"Einspruch" vor dem Kadi

■ Heute beginnt vor dem Hamburger Landgericht ein Verleumdungsverfahren gegen den Mainzer Privatsender Sat.1 und Ulrich Meyers Produktionsfirma

Die Sache sei „äußerst komplex“, sagt Sat.1-Justitiar Dr. Peter Lück spürbar distanziert. Es gehe um einen „sehr extremen Einzelfall“ und ein „extremes Risiko“, von dem er annimmt, daß es Ulrich Meyer in seiner Live-Talkshow „Einspruch“ „künftig vielleicht nicht mehr eingeht“. Die Rede ist von jener Kinderstricher-Debatte, mit der das Sat.1-Krawallmagazin am 14. September 1993 für Aufsehen gesorgt hatte: Fünf Tage vor den Hamburger Bürgerschaftswahlen wurde der GAL-Fraktionsreferent für Inneres, Peter Mecklenburg, von dem Stricher Pico vor laufenden „Einspruch“- Kameras als Freier bezeichnet. Mecklenburg klagt nun gegen Sat.1 und die Meyer-Firma „Meta Pruducitons“ wegen Verleumdung auf 200.000 Mark Schmerzensgeld. Heute beginnt vor der Pressekammer des Hamburger Landgerichts das Eröffnungsverfahren.

Im Gegensatz zu Justitiar Lück steigt „Einspruch“-Redaktionsleiter Alexander Schuller kampfesmutig in den Ring: „Ich würde das immer wieder tun“, versichert er und verspricht gleich drei Zeugen, die die Vorwürfe (GAL-Fraktionssprecherin Kerstin Domscheidt: „Rufmord“) bestätigen sollen. Zwischenzeitlich hatte jedoch nicht nur der inzwischen verstorbene Pico seine Aussage zurückgenommen, auch die verzweifelte Suche der Meyer-Crew, die per Mecklenburg-Steckbrief im Milieu von St. Georg weitere Zeugen finden wollte, blieb bisher ohne Erfolg.

Dafür gerät der Ex-Chef des Hamburger Staatsschutzes (LKA3), Volker Heinze, ins Zwielicht. Ein zwei Jahre altes LKA- Dossier mit unbelegten Verdächtigungen über Mecklenburgs angebliche Kontakte zur Schwulenszene sei dem „Einspruch“-Team „willentlich weitergegeben worden“, so Domscheidt. Sie betont, daß sich „sämtliche Verdachtsmomente in Luft aufgelöst“ hätten. Das anstehende Verfahren müsse ein Signal setzen: Sat.1 solle „in die journalistische Sorgfaltspflicht genommen“ werden.

„Einspruch“-Chef Schuller beruft sich auf ihm persönlich bekannte „mittelbare Informanten“, die den Vorwurf während der Sendung telefonisch bestätigt hätten. Die Sprecher der Innen- und Jugendbehörden dementierten, diese Quelle zu sein. Meyer-Anwältin Gisela Wild sagt indes, staatliche Stellen hätten die Sendung verfolgt und seien telefonisch erreichbar gewesen. Schuller behauptet derweil, mit der Sendung habe man bloß versuchen wollen, den „selbsternannten Bahnhofskinder-Vater Helmut Behnel zu nageln“. Diesem warf die Hamburger Jugendbehörde vor, Jugendliche für Hehlerei und Diebstahl zu mißbrauchen. Gegenüber der Polizei erklärte Junkie Pico später, er sei in der Sendung „völlig breit“ gewesen; Behnel habe ihm Geld für eine Beschuldigung des Grünen-Politikers angeboten. „Pico gehörte einfach zu Behnels Corona“, so Schuller. Er sei eingeladen worden als „jemand, der für eine Minute dreißig sagt: ,Ich bin Strichjunge, das ist meine Welt.‘“

Wie die Szene des Tribunal-TV funktioniert, läßt der „Einspruch“- Redaktionsleiter ganz nebenbei durchblicken. Mecklenburg habe in „Einspruch“ „ausreichend Gelegenheit gehabt, sich zu verteidigen“, aber nur gemeint: „Inhaltlich kann ich dazu nichts sagen.“ Schullers lapidares Urteil: „Es ist doch sein Problem.“ Dieter Deul