■ Es wird wieder spannend in Deutschland
: Die drei von der Linken

Die Langeweile, sprich der Wahlkampf, ist vorüber: Jetzt wird's spannend. Was die Politiker nicht vermochten, haben die Wähler und Wählerinnen am Wahltag vollbracht. Sie haben Deutschland polarisiert wie nie zuvor. Schon werden Kommentare laut, die eine der deutschen Urängste wachkitzeln: Verlust von Stabilität. Doch dem Land könnte dieses knappe Wahlergebnis guttun. Jetzt muß um die entscheidenden Themen der Zukunft intensiver und vielstimmiger gestritten werden. Die Diskussion vieler Fragen, die langfristig von Bedeutung sind, wurde in den letzten vier Jahren einfach eingefroren. Die Zukunft der Industriegesellschaft wird nicht nur von Steuererhöhungen bestimmt, sondern von der sinnvollen Umgestaltung der ausschließlich wachstumsorientierten Wirtschaftspolitik. Der Strukturwandel, der in den nächsten Jahrzehnten vonstatten gehen muß, ist gewaltig. Sonst werden schon bald Massenarbeitlosigkeit einerseits und ökologische Katastrophe andererseits der unbezahlbare Preis für den Wohlstand sein.

Ähnlich langfristiger Überlegungen bedarf es in der Außen- und Europapolitik sowie bei dem Reizthema Einwanderung. Wer glaubt, durch die Beschneidung des Asylrechts dieses Thema vom Tisch gewischt zu haben, lügt sich selbst in die Tasche. Sieben Millionen Menschen nichtdeutscher Herkunft gilt es in den nächsten Jahren auch politisch in die deutsche Gesellschaft zu integrieren. Doch der Frust vor allem unter den jüngeren Einwanderern wächst von Wahl zu Wahl, an der sie trotz sonstiger Bürgerpflichten wie Steuern und Abgaben nicht teilnehmen dürfen. Daß sich die Dinge auch auf diesem Gebiet – wenn zwar langsam, so doch unaufhaltsam – verändern, macht der Einzug von Cem Özdemir (Bündnis 90/ Grüne) sowie von Leyla Onur (SPD) in den Bundestag deutlich. Nicht jammern, sondern zugreifen und teilhaben müßte die Losung der Einwanderer in Deutschland heißen. Özdemir und Onur machen es vor.

Doch wie spannend es zukünftig in Deutschland wird, hängt nicht zuletzt von der Opposition ab. Wer die PDS-Abgeordneten wie Aussätzige behandelt und dann auf die Möglichkeit einer großen Koalition schielt, sollte vor Fernsehkameras nicht von einem knappen Wahlausgang reden. Die PDS nicht mitgerechnet, hat Kohl eine satte Mehrheit. Die PDS mitgerechnet, ist Deutschland am 16. Oktober nach links gerückt. Nach welcher Variante dieser doppelten Wahrheit deutsche Politik in Zukunft gestaltet wird, darüber haben die drei „linken“ Oppositionsparteien im Bundestag noch zu entscheiden. Zafer Șenocak

Essayist, lebt in Berlin