene Butoh-Großmeister Tatsumi Hijikata bezeichnete die Toten als seine Lehrer – der Hauptgrund für die Faszination, die der japanische Butoh-Tanz auf den Westen ausübt.

Nicht umsonst sind die ersten zehn Minuten die besten: Mag Yumiko Yoshioka eine noch so herausragende Tänzerin sein, auch sie ist von einer guten Choreographie und einem schlüssigen Konzept abhängig. Und daran mangelt es an diesem Abend leider. Das sicher größte Problem ist das Qualitätsgefälle zwischen der Tänzerin und ihrem Partner Kim Itoh. Mag sich Kim Itoh seit den letzten Produktionen auch erstaunlich weiterentwickelt haben, der Abstand zwischen beiden ist immer noch so groß, das manche gute Szene ihre Kraft verliert. Wer Yumiko Yoshioka in ihrem Solo „All Moonshine“ gesehen hat, wünscht sie sich sehnlichst in einer anderen Besetzung auf der Bühne. Michaela Schlagenwerth

Bis zum 23. Oktober im Tacheles, Oranienburger Straße, Mitte