„Ich wäre bestimmt ein toller Vater“

Einst war Krista Sager ein Bürgerschreck. Nun glaubt die Hamburger GAL-Chefin: „Ich bin ein Liebling der Götter.“ Joschka Fischers Liebling ist sie längst: Er will den Shooting-Star nach Bonn holen.  ■ Von Michaela Schießl

Manchmal klappt es nicht mit der so sorgsam kultivierten nordischen Zurückhaltung. Nur mühsam kann Krista Sager das Regierungsglitzern in ihren Augen beherrschen. Gerade hat die Hamburger GAL-Chefin mit Joschka Fischer, Ludger Volmer und Co. überlegt, wie man im Fall einer rot- grünen Mehrheit die SPD in die Zange nehmen will. Angenehm erregt hat sie das Schnuppern an der Macht. Nur der Weg dahin ist weniger duftig.

Fetter Bratendunst hängt im Hinterzimmer der Fuhlsbütteler Kneipe „Schweinske“. 50 Menschen wollen die GAL-Galionsfigur mit dem SPD-Kandidaten Wolfgang Curilla ums Direktmandat in Hamburg-Nord streiten sehen. Kurz taxiert Sager die Anwesenden – aha, links sitzen Curillas Claqueure. Die ganz hinten, die dauernd betonen, daß ein Auto bewegt werden muß, bilden die CDU-ADAC-Front. Aber die Jungen in der Mitte, das können die Ihren werden. Also, frech sein heute: „Ich komme gerade aus Bonn. Ich habe die ganzen Anzüge rumlaufen sehen. Und ich sage Ihnen: Das ist Massenware.“

Da windet sich Anzugträger Curilla, und die Leute lachen. Sager notiert den Pluspunkt und legt nach: „Diese Halbstarkenriege, diese drei von der Tankstelle“, beschimpft sie die SPD-Führungstroika, diesen Männerbund, der zu eingebildet ist, die bayerische Powerfrau Renate Schmidt einzubinden!

Da amüsieren sich die zugeknöpften Hamburger, denn irgendwie hat sie ja recht und allzu radikal ist das nicht, aber flott vorgetragen mit Charme und Biß, was Humor signalisiert und Ernsthaftigkeit. Kurz: Genau das, was der Hanseat mag. „Ich wundere mich oft, wie nett die Leute auf mich reagieren. Ich bekomme ganz viel Freundlichkeit zurück“, sagt das „Nordlicht“ Sager und glaubt: „Ich tauge eben nicht zum Feindbild.“

Nur einmal hatte sie sich Feinde geschaffen, als sie im Frühjahr 1990 – ein Jahr nachdem sie in die Bürgerschaft rotiert war – die GAL spaltete und die Mandate mitnahm in die wilde Weiberfraktion. „Da gab es schlimme Anfeindungen. Aber wenn ich was will, dann volle Pulle. Ich bin stolz darauf, das ausgehalten zu haben. Jetzt weiß ich, daß ich es ertragen kann.“

Das befreit, und so wagte sie, sich für eine Militärintervention in Ex-Jugoslawien auszusprechen. Zur PDS müsse man eine konstruktive Haltung entwickeln, und die SPD ist zwar furchtbar, aber formbar. Kanzler Kohl, der sich bisweilen für ein Wunder hält, nennt sie nur den „schwarzen, bleiernen Kanzler“.

Doch Wunder kann die Realo- Grüne schon gar nicht ausstehen. „Ich bin Pragmatikerin“, sagt sie von sich. „Wenn ich was durchsetzen will, werde ich hart. Ich taktiere nicht, ich operiere. Ich habe keine Probleme mit Macht.“ Deshalb versteht sie sich so gut mit Joschka Fischer. Nur, der versteht sie nicht immer. Stocksauer war er, daß sie sich bei der Bundestagswahl nicht über die Landesliste abgesichert hat.

„Hat mich halt gereizt“, kokettiert Sager und versucht ein Spielergrinsen. Doch diese Frau spielt nicht. Sie kalkuliert. Und sie weiß genau, daß sie in Bonn mehr werden soll als eine normale Abgeordnete. Den Posten der Parteisprecherin hat man ihr bereits angetragen, und – im Falle einer Regierungsbeteiligung – das Gesundheitsministerium. „Die Gesundheit hab ich schon abgelehnt“, sagt sie. Sie will Einfluß haben, und Einfluß ist dort, wo das Geld ist. Gezielt hat sich die Gymnasiallehrerin auf Haushalt und Finanzen spezialisiert und sich in Hamburg einen hervorragenden Ruf erworben. „Wenn Krista aufs Podium steigt, dann lauschen sogar die CDU-Finanzexperten“, sagt eine Fraktionskollegin.

„Bevor ich spreche, verdichtet sich alles in mir“, beschreibt Sager das Gefühl vor einer Rede. Komprimiert dringt es aus ihr heraus, geschliffen, scharf und exakt in der Sache. „Wer die Krista einmal am Rednerpult gesehen hat, der weiß, wo sie hingehört“, urteilen Hamburger Rathausjournalisten.

Zu dumm nur, daß Bürgermeister Henning Voscherau sie dort nicht haben wollte. Als Spitzenkandidatin der GAL holte die 41jährige bei der Landtagswahl im September vergangenen Jahres mit 13,5 Prozent ein noch nie dagewesenes Ergebnis für eine grüne Partei. Platzen hätte sie können vor Genugtuung, nun dem arroganten Voscherau hineinregieren zu können. Statt dessen platzten die Koalitionsverhandlungen. „Der war keinen Deut kompromißbereit. Es ging beim besten Willen nicht.“

Daß Sager den besten Willen zur Macht hat, daran zweifelt niemand. Selbst Springers Hamburger Abendblatt wunderte sich, wie weit sich die Grünen bewegt haben. Bei den Themen Hafenerweiterung, vierte Elbröhre, Ausstieg aus der Kernenergie und öffentliche Nahverkehrsförderung war die Schmerzgrenze schließlich erreicht. „Wir wären unglaubhaft geworden. Das hätte der Partei geschadet. Und das ist das letzte, was ich will.“

Krista Sager, die Parteisoldatin, die eher die Politik hinschmeißen würde, als die Farbe zu wechseln. Selbst ihren geplanten Abgang nach Bonn verkauft sie als Dienst an der Partei: „Es ist nicht gut, wenn ich zur einzigen großen Figur der Hamburger Grünen werde.“

Dabei weiß sie um die Bedeutung von Personalisierung. Als ihre Mannschaft sich weigerte, Wahlplakate von ihrem Gesicht zu drucken, bat sie kurzerhand ihre Unterstützergruppe. Ein werbewirksamer Clou, denn die Krista- Sager-Wählerinitiative wurde von unzufriedenen SPD-Mitgliedern gegründet. Initiator Martin Meier- Siem (77), ehemals Kulturexperte der SPD, fand 130 Gleichgesinnte, die Plakate und 120.000 Flugblätter mit Sagers Konterfei finanzierten. Einer von ihnen ist der Politikprofessor Joachim Raschke. „Unser Engagement ärgert die Sozis sehr“, freut sich der SPD-Kritiker. „Der Wähler wollte Rot-Grün. Deshalb unterstütze ich Krista Sager, das Rot-Grüne in ihr. Sie ist keine Traumtänzerin, sie ist hochprofessionell.“

Ihr politischer Aufstieg ist, so glaubt Raschke, vor allem eine Medienkarriere. „Sie ist im Fernsehen leicht zu konsumieren.“ Tatsächlich beherrscht Sager das Spiel: „Wenn ein Fernsehmann sagt, du hast genau zwei Minuten, dann brauch ich nicht länger.“

Mehr noch als ein Medientalent ist sie ein Wunder an Wandlungsfähigkeit und Geduld. Als Studentin spielte sie in Hamburg Bürgerschreck mit der KBW-nahen Sozialistischen Studentengruppe (SSG), und als sie 1982 der GAL beitrat, schwärmte sie für den Fundamentalisten Thomas Ebermann.

Doch sie ließ sich weder bei den Fundis einordnen noch bei den Realos. Erst als die Gelegenheit günstig war, als die Fundamentalisten an Boden verloren, nutzte Sager ihre Chance. 1989 wurde sie Fraktionsvorsitzende. Nur kurz rotierte sie wieder weg und setzte sich 1991 erneut durch.

„Seit Krista regiert, weht ein anderer Wind“, erzählt eine langjährige GAL-Mitarbeiterin. „Früher haben wir alle zusammen diskutiert und entschieden. Krista hingegen besteht auf einem klaren Arbeitgeber-Arbeitnehmer-Verhältnis. Das hat auch Vorteile: Sie sagt genau, was sie will. Aber kein Mensch käme je auf die Idee, sie in den Arm zu nehmen. Sie ist furchtbar distanziert, sie endet gleich unter dem Kinn.“

Wie angewurzelt sitzt Krista Sager auf ihrem Stuhl und umkrampft ihre Kaffeetasse, wenn sie solche Einschätzungen hört. Plötzlich ist ihr selbstbewußtes Gesicht voller Zweifel. Sie nimmt die Brille ab und reibt sich müde die Augen. „Was soll ich nur tun? Wenn ich freundschaftlich bin, erwecke ich bloß Hoffnung, die ich nicht halten kann.“ Eine Antwort, wie sie skandinavischer nicht sein kann. „Ich geb' ja zu, wenn jemand nicht will, werd' ich sehr preußisch“, sagt die Halbdänin. Doch von all den Einschätzungen über ihre Nüchternheit, ihre Humorlosigkeit, ihre wenig ausgeprägte Herzlichkeit fühlt sie sich mißverstanden. Doch sie weiß, daß sie damit leben muß. Denn sie hat mächtig Angst, den anderen, den privaten Teil ihrer Persönlichkeit preiszugeben. „Die meisten Leute verstehen nichts von Esoterik. Da biete ich nur Angriffsfläche für blöde Witze. Das will ich nicht, ich will als Profi akzeptiert werden.“ Und so versteckt sie sich hinter ihrer Klugheit und hinter einer Distanziertheit, die sie wiederum nur aufrechterhalten kann über die Beschäftigung mit ihrer Psyche. Jeden morgen um sechs macht sie Yoga und Meditation. „Ich bin berührbar geblieben. Ich bin seelisch mutig. Schauen Sie sich nur diese ganzen kraftlosen Seelen in Bonn an.“

Für Krista Sager ist Demut unverzichtbar im Politikgeschäft. „Macht muß mit Persönlichkeitsentwicklung einhergehen.“ Und doch denkt sie manchmal, daß sie es nicht mehr aushalten kann, diese ewig gleichen Wahlkampfreden, die einstudierten Gesten, die gleichen Sprüche. „Aber es ist besser, als sich jedesmal völlig zu verausgaben. Das hält keine Seele aus.“ Klug und sensibel kalkuliert Krista Sager ihre Kraft. Und befindet bei der Schlußbilanz: „Manchmal glaube ich, ich bin ein Liebling der Götter.“

Ein aussterbendes Geschlecht allerdings, denn mit Kindern hat sie nichts am Hut. „Ich wäre bestimmt ein toller Vater. Abends heimkommen und ein Stündchen mit den Kleinen spielen, das wäre nett. Als Mutter wäre ich eine Katastrophe.“ Ehefrau war sie schon einmal, mit 22. Sie heiratete, um dem Mann eine Freude zu machen. „Der brauchte die Sicherheit.“ Fünf Jahre später ließ sie sich scheiden.

„Die Krista“, sagt GAL-Fundamentalistin Anna Bruns, „ist eine Karrierefrau. Sie kann nicht von Herzen lachen, aber sie ist gescheit, integer und auch attraktiv.“ Auch das setzt sie klug ein. Viel Spaß habe die Fraktion daran, zu beobachten, wie Jan Ehlers, SPD-Fraktionschef, und der neue Innensenator Hartmuth Wrocklage um die Rathausecken lugen, um Krista Sager anzugucken. Daß die Frau ein Polittalent ist, bezweifelt längst keiner mehr. Doch was macht sie aus? Da muß Anna Bruns nicht lange überlegen. „Krista ist von disziplinierter Besessenheit.“