■ Nach dem blutigen Ende der Entführung von Nachschon Wachsman ist im Nahen Osten ein politisches Signal notwendig
: Enormer Erwartungsdruck

Jitzhak Rabin und Jassir Arafat, die beiden diesjährigen Friedensnobelpreisträger, sind sich einig. Nach dem blutigen Ausgang der Entführung des israelischen Rekruten Nachschon Wachsman sprachen sich der israelische Ministerpräsident und der PLO-Chef am Wochenende dafür aus, die unterbrochenen bilateralen Verhandlungen wieder aufzunehmen. Wie sich bereits nach dem Massaker in der Moschee von Hebron zeigte, bei dem ein israelischer Siedler am 25. Februar 30 Palästinenser erschoß, wollen die politischen Führer beider Seiten den Friedensprozeß nicht durch jene in Gefahr bringen lassen, die mit ihren mörderischen Aktionen just darauf abzielen. So halten Arafat und Rabin daran fest, umgehend wieder zur politischen Tagesordnung zurückzukehren. Will man aus der Entführung und mißglückten Befreiungsaktion eine Lehre ziehen, dann die: der Friedensprozeß muß jetzt intensiviert und beschleunigt werden.

Intern steht nun vor allem Arafat unter Druck, endlich Ergebnisse zu präsentieren. Der PLO-Chef dürfte ein erleichtertes al hamdullillah ausgestoßen haben, als klar wurde, daß der entführte Israeli in der Westbank und nicht in Gaza festgehalten wurde. Doch die Drohungen des bewaffneten Arms von Hamas nach den Massenfestnahmen durch die plästinensische Polizei und die Demonstrationen von Hamas- Anhängern zeigen, daß Arafats Problem damit nicht gelöst ist. Seit seiner Rückkehr aus dem Exil ist, abgesehen von einer fragwürdigen Kampagne zum „Aufräumen“ des Gaza-Streifens, nichts geschehen, was dem ernormen Erwartungsdruck der Bevölkerung gegenüber der neuen Regierungsbehörde Rechnung getragen hätte. Nach wie vor sitzen rund 5.000 palästinensische Gefangene in israelischen Gefängnissen. Für die Wahlen zu einem palästinensischen Rat oder Parlament steht noch nicht einmal der Termin fest; der in diesem Zusammenhang geplante Rückzug der israelischen Truppen aus den dicht besiedelten palästinensischen Gebieten der Westbank steht in den Sternen; die Übergabe von vier zivilen Ressorts an die Palästinenser auch. Es sind gerade Zeiten wie diese, in denen die Sympathien für Hamas besonders groß sind; dies hat sich seit dem Beginn des Friedensprozesses immer wieder gezeigt. Daher liegt es nicht nur im Interesse Arafats, sondern auch der israelischen Regierung, wenn bei den Verhandlungen nun endlich Nägel mit Köpfen gemacht werden.

Die Frage der Wahlen, Thema der letzten Gesprächsrunde in Kairo, ist dabei zentral. Wahlen zu einem Rat, der dann auch die Bevölkerung in der Westbank vertritt, wären ein wichtiger politischer Indikator, daß aus Gaza and Jericho first nicht ein Gaza and Jericho only wird. Strittig ist bislang alles: die Größe des Rats und seine Kompetenzen bis zur Frage, welche der palästinensischen Fraktionen sich beteiligen dürfen. Hier stellt die israelische Seite eine Reihe von Vorbedingungen, die praktisch darauf hinauslaufen, alle Kritiker des Osloer Abkommens (und damit Arafats) auszuschließen – selbst jene „linken“ Gruppen, die im Prinzip bereit sind, sich einem demokratischen Prozeß zu stellen. Selbstredend gilt das auch für Hamas. Dabei wäre die Möglichkeit einer Wahlbeteiligung für Hamas der Lackmustest, an dem die islamistische Bewegung ihre Rolle gegenüber der neuen palästinensischen Verwaltung definieren müßte. Beispiele für die Wandlung von einer radikalen bewaffneten Gruppe in eine erfolgreiche politische Partei gibt es genug, etwa der Fall von Hisbollah im benachbarten Libanon. Doch derzeit sieht es so aus, als würde diese Chance ungenützt verstreichen. Wenn die israelisch-palästinensischen Verhandlungen jetzt wieder aufgenommen werden, wäre es gerade wegen der Emotionen, die der jüngste Entführungsfall ausgelöst hat, ausgesprochen wichtig, ein deutliches Signal zu setzen, das der im Gaza-Streifen weit verbreiteten Resignation und Frustration Rechnung trägt. Ein weiteres Verschleppen und Verzögern macht alles nur noch viel schlimmer. Beate Seel