Lesestoff
: Humboldt-Universität

■ Vom Scheitern einer Selbstreform

Erstsemestern könnte die Humboldt-Universität, auf den ersten Blick wenigstens, schon als ganz gewöhnliche Hochschule erscheinen. Die eingetretene Beruhigung mögen studentische Aktivisten bedauern, die sich nun nicht mehr wichtig genug fühlen – der „Alma mater berolinensis“, wie sich die Universität gern nennt, kann sie nach fünf aufregenden Jahren nur guttun. Daß sie noch immer von ihrer Vergangenheit eingeholt werden kann, hat freilich die sogenannte „Kündigungsaffäre“ im Frühjahr gezeigt: Damals war die Uni-Verwaltung heftig unter Beschuß geraten, weil sie verkürzte Kündigungsfristen des Einigungsvertrags nicht rechtzeitig genutzt habe. Die für Außenstehende bisweilen unergründliche Kollektivpsychologie der Humboldianer lag wieder bloß.

Deren Wurzeln in den Turbulenzen seit der Wende läßt das Buch von Mechthild Küpper Revue passieren. Die Darstellung an sich ist einigermaßen unsystematisch und verwirrend – wie könnte es bei diesem Thema anders sein. Dafür zeichnet Küpper einfühlsam die Charaktere der Beteiligten. Da wären zunächst die „bei Humboldts“ wenig geliebten SenatorInnen Barbara Riedmüller und Manfred Erhardt, der bei Amtsantritt verkündete, in der Mitte Berlins eine „Eliteuniversität“ etablieren zu wollen. Dann der zögerliche und harmoniesüchtige Rektor Heinrich Fink, dessen erzwungener Abgang die Humboldianer „auf einen falschen Kampfplatz“ führte: „Gegen außen verteidigt wurde nicht die Selbstbestimmung, sondern das authentische Leben in der DDR.“ Danach kam das „neue Regime“ der Präsidentin Marlis Dürkop. Schon bald „wirkte sie völlig in den Unerquicklichkeiten ihres Amtes versunken. Sie sprach von den vielen langen Sitzungen, davon, daß es keinen Spaß mache, ständig Kündigungen zu unterschreiben.“ Auch die StudentInnen kommen vor, wenngleich nur in Gestalt zweier Aktivisten, die Küpper pathetisch als „Studentenführer“ bezeichnet.

Die Bilanz, die Mechthild Küpper zieht, ist einigermaßen ernüchternd. Die Erneuerung, beklagt sie am Beispiel der Historiker, „war ausschließlich auf Druck von außen zustande gekommen. Sie verdankte sich keineswegs dem Bedürfnis, vor sich und der Öffentlichkeit Rechenschaft abzulegen.“ Die Universität habe sich in ihrer Opferrolle gefallen: „Die Humboldianer verhielten sich, ein Jahr nach der Zeitenwende, in ihrer Mehrzahl wie brave DDR-Bürger, die vom neuen Zentralstaat eine neue Linie, ein neues Programm erwarteten und auf aktive Einmischung in den Prozeß von vornherein verzichteten.“

Das heißt freilich nicht, daß Küpper eine Verfechterin der westlichen Landnahme wäre: „Die alten DDR-Eliten wurden weitgehend durch westdeutsches Personal ersetzt. Daß die DDR eine kleine, marginalisierte Alternativelite hervorgebracht hat, ist dabei untergegangen.“ Auch hier zeigen sich die Besonderheiten, die den Transformationsprozeß in Deutschland von jenem bei den östlichen Nachbarn unterscheiden. Einerseits konnte sich keine starke Alternativelite herausbilden, weil Dissidenten der Weg in die Bundesrepublik offenstand. Andererseits wurde der radikale Elitenaustausch erst dadurch ermöglicht, daß genügend westliches Personal zur Verfügung stand.

Daß der Neubeginn an der Linden-Universität auf vielfältige Weise belastet war, muß noch keinen Geburtsfehler bedeuten, war doch schon die Humboldtsche Universitätsgründung vor 185 Jahren ein Kind der Krise: „Und die alte Friedrich-Wilhelm-Universität zu Berlin hat seit 1989 Konflikte durchgestanden, die ihrer preußischen Gründertradition würdig sind.“ rab

Mechthild Küpper: „Die Humboldt-Universität, Einheitsschmerzen zwischen Abwicklung und Selbstreform“. Rotbuch, 155 Seiten, 15,90 DM.