Tornados rauben den Franken die Ruhe

In der Fränkischen Schweiz lehren Tieffluggegner die CSU das Fürchten  ■ Aus Betzenstein Bernd Siegler

Eigentlich hätte Leonhard („Loni“) Windisch genügend zu tun. 3.000 Hühner wollen versorgt und 20 Hektar Felder bestellt sein. Und da sind auch noch die 58 Betten in seinem Gasthof „Tiefer Brunnen“ im staatlich anerkannten Erholungsort Betzenstein im Herzen der Fränkischen Schweiz. Doch als der 55jährige Anfang August aus seinem Gasthof trat und gen Himmel blickte, veränderte sich sein Leben. Windisch macht nun auch noch die Politik.

An diesem Augusttag hatte er ein Sportflugzeug am Himmel zwischen Schloß und Kirchturm fliegen sehen. Plötzlich düste ein Tiefflieger der Luftwaffe heran und unterflog die Cessna. Der Sportflieger kam ins Trudeln. Nur mit Mühe konnte der Pilot die Maschine abfangen. Loni Windisch hatte sie bereits mitten in den 800- Einwohner-Ort Betzenstein stürzen sehen.

Der resolute Gast- und Landwirt, der mit Politik nie etwas am Hut gehabt hatte, gründete am 26. August mit anderen Betzensteinern die Bürgerinitiative gegen Tiefflug. Kurz zuvor war bekanntgeworden, daß die Bundeswehr quer durch die Fränkische Schweiz und damit genau über Betzenstein einen Korridor für Nachttiefflüge einrichten wird. Ab Januar nächsten Jahres sollen dann pro Jahr etwa 500 Tornados nachts bis 24 Uhr im Tiefflug in etwa 300 Meter Höhe die bizarren Felsformationen, die Mischwälder, die Schlösser und Burgen dieses Feriengebiets überfliegen dürfen.

Ebenso schnell, wie sich diese Nachricht in der betroffenen Region verbreitete, wurden Bürgerinitiativen gegründet und in Windeseile über 75.000 Unterschriften gegen den Tiefflug gesammelt. Auf Loni Windischs Lieferwagen, mit dem er Eier ausfährt, prangt der Aufkleber „Tiefflug Nein“, und seine Wochenenden verbringt er auf Demonstrationen und Versammlungen.

„Jeder, der ein bisserl normal denkt, weiß, daß wir keine Tiefflüge brauchen. Woher soll denn die Gefahr herkommen, nach dem Fall der Mauer?“ Loni Windisch findet jeden Tiefflug „einen zuviel“. Die Mehrheit der Betzensteiner denkt genauso. Schon 250 Mitglieder zählt die örtliche Bürgerinitiative. Sie alle haben Angst, daß die Tiefflieger ihnen die Nachtruhe rauben und die Feriengäste – oft ihre einzige Existenzgrundlage – vertreiben. Sie kennen inzwischen die Studien über schwere gesundheitliche Beeinträchtigungen in den Tiefstfluggebieten. Sie befürchten, daß ihre Häuser und Grundstücke an Wert verlieren, und sie wissen, daß die Medizinische Hochschule Hannover herausgefunden hat, daß in Tieffluggebieten die Rate der Totgeburten bei Kühen bei 30 Prozent liegt.

Genauso wie Loni Windisch ist Robert Lindl das erste Mal in seinem Leben politisch aktiv. Den 30jährigen Förster aus Betzenstein empört besonders, daß die bayerische Staatsregierung zunächst versucht hatte, die Vorhaben der Bundeswehr zu verheimlichen. „Die haben es schon vor neun Monaten gewußt, wollten aber vor den Wahlen nichts öffentlich machen.“ In der Tat wurde das geplante Nachttiefflugsystem dem Bund-Länder-Fachausschuß Luftfahrt bereits im November letzten Jahres vorgestellt. Bis Ende Mai 1994 mußten die Länder zur geplanten Routenführung Stellung nehmen. Schon am 19. März, also mehr als zwei Monate vor der Frist, stimmte Bayern den Plänen zu. Die betroffenen Kommunen waren gar nicht erst informiert worden. Nur durch Zufall wurden die Planungen Mitte August publik. „Die haben bestimmt gedacht, hier hat die CSU die überwältigende Mehrheit, hier sind die Leute schwerfällig, hier wird nicht demonstriert. Da haben sie sich aber getäuscht“, betont der Förster.

Sprecherin der BI ist Petra Stemmler. Die 26jährige ist nicht nur aus Sorge um ihre zweijährige Tochter Marie gegen die Tiefflüge. „Wir haben hier schon den Truppenübungsplatz Grafenwöhr, jetzt wird die Autobahn nach Berlin ausgebaut, dann kommt die ICE- Trasse und dann noch die Tornados. Sollen wir durch den Fall der Mauer denn ständig Nachteile haben? Es reicht jetzt.“ Nach der deutschen Vereinigung weitete die Bundeswehr den Tiefflug auch auf die neuen Länder aus. „Gerechte Verteilung“ der insgesamt 16.000 Tiefflugstunden nennt das die Flugbetriebs- und Informationszentrale der Bundeswehr in Köln. Deshalb wird es ab Januar nächsten Jahres Nachttiefflugkorridore nicht nur durch die Fränkische Schweiz nach Thüringen, sondern auch durch Unterfranken und Hessen nach Thüringen sowie durch Niedersachsen nach Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt geben. „Wir sind gegen Tiefflüge überall“, sagt Petra Stemmler, „deshalb arbeiten wir mit Initiativen in anderen Bundesländern zusammen.“

Ganze Städte und Gemeinden haben sich bereits dem Dachverband „Bürger gegen Tiefflug in Nordbayern“ angeschlossen. „Fast jeder, der schreiben kann, hat sich bei uns in Betzenstein in die Listen eingetragen.“ Betzensteins Bürgermeister, Viktor Wagner, gehört wohl nicht dazu. „Hier wird versucht, im Vorfeld Angst und Schrecken zu verbreiten“, meint er. Als Wagner im Urlaub war, beschloß der Gemeinderat kurzerhand den Beitritt von Betzenstein zum Dachverband der Tiefflug- Initiativen. Der Bürgermeister versteht die Aufregung nicht. Mit eigenen „Berechnungen“ versucht er seine Bürger zu beruhigen: „Die Tiefflieger fliegen 300 Meter über dem Boden, Betzenstein liegt 500 Meter hoch, also fliegen die doch in einer Höhe von 800 Metern.“ Er glaubt die „treibende Kraft“ hinter den Protesten zu kennen: „Die wollen doch nur die Bundeswehr in Frage stellen.“ Wagner ist 73 Jahre alt. Sein Wahlspruch lautet: „Adenauer war auch 73, als er Bundeskanzler wurde, und regierte dann noch 14 Jahre.“

Seine Haltung zu den Tiefflügen hat dem seit 22 Jahren amtierenden Bürgermeister jedoch keine Sympathie eingebracht. Dem Mitglied der „Freien Wähler“, erging es damit genauso wie den Christlich-Sozialen. Als Ministerpräsident Edmund Stoiber mitten im Landtagswahlkampf in Gößweinstein und Pegnitz – also im Zentrum der betroffenen Region, Station machte – wurde er kräftig ausgepfiffen. 1988, als Stoiber noch Leiter der bayerischen Staatskanzlei war, hatte er beim damaligen Verteidigungsminister Manfred Wörner ein gutes Wort für die Anwohner der Tiefstflugregion in Mittelfranken eingelegt. Heute reagiert er cool: „Es ist mein gutes Recht, mich nicht davon beeinflussen zu lassen.“ Tiefflüge seien „aus übergeordneter Sicht notwendig“, erklärte er den Demonstranten, schließlich gebe es Leute wie Wladimir Schirinowski. Außerdem wohne er selbst in einem Nachtflugkorridor und könne den Lärm durchaus ertragen.

Stoibers Kontrahentin, die SPD-Spitzenfrau Renate Schmidt, witterte ihre Chance. „Wer CSU wählt, entscheidet sich für Tiefflug und Lärmterror“, verkündete sie und versprach, daß die SPD im Falle eines Wahlsiegs in Bonn umgehend für die Einstellung von Tiefflügen sorgen werde. „Unverantwortliche Wahlkampfhetze“, beschied die bayerische Staatskanzlei.

Die Bundeswehr schickte Oberst Axel Teichmann vom Verteidigungsbezirkskommando Bayreuth ins Rennen. Auf Informationsveranstaltungen versuchte der ehemalige Luftwaffenflieger den aufgewühlten Bürgern den Ernst der Lage klarzumachen. „Die Piloten müssen realitätsnah über Täler und Hügel navigieren können“, „wir Deutsche dürfen uns nicht aus der Allianz ausklinken“, „unsere Tornadogeschwader müssen ständig bereit sein“, tönte er zackig vom Podium. Die Tieffluggegner verbreiteten nur „Horrorgeschichten“ und „gezielte Falschinformationen“. So ein Tornado in 300 Meter Höhe sei nur so laut wie ein „vorbeifahrender Lastzug“. Mit solchen Worten stieß der 57jährige vor Ort auf taube Ohren. Als er jedoch zugab, die Tiefflugübungen seien nicht für die Landesverteidigung notwendig, sondern Training für künftige Out-of-area-Einsätze der Bundeswehr, horchten die Tieffluggegner auf. Zum ersten Mal hörten sie dies von einem Sprecher der Bundeswehr.

Robert Lindl und Petra Stemmler war es nur recht, daß die Tiefflugproblematik zum Wahlkampfthema geworden ist. „Wir konnten die Politiker in die Pflicht nehmen, denn es ging um Wählerstimmen.“ Mit einem „Tiefflug-Stimmzettel“ versuchten die Bürgerinitiativen, die örtlichen Landtags- und Bundestagskandidaten zu zwingen, Farbe zu bekennen. Während die Kandidaten der SPD und der Grünen aus ihrem Nein zum Tiefflug kein Hehl machten, glänzten die CSUler mit Stimmenthaltung. Sie machten statt dessen Stimmung gegen die Tieffluggegner, beschimpften sie als „brüllende Rindviecher“ oder „Tiefflug-Randalierer“.

Das ist der CSU schlecht bekommen. Nicht nur in Betzenstein stürzte sie ab. Statt den satten 63,9 Prozent Erststimmen bei der letzten Landtagswahl erhielt sie am Sonntag nur 45,8 Prozent, ein Minus von 17,1 Prozent. Bei den Bundestagswahlen mußte der CSU- Kandidat ein Minus von 8,2 Prozent hinnehmen. Im nahen Pottenstein gab es für die CSU gar ein Minus von 23,5 Prozent bei den Landtagswahlen bzw. minus 10,3 Prozent bei den Bundestagswahlen. Das gleiche Bild im Landkreis Bayreuth. „Eine schallende Ohrfeige für die parlamentarischen Tiefflieger“, frohlockte der Dachverband der Bürgerinitiativen.

Nach dem Wahltag ist Monika Weidinger ratlos. Seit vier Jahren leitet die 36jährige Angestellte den CSU-Ortsverein in Betzenstein. Der ist fast konkurrenzlos. Weder SPD, FDP noch Grüne sind organisatorisch in der Gemeinde vertreten, nur noch die Republikaner. „Die Leute werden mit Angstmache terrorisiert, daß man mit ihnen gar nicht mehr reden kann“, beklagt sie. Die Tieffluggegner seien alles „professionelle Leute“, „berufsmäßige BI-Gründer“. Sie selbst habe einen guten Schlaf und nichts gegen Nachttiefflüge. Ihre große Hoffnung: „Die Sache wird sich nach den Wahlen legen.“ Aber das glauben Petra Stemmler, Robert Lindl und Loni Windisch ganz und gar nicht: „Nach den Wahlen ebbt nichts ab. Wir machen keinen Wahlkampf, wir wollen keine Flieger. Das Eingeständnis mit den umstrittenen Out-of- area-Einsätzen wird noch für Furore sorgen.“