■ Ökolumne
: Hilft der Große? Von Angelika F. Pfalz

Es fehlt an Geld. Sicher. Es fehlt an Stellen. Sicher auch. Es mangelt an Kenntnissen. Bestimmt. Es dauert seine Zeit. Alles richtig. Und trotzdem nicht hinreichend, um zu erklären, warum in den vergangenen vier Jahren im Osten immer noch so wenig in Gang gekommen ist.

Alltagserlebnisse machen mich stutzig. Da ist die neue Kurdirektorin eines mecklenburgischen Seebades, die sechste im Amt seit 1990. Für den Ort gibt es eine Tourismusstudie, die zweite übrigens, die erste ist irgendwo versandet. Die Studie, entscheidend für die Zukunft des Ortes, besteht aus drei Teilen. Einen kennt die Kurdirektorin. Von den beiden anderen weiß sie, daß sie existieren. Doch niemand habe sie ihr bislang gegeben. Bringeschuld? Holschuld?

Fragen in einer Region, in der nach dem Zusammenbruch in der Landwirtschaft und den Abbauwellen bei den Werften einzig der Tourismus als ernst zu nehmendes Wirtschaftsstandbein eine Chance hat und Arbeitsplätze bringen könnte. Noch ein Beispiel: Ein Seebad will Seeheilbad werden. Dann kämen mehr Gäste. Nur mangelt es für die staatliche Anerkennung noch an Kureinrichtungen. Der Ort hat gerade mal 7.500 EinwohnerInnen. Überschaubar alles. Die Menschen, die sich professionell mit Gesundheit beschäftigen, sind im Dorf bekannt. Dennoch haben sie sich bis heute nicht zusammengesetzt, kennen einander zum Teil noch immer nicht persönlich, haben noch nie miteinander geredet.

Sprachlosigkeit. Warten, bis irgend jemand die Sache in die Hand nimmt.

Diese Fixiertheit auf Personen, die oben die Zügel straffen, hat im Osten Tradition – so könnte man sagen. Aber damit macht man es sich zu einfach. Dieses Verhalten, noch ausgerichtet auf ein System der Hierarchien und der zentralen Lenkung, wird als „Beharrungstendenz“ besonders deutlich, „wenn sturzartige Prozesse des Systemwandels nicht mehr mental verarbeitet werden können und zu Verunsicherung führen“. So schreibt der Politikwissenschaftler Fred Klinger. Zugespitzter fragt Lutz Marz: „Werden Orientierungsnöte zum wirtschaftlichen Problem?“

Sicherlich, es fehlen im Osten die Westdiskussionen aus den Siebzigern. Erst sie haben Gedanken alternativer Ökonomien, selbstverwalteter Unternehmen, kleiner, eigenverantwortlicher Einheiten in die Wirtschafts- und Arbeitswelt getragen. Haben Rotationsprinzipien möglich gemacht, nach denen jede und jeder wechselweise verantwortlich ist, handeln und dafür auch geradestehen muß. Auf diese Weise bekamen alle zu spüren, wie sehr es auf jeden einzelnen und das Zusammenspiel der Gemeinschaft ankam.

Halbwegs hoffähig aber wurden die Ansätze eines anderen wirtschaftlichen Handelns erst in der Krise. Dann nämlich, als es Politikern lediglich darum ging, daß irgend jemand Arbeitsplätze schuf und die Arbeit in der Gesellschaft, die niemand sonst übernahm, nicht liegenblieb.

Allzu vielen aber haben diese Denkansätze ohnehin nie gepaßt. Den heute geradezu inflationär benutzten Floskeln von „Eigeninitiative“ und „Verantwortung tragen“ zum Trotz. Sie werden in erster Linie dazu benutzt, das Füreinander in einem sozialen Staat zu diskreditieren, und einer Ellenbogengesellschaft nach dem Muster „Leistung muß sich wieder lohnen“ das Wort zu reden.

Wenn's also nach den Westpolitikern geht, dann soll es mit der Fixierung auf Personen möglichst so bleiben, wie es ist. Damit läßt sich bequem kalkulieren. Denn wer, bitteschön, setzt sich bei diesen Wahlen mit Inhalten auseinander? Fehlanzeige. Statt dessen: Figuren, die sich bequem vor Programme schieben lassen. Damit nicht gleich auffällt, daß nichts dahintersteht. Manche brauchen gleich drei, manche kommen mit einem aus. Suggerieren wollen sie alle, daß es die Großen da oben schon richten werden. Wie gerne beläßt man die Menschen gefangen im magischen Dreieck von Verharren, Sprachlosigkeit und Weiterdurchwurschteln. Solange allerdings zwischen Parteiprogrammen und Anforderungen der Wirklichkeit derartige Lücken klaffen wie bislang, werden die gewählten Figuren scheitern – gleich welcher Couleur. Wenn das jedoch passiert, werden die Rufe nach dem starken Mann im Staat erst recht laut. Und davor graut mir wirklich.