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■ Bonn apartNasen statt Argumenten

Riese Kohl in der Menge: eines der bekanntesten Plakate des Wahlkampfes brauchte keinen Text. Wer fragte den Kanzler schon nach Argumenten oder nach Konzepten für die kommenden vier Jahre? Wer fragte nach dem Zustand seiner Partei? Kohl ist Kohl. Punkt.

Ohne Personalisierung, ohne die großen Nasen läßt sich Politik im Zeitalter der elektronischen Medien nicht verkaufen. Die Grünen hatten sich diesem Prinzip am längsten verweigert. „Keine Promis“, hieß einmal die Losung. Daß um die Rotation gerungen wurde, ist lange her.

Zwar gilt noch immer das Prinzip der kollektiven Führung, aber die Medien halten sich nicht an die Beschlußlage. Sie haben sich selbst einen Grünen-Chef gewählt. Joschka Fischer hat kein Parteiamt inne und vertritt doch seine Partei in Fernsehshows und auf Pressekonferenzen.

Grotesk wird das Prinzip Personalisierung bei der PDS. Wenn die Regionalpartei Ost für ihre meist unbekannten Spitzenkandidaten auf den Listen der alten Bundesländer werben will, dann geht nicht etwa Parteichef Lothar Bisky vor die Presse, sondern Showstar Gregor Gysi. Vor den Kameras hält der Direktkandidat Hellersdorf und Listenführer von Nordrhein-Westfalen seine Rede, dann schießen die Journalisten ihre Fragen ab: Wie Gysi SPD-Chef Scharping finde? Ob die PDS Rot-Grün toleriere? Der Mann wirkt souverän und witzig. Als einzige West-Kandidatin hat Ulla Jelpke eine Frage beantwortet, als sich Gysi nach vierzig Minuten verabschiedet.

Mit Gysi bricht die gesamte Pressemeute auf. Beschwörend fragt der Pressesprecher, ob nicht noch jemand etwas von den Kandidatinnen und Kandidaten wissen wolle, die eigens angereist sind. Keine Fragen? Nein, keine Fragen.

Ohne Gysi würde die Attraktivität der Postkommunisten im Westen gegen null tendieren. Gysi ist die Zugnummer, weil er gut ist. Aber Gysi ist auch die Zugnummer, weil ihn die Medien dazu gemacht haben und das Spiel mitspielen. Wer will schon einen möglicherweise drögen oder radebrechenden PDS-Spitzenkandidaten aus dem Saarland im TV sehen?

Was den einen nützt, wird den anderen zum Verhängnis. Auch das Dilemma der FDP ist zum Teil eines der Personalisierung von Politik. Die Pünktchenpartei müßte nicht zittern, wenn sie einen einzigen liberalen Spitzenmann (oder eine Spitzenfrau) vom medialen Format eines Joschka Fischer oder Gregor Gysi vorweisen könnte. Nur, sie kann es eben nicht. So drängeln sich am Sonntag abend die Fernsehteams im Thomas-Dehler- Haus wie nirgends sonst: Tragödie oder unverdientes Glück – ein Fernsehknaller wird der Wahlausgang bei den Liberalen in jedem Fall.

Hans Monath

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