Aber gab es denn eine Alternative?

■ Friedensnobelpreis für die israelischen Politiker Rabin und Peres und den Palästinenser Arafat

Es war ein historischer Moment: Zwei alte Männer tauschten auf dem Südrasen des Weißen Hauses einen knappen Händedruck aus. Nach über vierzig Jahren Dauerkonflikt probten die Erzfeinde Jitzhak Rabin und Jassir Arafat die Versöhnung, einigten sich zwei Völker, die um ein und dasselbe Land kämpfen und zur Todfeindschaft verdammt schienen, auf gegenseitige Anerkennung. Der Weg nach Washington war weit. Für Rabin ebenso wie für Arafat. Und er begann in Jerusalem.

Am 1. März 1922 wurde Jitzhak Rabin als Sohn russischer Einwanderer in Jerusalem geboren. Schon als Achtzehnjähriger trat er der illegalen Kommandogruppe „Palmach“ bei, später dann der israelischen Armee. 1948, als nach der Staatsproklamation durch David Ben Gurion die arabischen Nachbarn Israel angriffen, wurde er im Kampf um Jerusalem Kommandant der Elitebrigade „Har-El“. Damals standen sich Arafat und Rabin zum ersten Mal als Feinde gegenüber.

Nach eigenen Angaben – „Jerusalem, das ist meine Heimat“ – kam Arafat am 21. März 1929 ebenfalls in der Heiligen Stadt zur Welt. Arafat-Biographen widersprechen: Er sei, sagen einige, im Flüchtlingslager Kan Yunis in Gaza geboren. Andere aber glauben, Arafat habe in Kairo als Abdal-Rauf Arafat Al-Qudwa Al- Husaini das Licht der Welt erblickt.

Ob nun Jersualem, Gaza oder Kairo, fest steht: Arafat studierte in der Nilmetropole Ingenieurwissenschaften. 1948 nahm er unter dem Namen des algerischen Freiheitshelden Abd Al-Kader am arabisch-israelischen Krieg teil, 1956 als ägyptischer Leutnant Jassir Arafat am Kampf um den Suezkanal. Danach emigrierte er nach Kuwait, versuchte sich als Bauunternehmer und gründete 1959 die Kampforganisation „Al-Fatah“. Nach einem islamischen Märtyrer nannte sich Arafat nun Abu Ammar.

In der jungen israelischen Armee machte Rabin eine beispiellose Karriere. Er galt als diszipliniert, gelassen, kühl. Vor allem aber als strategisches Genie. 1964, im Gründungsjahr der PLO, wurde er Generalstabschef. Mehr noch als Verteidigungsminister Moshe Dayan zeichnete Rabin für die Strategie des Sechstagekrieges vom Juni 1967 verantwortlich.

Der Sieg machte den menschenscheuen Rabin zum Volkshelden. Doch schon wenige Monate später beendete er seine militärische Laufbahn und begann – ein lausiger Redner und ohne jedes Charisma – eine politische Karriere. Als Führer des rechten Flügels der sozialdemokratischen Arbeitspartei Anfang 1968 ging er als Botschafter nach Washington. Dort blieb er fünf Jahre.

Mit dem Sechstagekrieg schlug auch Jassir Arafats große Stunde. Trotz der vernichtenden Niederlage stieg er zum Helden der arabischen Welt auf, der in pathetischen Reden die Israelis täglich ins Mittelmeer trieb, den „Zionismus in Palästina eliminierte“.

Doch Arafat war auch an Anschlägen beteiligt. Im Februar 1969 wurde er PLO-Vorsitzender und seine Fatah mächtigste Gruppe im PLO-Dachverband, der damals in Jordanien residierte. Als Arafat jedoch das Gastland unter Kontrolle seiner Fatah bringen wollte, schlugen die Beduinentruppen von König Hussein im „schwarzen September“ von 1970 zu, töteten Tausende von Palästinensern.

Nach und nach begann Arafat die PLO-Basis in den Libanon zu verlagern. Anschläge und Attentate wie das Blutbad von 1972 an der israelischen Nationalmannschaft bei den Olympischen Spielen in München entschuldigte Arafat zwar stets als „Aktionen verzweifelter und unverantwortlicher Individuen“; seine eigene Rolle aber blieb unklar. Längst kannte alle Welt Arafat nur noch im olivgrünen Kampfanzug mit Pistole im Halfter, schwarzweißer Kufija und stets unrasiert. Und längst war er im Ostblock und in der arabischen Welt zum palästinensischen Nationalsymbol geworden, im Westen aber zum Outlaw der Weltpolitik.

Nach seiner Rückkehr aus den USA wurde der populäre Kriegsheld Rabin Anfang 1974 unter Golda Meir Arbeitsminister, im Juni 1974 schließlich selbst Regierungschef. Gegenüber den Palästinensern, für die er keinerlei Verständnis aufbrachte, vertrat er eine Politik der eisernen Hand. Nach drei Jahren mußte Rabin zurücktreten. Der Grund: ein Devisenvergehen. Seine Frau hatte ein Dollarkonto in den USA verschwiegen. Den Vorsitz in der Arbeitspartei übernahm Rabins ewiger Rivale: Schimon Peres.

Der Separatfrieden, den der ägyptische Präsident Sadat 1978 im Alleingang mit Rabins Nachfolger Menachem Begin schloß, traf Arafat völlig unvorbereitet. Fast schien es, als hätte er seine eigenen, panarabischen Parolen für bare Münze genommen und wirklich geglaubt, die Interessen der Palästinenser seien identisch mit denen aller Araber. Unterdessen hatte sich die PLO heillos in den libanesischen Bürgerkrieg verstrickt. Doch als sie 1982 – ähnlich wie zwölf Jahre zuvor in Jordanien – zumindest in Teilen des Landes die Macht zu übernehmen drohte, marschierten israelische Truppen im Libanon ein, drangen bis Beirut vor. Per Schiff verließ Arafat mit Tausenden von PLO-Kämpfern den Libanon. Als neues Hauptquartier bezog er eine Villa in der Jugurtha-Straße von Tunis.

1984 kehrte Rabin in die Regierung zurück. In der großen Koalition von rechtskonservativem Likud und Arbeitspartei wurde er Verteidigungsminister. Es war Rabin, der 1985 die umstrittene Libanon-Invasion beendete. Es war aber auch Rabin, der im selben Jahr die Zerstörung der PLO-Zentrale in Tunis durch israelische Bomber mit vorbereitete, um Arafat zu töten.

Arafat überlebte. Zufällig hatte er die Nacht des israelischen Angriffs nicht in der Jugurtha-Straße verbracht. Doch zunehmend mußte der PLO-Chef auch um sein politisches Überleben bangen. Richtungsstreitigkeiten schwächten ihn, und auf dem arabischen Gipfeltreffen von 1987 in Amman standen die Palästinenser erstmals nicht mehr auf der Tagesordnung. Da begann Anfang Dezember 1987 in Gaza die Intifada, der Aufstand steinewerfender Jugendlicher. Ohne Zutun von Arafat und maßgeblich unter Federführung einer neuen Konkurrenz: der radikal-islamischen Hamas-Bewegung. Der ewige Verlierer Arafat schien am Ende, weniger ein Nationalsymbol als ein entlarvter Götze. In dieser Situation setzte Arafat auf die Israelis. Er signalisierte Verhandlungsbereitschaft, und der palästinensische Nationalrat erkannte 1988 in Algier erstmals das Existenzrecht Israels an. Radikale palästinensische Gegner riefen zur Ermordung des „Chamäleons Arafat“ auf.

Der Ausbruch der Intifada überraschte auch den Verteidigungsminister Rabin. „Wir werden ihnen die Knochen brechen“, kommentierte er den Aufstand. Wie Rabin, der schon immer zu unglücklichen Formulierungen neigte, dies meinte, weiß nur er selbst. Seine Soldaten jedenfalls nahmen es wörtlich.

In Algier hatte sich Arafat für das Existenzrecht Israels stark gemacht. 1990 vollzog er die Kehrtwende, schloß sich Saddam Hussein an, der den Judenstaat mit deutschem Giftgas ausradieren wollte. Das Aus für Saddam Hussein im Golfkrieg von Februar 1991 schien endgültig Arafats letzte Stunde einzuläuten. Die reichen Ölmonarchien wiesen Hunderttausende von Palästinensern aus, die saudischen Fürsten strichen die PLO-Gelder, und neben dem palästinensischen Aristokraten Feisal Husseini und der weltgewandten Akademikerin Hanan Ashrawi sah Arafat nur noch wie eine Figur aus der Opera buffa aus. Arafat brauchte dringend Erfolge. Und da ihm dazu nur die Israelis verhelfen konnten, streckte er seine Fühler aus.

Im Juli 1992 wurde Rabin, der sich parteiintern gegen den flexibleren, aber unpopulären Peres durchgesetzt hatte, erneut israelischer Regierungschef. Rabin hatte dem Land Frieden versprochen. Zwar weigerte er sich bis zuletzt, an Verhandlungen mit der PLO auch nur zu denken. Aber gab es denn eine Alternative? Ohne Arafat würde es Israel künftig mit der radikalen Hamas zu tun haben. Wie aber macht man Frieden mit Fundamentalisten, für die schon das Wort Israel eine Versündigung an Allah ist?

Damals brachte Peres die Kunde: Schon seit Monaten führten seine Assistenten unter norwegischer Schirmherrschaft mit PLO- Vertretern Geheimverhandlungen. Es ist wahr, ohne Peres wäre Washington nicht möglich gewesen. Er hat die Friedensverhandlungen mit der PLO eingeleitet, Rabin zur Unterzeichnung der gegenseitigen Anerkennung gedrängt. Aber Rabin hat die endgültige Entscheidung getroffen.

Als sich Jassir Arafat und Jitzhak Rabin dann am 10. September 1993 in Washington zum ersten Mal persönlich gegenüberstanden, gab es keine Küsse, keine Umarmungen. Die beiden waren auch keine Freunde geworden. Aber ihr Händedruck zeigte: Die Erzfeinde waren bereit, sich als Nachbarn zu begreifen. Dafür wurden Jitzhak Rabin, Jassir Arafat und – als treibende Kraft im Hintergrund – Schimon Peres gestern mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet.