Zügige Leichenentsorgung

■ Studenten mit einem Studentenulk: Alfred Jarrys "König Ubu" wird im bat-Studiotheater aufgeführt

So einfach war das früher. Da kletterte ein häßlicher böser Herr Ubu auf die Bühne und rülpste „Schreiße“ hervor, genauer gesagt: „merdre“, das Publikum bekam rote Ohren und rief „Aufhören“, und die Rezensenten verlangten am nächsten Morgen eine Entschuldigung, und der Dichter Alfred Jarry war ein berühmter Mann.

So geht das heute nicht mehr. Seit hundert Jahren haben die Zuschauer sich an den Mißklang des „Schreiße“ gewöhnt, ja, der monströse „Ubu“ gilt als Klassiker, als „moderner Mythos“, sein Schöpfer Alfred Jarry als „Ahnherr der Theateravantgarde“, und es wird bereits gefragt, ob die beiden Helden nicht ins Museum gehören. Ja, in welches denn? Ins Verbrecher- oder Theatermuseum?

Aber im Ernst, diese Forderung ist verständlich. Eine Provokation ist die Geschichte vom plötzlichen Auf- und plötzlichen Abstieg des Königsmörders Ubu nicht mehr. Nicht die von Jarry vorgeschriebene antiillusionistische Bühne. Nicht die geforderte antipsychologische Spielweise. Noch nicht mal der Wunsch des Autors, auf gesellschaftliche oder politische Verweise zu verzichten: Alfred Jarrys Antitheater – so revolutionär es 1896 auch war – ist längst zur Konvention geworden; der Wunsch zu schockieren schockiert niemanden mehr.

Was macht man nun als Regisseurin, wenn man trotzdem „Ubu“ machen will? Claudia Bauer hat eine Idee. Sie macht aus dem ursprünglich als Pennälerulk entstandenen groteske Spiel wieder einen Pennälerulk. Hatte Jarry die Figur des Vater Ubu als Kind nach dem Vorbild seines Physiklehrers erschaffen, die später abwechselnd als wild gewordener Kleinbürger, als Diktator, als Anarchist gedeutet wurde, so erscheint Vater Ubu jetzt selber als Kind.

Durch diese Figurenschrumpfung hat sich die Studentin der Schauspielregie alle interpretatorischen Probleme vom Hals geschafft und kann sich ganz aufs Spiel konzentrieren, und das heißt am bat: Spaß. Alles ist hier auf Komik, auf Lacher, auf Pointenjagd angelegt. Schon die Bühne von Jan Pappelbaum, eine roh behauene, steil zum Publikum geneigte Schräge, läßt das Geschehen schräg aussehen. Dank Luke, Falltür, die auch wie ein Steg hochgeklappt werden kann, sind überraschende Auftritte möglich; außerdem können die im Stück reichlich anfallenden Leichen zügig entsorgt werden.

Auch die Schauspieler scheinen aus Holzbrettern gezimmert zu sein, springen sie doch häufig eckig wie lebensgroße Puppen herum. Ob König oder Bürger, ob Mörder oder Soldat, hier sind die gesellschaftlichen Kräfte gleich gut oder böse und werden konsequenterweise von den gleich guten, grell geschminkten Schauspielern dargestellt. Nur Herr und Frau Ubu sind Unikate. Er (Marko Bräutigam) schleppt einen mächtigen Schaumstoffbauch in einem schlabbrigen Strampelanzug umher, wankt unbeholfen, spricht unbeholfen, ist aber ein guter Esser. Sie (Catherine Stoyan) steckt mit ihrem prallen Schaumstoffhintern in einer Kleiderwurst, trippelt schnell, plappert schnell. Beide, der pausbäckige Junge und seine spitzmäulige Freundin, verbindet die Liebe zum Geld, Geldgier.

Claudia Bauer setzt zwischen ihren kleinen Helden ein munteres kleines Jahrmarkttheater in Gang, dabei erweckt sie beim Zuschauer sogar Sympathie für den ziemlich sadistischen Ubu. Von Trompeten und Trommelmusik begleitet, wird ein König erdolcht, ein Krieg geschlagen, ein Bär geschlachtet. Das geschieht meist flott, mit Phantasie, Spieleifer: eine gute Talentprobe der Regisseurin. Nicht weniger und nicht mehr. Dafür poltert es über die Unebenheiten und Widersprüche der Personen doch zu flott hinweg.

Wenn Ubu fiebert von „das Gesäß zerreißen, das Rückenmark entfernen, das Hirn herausziehen“, dann ist das am Studiotheater ein harmloses Kindergeplapper. Es sind fehlende Widerhaken, die den Abend zügig, aber auch zügig vergänglich machen. Denn: Vater Ubu gegenwärtig als Schocker zu bezeichnen, heißt ihn überschätzen, ihn einen Lustigmacher zu nennen, zu unterschätzen. Das richtige Maß bestimmte Alfred Jarry: Die Einheit der Gegensätze. Dirk Nümann

Noch heute und am 26./27.11., 19.30 Uhr, bat-Studiobühne, Belforter Straße 15, Prenzlauer Berg.