Multimediale Lektionen

Berliner Studierende können Rechnernetze der Unis vom heimischen PC aus nutzen / Auch die Einwahl in weltweite Datennetze ist möglich  ■ Von Rüdiger Soldt

Amerikanische Studenten müssen, wenn sie sich an kalifornischen Universitäten einschreiben, nicht nur ihr College-Zeugnis mitbringen. Immer häufiger wird auch nach der Quittung aus dem Computerladen gefragt: Wer keinen eigenen PC besitzt, wird nicht zugelassen. An einigen privaten Hochschulen bezahlen die Studenten mit den ersten Studiengebühren nicht nur die Einführungskurse, sondern kaufen automatisch einen Notebook-Computer mit.

Die Berliner Universitäten sind von der totalen Computerisierung noch weit entfernt. Auch wenn die vor fünf Jahren noch verspotteten Studenten, die ihre Hausarbeiten in den Fachbibliotheken gleich in ihre Laptops eingeben, inzwischen zur Normalität gehören. Die Computerfreaks unter den Hochschuldozenten sind überzeugt, daß CD- ROMs und Multimedia-Computer das universitäre Lernen grundlegend verändern werden: „Das Studium wird durch die neuen Computertechniken teilweise ein Fernstudium werden. Das spart Zeit, denn die Studenten können sich unnötige Wege in die Bibliotheken, um einen Titel im Katalog nachzuschauen, sparen“, sagt Ludwig Issinger, Professor am Fachbreich Kommunikationswissenschaften der FU.

Interessant sind für Studierende vor allem die internationalen Datennetzwerke „Internet“ und „world-wide web“. Über sie können zum Beispiel Politologen von ihrem PC aus „graue Literatur“ zu einem wenig erforschten Thema in amerikanischen Bibliotheken recherchieren. In wenigen Jahren könnte es zum Unialltag gehören, das makroökonomische Tutorium zu Hause am Bildschirm zu verfolgen.

Noch wird der Computer an der Uni meist als elektronische Schreibmaschine benutzt, aber das wird sich bald ändern. Davon ist der 54jährige Issinger, der seine Hausarbeiten noch mit der Schreibmaschine tippte, überzeugt: „Schon heute haben wir Multimedia-Lernprogramme, mit denen man sich einen Physik-Einführungskurs nach individuellen Lernabsichten zusammenstellen kann.“

FU, TU und Humboldt-Universität bieten ihren Studierenden mittlerweile an, sich mit dem eigenen Computer per Telefonmodem in das weltweite „Internet“-Informationsnetz einzuwählen. Damit haben sie Zugang zu mehr als 30 Millionen Nutzern. So können Wissenschaftler ihre neuesten Forschungsergebnisse viel schneller mit Kollegen in der ganzen Welt diskutieren, als wenn sie einen Aufsatz in einer Fachzeitschrift schreiben würden.

Tatjana Heuser, Tutorin für Informatik an der TU, schreibt gerade ihre Examensarbeit und ist von den Möglichkeiten, „mails and news“ in „Internet“ zu lesen, begeistert: „Es ist ein sehr demokratisches Medium. Irgend jemand schreibt einen Artikel, und schon gibt es eine Diskussion“, sagt die 27jährige Studentin. Dadurch, daß ihr Computer ans Rechnernetz der TU angeschlossen sei, müsse sie im überfüllten EDV-Saal der Uni nicht stundenlang auf einen Rechnerplatz warten.

Da die Berliner Universitäten weder Geld noch geeignete Räume haben, um neue Computerarbeitsplätze einzurichten, sind besonders Mathematiker, Informatiker und Elektrotechniker froh, daß sie die Netze vom heimischen PC aus nutzen können. „Früher habe ich oft die ganze Nacht vor dem Bildschirm gesessen oder bin schon um acht Uhr in die Uni gefahren, um überhaupt arbeiten zu können“, erzählt Tatjana Heuser.

Sie gehört zu einer kleinen Gruppe von TU-StudentInnen, die sich nicht wie die meisten Studierenden über ein Telefonmodem in den TU-Rechner einklinken, sondern durch einen digitalen ISDN- Anschluß. Diese Datenleitung, mit der die Informationen 13mal schneller zwischen den Rechnern ausgetauscht werden, lohnt sich allerdings nur für Computerfreaks wie Tatjana. Denn die Telekom berechnet für einen ISDN-Anschluß eine monatliche Grundgebühr von 74 Mark, hinzu kommen die Einheiten. Außerdem muß der Computer mit einer ISDN-Steckkarte für 130 Mark nachgerüstet werden.

Noch werden die neuen Kommunikationsmöglichkeiten nur von einer Minderheit genutzt. 1999 könnte der Modemanschluß in Studenten-WGs genauso selbstverständlich sein, wie es der PC in den letzten fünf Jahren geworden ist. „Die multimediale Zukunft an den Universitäten hat erst begonnen, zumal jetzt diejenigen mit dem Studium beginnen, die mit dem Heimcomputer groß geworden sind“, meint der Kommunikationswissenschaftler Ludwig Issinger.