Durchs Dröhnland
: Als Gesamtkunstwerk verschrieen

■ Die besten und schlechtesten, die wichtigsten und überflüssigsten Konzerte der kommenden Woche

Fast hätten wir sie vergessen, unsere Freunde vom fünften Kontinent. Haben sich rar gemacht und sich nicht gerade Mühe gegeben in letzter Zeit. Irgendwie zu weit weg und zuletzt auch noch ganz und gar nicht auf der Höhe der Zeit. Dabei hätte man meinen sollen, daß gerade der Australier die neuerblühte Lust der plattenkaufenden Bevölkerung an Rock 'n' Roll ausnützen würde, denn wie man eine elektrische Gitarre richtig böse malträtiert, das wußte er schon immer. Aber nun gibt es ja Front End Loader, die zwar ohne Zweifel das spielen, was man heutzutage eben so spielt, wenn man zu viert und teilweise noch langhaarig ist, aber Front End Loader sind dabei so was von australisch, wie es wiederum nur Australier sein können. Das Gitarrengeprügel, die Breaks, die Melodien, alles hingeworfen als wären es zerbröselte Kleinstteile aus Überraschungseiern vom Boden der Kinderspielzeugkiste. Warum sollte man auch Respekt vor Vorbildern haben, wenn man vor sich selber keinen hat: Sänger Davis Claymore verfaßte für die erste Single einen „berührenden Tribut“ (Einschätzung der Band selbst) an die eigene Person mit dem Titel „Weak As Piss“. Die rüde australische Vorstellung von Humor setzt sich dann fort in Grimassenschneiden, Interviewer verarschen oder Nebenbands mit Namen wie Challenger 7. Frühester deklarierter Einfluß ist Kiss. Ja, genau die. Und das führt uns dahin, wo und was Front End Loader denn nun sind: In ihrem eigenen Paralleluniversum geben sie vier ziemlich clevere Bürschchen mit Kiss-Pubertät, die der Welt im Zeitalter des wiedergeborenen ehrlichen Rockers die ehrlich verdiente Comicfigur zurückbringen. Ein durchaus verdienstvolles Unterfangen, denn zuletzt war der Ernst doch zumindest fallweise zu blutig geworden. Jetzt den Übergang zu Kalashnikow zu finden, ist eigentlich ganz einfach. Denn wenn den Herren aus Siegen irgendwas sicher fehlt, ist es der Humor. Ihrem Hardcore, der von einem trocken abgehackten, metallischen Sound beherrscht wird, fehlt zwar jede Eleganz, aber damit treiben sie Fleischmann fast zur spröden Perfektion. Auch die deutschen Texte ziehen runter wie Senkblei. Deutsches Wort, ganz schwer.

Mit Accuser am 14.10. um 22 Uhr im Knaack, Greifswalder Straße 224, Prenzlauer Berg

Endlich doch hier, oder fällt es mal wieder aus? Nicht nur meine Ex-Mitbewohnerin fiebert unserem allseits beliebten Bürgerschreck Ice-T entgegen. Endlich live das komplette Four-letter- word-Gewitter, die schamlosen Scherze über den eigenen Sexismus und der zuletzt immerhin recht souveräne Metal seines Sextetts Bodycount. Auch wenn der gute Mann erst kürzlich in seiner original diktierten „Ice-Opinion“ erhebliche Anwandlungen von Altersweisheit offenbarte, reicht's immer noch locker für den „Parental Advisory“-Sticker, der ihm erst recht den Weg in die Kinderzimmer weißer Mittelstandsfamilien ebnet. Aber das hat er sich auch verdient, ebenso wie Rollen in ein paar endlich mal besseren Filmen. Doch zunächst einmal mischt er unglaublich erfolgreich die Welt des weißen Mannes auf. Glück auf dabei!

Am 14.10. um 20 Uhr in der Halle, An der Industriebahn, Weißensee

Man möchte nicht glauben, was sich drei junge Burschen so vorgenommen haben, alles auf einer Platte unterzubringen. Für Killed On X-Mas ist es kein Problem, Metal, Hardcore, Jazzrock oder gar Gothic manchmal auch in einem Stück zu vereinen. Kein Wunder, daß die Bemühungen des Trios da manchmal arg verkrampft wirken. Aber der juvenile Wille zum Übermut (und vielleicht kommt man ja kein zweites Mal ins Studio?) zählt, dachte sich wohl auch der Kastrierte Philosoph Matthias Arfmann und produzierte den Erstling der Rostocker, der bei der Record Release Party seine offizielle Geburt begeht.

Am 15.10. um 21 Uhr auf der Insel, Alt-Treptow, Treptow

Wenn Unberechenbarkeit ein Gütefaktor ist, sind Ornament & Verbrechen ohne Zweifel die beste Band Berlins. So oder so sind sie eine der Aufregendsten. Auch weil Band schon mal völlig falsch ist, und Projekt – und das noch im besten Sinne – weitaus treffender. Kleinster gemeinsamer Nenner ist noch das Vorhandenseins des Namens Lippok im Line-Up, dann hört's schon wieder auf. Dieser die Besetzungen wie Hemden wechselnde und als Gesamtkunstwerk verschrieene Haufen kann eine straighte Dance-Platte machen und im nächsten Moment eine völlig zerfahrene Aufführung im Geiste der genialen Dilettanten bei einer Ausstellungseröffnung geben. Die nächste, in Kürze erscheinende Platte wird wohl ein grummelndes Dub-Konstrukt werden, dem erklärende Stimmen eine beunruhigende Atmosphäre verpassen. Und das dabei auch noch groovt, und das besser als vieles sonst hierzulande. Aber live kann man sich bei den Ornamentens sowieso auf nichts verlassen, und wenn sie dann wie von Geisterhand befohlen ihre Stühle verlassen, um willkürlich und reihum die Instrumente zu wechseln, ist sowieso alles zu spät. Ob nun Spät- oder Neo-Hippies, Kunstkacker oder Gesamtwerker, Rettung des gemütlichen Schwoofs oder bedeutungsschwangere Knallhaftigkeit: wenn man weiß, daß man nichts weiß, ist das schon viel, und das ist dann Ornament & Verbrechen.

Am 15.10. um 22 Uhr im Knaack

Immerhin schon den in England so gefährlichen Hype-Status haben Adorable überstanden. In typischer Britpresse-Manier waren sie schon mit ihrer ersten Single das tolle, neue, unglaubliche Ding, aber „Sunshine Smile“ schaffte es nach den Vorschußlorbeeren als NME-„Single of the Week“ dann sogar auf Platz eins der Indie-Charts. Die folgenden Singles erreichten ähnliches, und damit hatten Adorable das Gröbste schon hinter sich. Diesen Erfolg erreichten sie mit den klassischen Mitteln des Britpop: Einer jängelnden Gitarre, gemütlichem 4/4, einem nölenden Sänger und Texten aus der Bauchnabelperspektive eines zu früh vergreisten Jungerwachsenen. Dazu tragen die schätzungsweise Mittzwanziger strenge Anzüge, ohne allerdings mit diesem von den Godfathers gepumpten Outfit den Nachlaß der Smiths erfolgreich einklagen zu können. Dazu löst sich bei ihnen sowohl musikalisch als auch textlich zu schnell alles in Wohlgefallen auf. Der Radikalvegetarismus der Smiths endet bei Adorable bestenfalls in einer von Gummibärchen verursachten Magenverstimmung.

Am 19.10. um 20.30 Uhr im Loft, Nollendorfplatz, Schöneberg Thomas Winkler