Der diesjährige Literaturnobelpreis geht an den japanischen Schriftsteller Kenzaburo Oe

Ich bewundere diesen japanischen Schriftsteller schon seit Jahren, und auf meine Bitte hin hat uns jemand zusammengebracht. Wir sitzen jetzt hier miteinander beim Abendessen in einem Restaurant in Tokio. Plötzlich langt der Schriftsteller in eine Tasche, die er dabeihat, holt eine Schweißerbrille heraus und setzt sie auf.

Und jetzt: Wir sitzen uns an einem Tisch gegenüber, und er hat eine Schweißerbrille auf. Die Leute im Restaurant starren zu uns herüber. Ich tu' so, als sei es völlig natürlich, daß ein Mann in einem Restaurant eine Schweißerbrille aufhat, aber ich denke ganz heimlich einen einzigen Satz und dirigiere den Satz ganz behutsam zu ihm hinüber: „Nimm doch diese beschissene Schweißerbrille ab.“

Ich sage kein Wort dazu, daß er die Schweißerbrille aufhat. Mein Gesicht verrät nicht, was ich denke. Ich bewundere ihn so sehr. Ich will nicht, daß er beim Essen eine Schweißerbrille trägt. Ich dirigiere meinen Satz weiter in seine Richtung. Es vergehen vielleicht drei Minuten, und dann nimmt er plötzlich, genauso plötzlich, wie er sie aufgesetzt hat, die Schweißerbrille ab, und sie wandert wieder in die Tasche zurück ... gut.

Später redet er über ein schweres Erdbeben, das sich vor ein paar Tagen in Tokio ereignet hat. Er sagt, daß er einen Sohn hat, der geistig behindert ist, und daß er versucht hat, dem Kind zu erklären, was ein Erdbeben ist, damit der Junge versteht, was vorgeht, und keine Angst hat, aber er weiß nicht, wie er es ihm erklären soll.

„Versteht er denn, was Wind ist?“ frage ich.

„Ja.“

„Dann sag ihm doch, ein Erdbeben ist ein Wind, der durch die Erde weht.“

Dem japanischen Schriftsteller gefällt die Idee.

Ich bewundere ihn so sehr.

Ich bin froh, daß er seine Schweißerbrille weggelegt hat.

Richard Brautigan über Kenzaburo Oe Aus „Der Tokio-Montana-Express“, mit Genehmigung des Eichborn Verlags

Foto: Mario Ambrosius, „Japanische Schriftsteller in Deutschland“, Verlag Ute Schiller

Porträt Seite 2