Erst die Wahlkampagne, dann das Parteiprogramm

■ Michael Schirner: Für jedes Bedürfnis die passende Special-interest-Partei

Auf vielen gesellschaftlichen Feldern zeichnet sich eine Entwicklung ab, die bei den Medien und in der Kommunikation am deutlichsten sichtbar ist: der veränderte Maßstab der Kommunikation. Wurde früher in großem Maßstab kommuniziert (1:mehrere Millionen Zuschauer, Leser, Hörer), wird heute der Maßstab der Kommunikation immer kleiner. Die großen, generellen Massenmedien schrumpfen, und kleinmaßstäbliche Medien schießen wie Pilze aus dem Boden und florieren. Was die alten Medien verlieren, gewinnen die neuen. Den Erfolg der Special-interest-Angebote merken die Öffentlich-Rechtlichen und General- interest-Medien schmerzlich. Die Entwicklung geht weg von den großen Gruppen, hin zum Individuum, in Richtung Kommunikationsmaßstab 1:1, wo Sender und Empfänger identisch sind und der interaktive Dialog stattfindet.

In der Politik ist die Entwicklung ähnlich – nur hat das noch niemand richtig mitbekommen. Die großen, alten Volksparteien verlieren, und neue kleine Anti-Parteien kommen über fünf Prozent. Mehrheiten sind nicht mehr zu gewinnen, weil es keine Mehrheiten mehr gibt, statt dessen immer mehr Minderheiten. Der Tendenz vom General-interest zum Special-interest sieht die Politik irritiert und hilflos zu und wundert sich über Partei-, Politiker-, Politik- und Demokratieverdrossenheit. Auf die Idee, aus der neuen gesellschaftlichen Situation eine neue Form von Politik zu machen, ist man in den Parteien noch nicht gekommen.

Weil die Politik zu Neuem offensichtlich nicht fähig ist, wollten wir es tun: die Studenten an der Hochschule der Künste Bremen und der Merz-Akademie, private Hochschule für Gestaltung Stuttgart, mit denen ich das Projekt für eine neue Politik durchführte.

Wir entwickelten das Konzept für ein System von Special-interest-Parteien. In diesem System wird Politik auf neue Art gemacht: nicht für die Interessen von Politikern der Altparteien, sondern Politik von Bürgern für Bürger und ihre ganz speziellen Interessen.

Die neuen Parteien werden nach unseren speziellen Interessen konzipiert und gestaltet. Sie folgen dem Prinzip der Special-interest- Programme in den Medien. Sie funktionieren wie das Programmangebot der Medien, das heißt, es gibt eine Vielzahl von speziellen Parteiprogrammen, die ein breites Spektrum der Interessen abbilden.

Das Ziel der Arbeit der Projektgruppen an den zwei Hochschulen war: wir machen simulierte Wahlkampagnen, die nicht simuliert sind. Und das geht so:

Wir konzipieren neue Special- interest-Parteien und entwickeln sehr gute Kampagnen dafür. Unsere Parteien haben klare Konzepte, Inhalte, Ziele, Profile und vor allem gute Werbekampagnen, entsprechend meinem Satz: Politik muß Spaß machen, denn wenn sie keinen Spaß macht, dann macht sie keinen Spaß.

Ein Kriterium für die Konzeptarbeit war, daß die neuen Parteien gute Chancen haben müssen, über die fünf Prozent zu kommen.

Soweit der simulierte Teil der Projektarbeit. Jetzt zum nichtsimulierten:

Wir machen ernst. Wir gründen die Parteien wirklich. Wir werben Mitglieder dafür, wählen Kandidaten. Wir beteiligen uns an den Wahlen. Wir werben mit unseren neuen Kampagnen für unsere neuen Parteien.

Alle Parteikonzepte und Wahlkampagnen, die wir entwickelt haben, sind gut. Ich kann auch sagen, warum: Wir haben die Wahlkampagnen zuerst gemacht und dann die Parteiprogramme. So konnten wir es schaffen, daß die Wahlwerbung identisch ist mit der Partei. Das ist das Schöne an simulierten Kampagnen, wo jeder sein eigener Auftraggeber ist und Sachen machen kann, die er gut findet.

Und vielleicht wird es so kommen: Das Machen neuer Parteien wird zum Massensport an den Hochschulen – eine kleine neue Studentenbewegung, die das Gegenteil der alten 68er Bewegung ist: Nicht kritisch die Realität in Frage stellend, sondern affirmativ die Wirklichkheit bestätigend und zugleich subversiv gegen das morsche System der Altparteien.

Ein kleiner Ausblick auf das Jahr 1998: Die SPD gibt es nicht mehr. Die CDU ist mit dem Kanzler in Rente gegangen, und ohne die Altparteien war den Grünen der Spaß an der Politik vergangen – sie dankten ab.

Claudia ist der große Hit der neuen Special-interest-Parteien. Claudia Schiffer, die Spitzenkandidatin, hat mit ihrem Programm „Politik muß nicht häßlich sein“ und ihrer Kampagne „Wählt 90, 60, 90, IQ 125!“ alle gewonnen, die für das Gute, Schöne und die Intelligenz in der Politik sind. Ihre Verbindung mit David Copperfield („Ausländer rein!“) hat ihr internationales Renommee noch verstärkt. Die jüngsten Koalitionsgespräche der „Claudia Partei“ mit den „Deutschen Monarchisten“ haben zu vielfältigen Spekulationen geführt.

Die „Deutschen Monarchisten“ hatten 1996 die konstitutionelle Monarchie in Deutschland eingeführt, Björn Engholm geadelt, zum König von Deutschland gemacht und mit Parolen wie „Monarchie macht frei“, „Blaues Blut tut gut“ und „Krone statt Birne“ einen großen Teil der CDU-Wähler gewonnen. Die Gespräche Engholms mit Schiffer könnten ergeben, daß Claudia Königin von Deutschland wird. Die Fotos, auf denen beide nackt in der Badewanne eines Hotels zu sehen sind, deuten in diese Richtung.

Die THC-Partei hat es geschafft, daß alle Drogen legalisiert und zu Minipreisen verkauft werden. Die Kampagne „Alle Macht den Drogen!“ hatte die THC schnell zur Partei „für die breite Masse“ gemacht. „Die Entdeckung der Langsamkeit“ als Programm hat auch der Wirtschaft neuen Aufschwung gegeben. Und die Zigarette der „Partei zum Rauchen“ hat Marlboro überholt. Bislang hat die THC allen Koalitionsversuchen der „Korruptionspartei“ widerstanden. Kein Wunder, denn die „Korruptionspartei“ will Drogen wieder verbieten.

Die Erfolge der „Korruptionspartei“ als der ehrlichsten Partei weit und breit sind erstaunlich. Millionen sind zu Amigos und Besserverdienenden geworden, denn „Wer nicht schmiert, verliert.“ Das Programm „Lug, Trug und Heiterkeit“ führt in allen Bereichen zu Entspannung.

Die „Aldi Partei“ hat 38 Prozent („Lieber Aldi als all die anderen wählen!“ und „Wir haben den besseren Kohl“). Mit der Partei wuchs Aldi im Markt. Die Werbestrategie funktioniert: Die „Aldi Partei“ wirbt für Aldi, und Aldi wirbt für die Partei. Seitdem die Albrecht-Brüder in die Politik gegangen sind, setzt sich das Prinzip „Viel, gut und billig“ in allen gesellschaftlichen Bereichen zum Nutzen aller durch.

Die „Staatenlosen“ („Verbrennt eure Pässe!“, „Gebt eure Staatsbürgerschaft zurück!“, „Werdet Afrikaner!“) haben internationale Erfolge. Das Leben als Staatenloser im Staat und die Staatenlosigkeit als höchste Form der Vaterlandsliebe finden immer mehr Freunde. Das Prinzip, keine Rechte und Pflichten als Staatsbürger zu haben, zahlt sich für die Mitglieder aus: Staatenlose zahlen keine Steuern.

Die absolute Mehrheit hat nach wie vor „The Party“ – die Mutter aller Special-interest-Parteien: „Die Partei für direkte Demokratie“. Politik von allen für alle, Politik vom Sofa aus, Politik als 24- Stunden-Gameshow wurde zum Massensport. Und seit „The Party“ international über Internet operiert, werden wir bald eine Weltregierung haben. Die direkte Demokratie durch permanente Bürgerentscheide, Abstimmung aller über alles, Wahlen rund um die Uhr haben die Bundestagswahlen überflüssig gemacht. Es wird nie wieder Wahlen geben.