Alles, außer Marschmusik

■ In Deutschland ignoriert, in aller Welt geliebt: Die „Dissidenten“, Weltmusiker der ersten Stunde, kehren jetzt für ein paar Auftritte auf heimische Bühnen zurück/ Heute Konzert im Schlachthof

Als Uve Müllrich, Marlon Klein und Friedo Josch die Gruppe Embryo verließen, um 1978 die „Dissidenten“ zu werden, hielt sie nichts mehr in Deutschland. Ihre abenteuerliche Karawane führte sie zu einem indischen Mahardscha, nach Marokko, in die Staaten zu den Avantgardeköpfen David Byrne und Brian Eno. Ihre Platte „Fata Morgana“ kletterte derweil in Nordafrika, Spanien und Italien in die Hochebenen der Charts. Gerade wollten die Weltmusiker mit kanadischen Indianern eine neue Platte einspielen, rief der Maharadscha sie um Hilfe: Ein heiliger Fluß soll mit einem riesigen Staudamm versehen, das Umland überflutet werden. Kurzentschlossen reisten die Musiker nach Zentralindien und nahmen mit dem weltberühmten Karnataka Ensemble of Percussion ein neues Album auf, mit dessen Erlös das Staudammprojekt verhindert werden soll. Heute stellen die Dissidenten ihr „Junglebook“ im Schlachthof vor.

taz: Ihr habt Hits in Afrika, Amerika, Australien, Indien gelandet. Warum werdet ihr hier kaum wahrgenommen?

Uve Müllrich: Die gesamte deutsche Plattenindustrie ist in die Hände amerikanischer und englischer Firmen gelangt. Eine eigenständige deutsche Plattenindustrie gibt es so gut wie gar nicht. Außerdem ist in Deutschland eine viel ausgeprägtere Amerika- und England-Hörigkeit zu beobachten als beispielsweise in Spanien.

Paul Simon bezeichnet euch als die „wahren Paten des Ethno-Beat“, der Rolling Stone als die „godfathers of world beat“. Wie bezeichnet ihr eure Musik?

Das ist eine schwierige Frage. Wir wollen uns alles offenhalten, es kommt alles in Frage außer Nationalhymnen und Marschmusik.

14 Jahre liegen zwischen „Germanistan“ und dem „Jungle Book“. Wie sah die musikalische Entwicklung dazwischen aus?

Dadurch, daß wir nicht in Deutschland waren, wurde uns bewußt wurde, wie groß der akustische Globus außerhalb der westlichen Blase ist, in der wir bis dahin gelebt haben.

Was bedeutet das für die Musik?

Auch die hat eine andere Qualität bekommen. Aber als wir das erste Mal 1978 in Indien waren, mit Kamera und Tonband, standen da ja nicht „verblüffte Wilde“ rum. Dort basteln genauso Leute an einem globalen Sound, wie in Nordafrika Cheb Kaled oder andre. Dort wird überall für eine Art Weltkonzert gearbeitet, ohne zu einem Brei zu kommen, wie ihn die amerikanische Industrie anbietet.

Gibt es niemals das Problem, die Musik einer so anderen Kultur nicht zu verstehen?

Nein, für alle Musiker auf der Welt ist ein Ton ein Ton, und ein Rhythmus ist ein Rhythmus.

In welchem Land habt ihr am liebsten gelebt?

Das könnte ich an keinem Land festmachen. Die Frage wäre eher, mit welchen Menschen. Ich würde am liebsten in einem warmen Land leben und die Freunde mitnehmen, die verschiedenen Nationalitäten angehören. Der Rest der Welt könnte uns dann am Arsch lecken.

Das Staudammprojekt, das ihr mit den Erlösen aus der CD stoppen wollt – geht ihr jetzt in die Ökobranche wie Sting?

Nein, wir hatten sogar eine interne Diskussion, ob wir das im Zusammenhang mit dieser Platte überhaupt erwähnen sollten. Nachher sagt man, jetzt drücken wir auch noch auf die Tränendrüse. Aber wir hatten gehofft, daß das ein Feedback Richtung Indien kriegt. Das war eher eine Ausnahme, und die ergab sich aufgrund persönlicher Freundschaften.

Wohin gehts als nächstes, zum Projekt mit den kanadischen Indiandern?

Das schwebt uns vor, aber die Welt ist groß, man könnte auch mal nach Rußland fahren. Die nächsten Monate werden wir uns wohl um Europa kümmern, sonst vergessen uns womöglich die Leute hier. Außerdem mögen wir dieses Image nicht unbedingt: Mit den Dissidenten rund um die Welt. Daß wir die Indianer kennengelernt haben, hat sich so ergeben. Eine dufte Band, die eher eine elektrische Musik macht. Aber einer von denen kennt noch diese alten Gesänge, und so haben wir gemeinsam ihre Wurzeln wieder ausgegraben. Andererseits ist das natürlich wieder so ein hippieträchtiges Thema, der gute Wilde... Wenn es uns gelingt, diesen ganzen ideologischen Ballast abzuwerfen, dann machen wir auch eine Platte.

Ihr seid jetzt seit 14 Jahren zusammen - keine Probleme?

Nein; alte, abgeklärte Ehepaare... Von dem alten Kommuneverbund, wo Embryo herkommt, haben wir uns natürlich etwas gelöst und sind eher einen lockeren, individualistischen Verbund eingegangen. Fragen: Dora Hartmann

Heute um 20.30 Uhr im „Schlachthof“