Der erste Anstoß zum helfenden Handeln

■ Betr.: „Woher sprechen Sie so gut Deutsch?“, taz vom 1.10.94

Angesichts der Ablehnung des Mitleides der „reichen“ für die „armen Schweine“, würde ich vom Autor gerne wissen, was seiner Meinung nach den satten, alternativen Bürger dazu veranlaßt, für hungernde und verfolgte und für alle die Menschen einzutreten, die keine Alternative zur Flucht haben. Etwa ein Prinzip, ein kategorischer Imperativ? Oder irgendwelche Theoreme über die strukturell von allen mitverschuldeten Zustände in den Herkunftsländern der heute so gut deutsch sprechenden Mit-menschen? Mit-gefühl, Mit-leid, Mit-menschlichkeit sind nichts als Synonyme für die beabsichtigte zeitliche Lösung vom eigenen Selbst bei gleichzeitiger Hinwendung zu den Hilfsbedürftigen. Wer bei der Absicht stehenbleibt, für den wird Mitleid letztlich nur noch als Selbstbestätigung eigenen Wohlseins und eigener Überlegenheit dienen. Und wer zeitvergessen mitleiden will, wo nicht mehr gelitten wird, den mag man nicht leiden, weil er in aufdringlicher Weise gefühlsduselt. Das berechtigt aber nicht, dem Mitleid in zeitgeistiger Manier das abzusprechen, was es seinem Wesen nach ist: der erste Anstoß zum helfenden Handeln. Wenn das „arme Schwein“ hierzulande auch hierdurch wieder zu einem befähigten Menschen eigenen Willens geworden ist, dann stellt sich sicher für eine gewisse Anzahl alternativer und biederer Biedermänner die Frage, ob dieser nicht lieber zu dem Zustand remutieren sollte, den er zuvor zu deren innerer Befriedigung so schön zu verkörpern verstand. Das ist nun aber die Borniertheit, der Dünkel und die Ignoranz derer, die an einem ethnozentrischen Weltbild leiden, welches übrigens nicht allein den („alternativen“) Deutschen vorbehalten ist, wie man den Ausführungen des italienischen Autors auf der letzten Seite entnehmen kann, der es vorzog, seinen Landsleuten gegenüber das Klischee vom Deutschen Quadratkopf als solches zu entlarven, ohne allzu viele neue hinzuzufügen. Clemens Scharf, Mainz