piwik no script img

■ Bündnisgrüne und SPD hoffen auf ein schnelles Ende der Koalition / Aber wie soll die neue Mehrheit aussehen?"Diese Mehrheit ist zu knacken"

Die Verlierer von gestern sehen sich heute bereits als die sicheren Sieger von morgen. Die Wahl am Sonntag, da waren sich SPD und Grüne gestern einig, war der Anfang vom Ende der Koalitionsregierung aus CDU/CSU und FDP. Vier Jahre, so hoffen beide Oppositionsparteien, halten die nicht mehr durch.

„Diese Mehrheit ist zu knacken.“ Auf diese Formel brachte Joschka Fischer das Fazit der Grünen nach dem gestrigen Wahlabend. „Die Mehrheit der zukünftigen Regierung Kohl/Kinkel ist derart fragil und unstabil, daß ich die Prognose wage, sie wird die kommende Legislaturperiode nicht durchstehen.“

Auch sonst gaben sich die Grünen am Tag danach betont optimistisch. „Wir haben unsere beiden wichtigsten Wahlziele erreicht“, freute sich der Noch-Vorstandssprecher Ludger Volmer. „Die Grünen haben es als erste Partei in der Geschichte der Bundesrepublik geschafft, in den Bundestag zurückzukommen.“ Unterschwellig klang da doch noch die Erleichterung mit, weil so sicher war man sich denn doch nicht. Das Trauma von 1990, als die westdeutschen Grünen an der Fünfprozenthürde hängenblieben, wirkt bei allen, die damals dabei waren, auch heute noch nach. Jetzt hat man aber nicht nur die Rückkehr in den Bundestag geschafft, mit ihren 7,3 Prozent sind die Bündnisgrünen auch zur drittstärksten Partei der Republik geworden. „Das wird unsere Möglichkeiten im Bundestag erheblich verbessern“, weiß Volmer, der sich noch lebhaft daran erinnert, wie die Grünen früher bei der Besetzung von Parlamentsausschüssen, dem Bundesratspräsidium und vor allem der Parlamentarischen Kontrollkommission der Geheimdienste regelmäßig übergangen und ausgetrickst wurden. „Das geht jetzt nicht mehr.“

Mehr noch als der verfehlte Machtwechsel trifft die Bündnisgrünen allerdings ihr Desaster im Osten. Nach den Pleiten in Sachsen und Brandenburg kam die Partei auch in Mecklenburg-Vorpommern und Thüringen nicht in den Landtag. Außer in der umstrittenen Koalition in Sachsen-Anhalt sind die Initiatoren der friedlichen Revolution damit politisch abgemeldet – eine ganz schwierige Situation auch für die Balance zwischen West- und Ostgrünen. Pflichtgemäß freute sich Marianne Birthler zwar über den enormen Zuwachs im Bundestag von sieben auf 49 Mandate, die Enttäuschung war ihr aber auch persönlich anzumerken. In Brandenburg schnitten die Bündnisgrünen so schlecht ab, daß auch ihre Spitzenkandidatin Marianne Birthler nicht in den Bundestag kommt.

Es sei nun Aufgabe der Gesamtpartei, so Fischer und Volmer, aus ihrer gestärkten Position heraus die Bündnisgrünen im Osten zu unterstützen. „Von einem Vier- Prozent-Plateau aus können wir es in den nächsten zwei Jahren schaffen, wieder über die Hürde zu kommen“, machte Fischer seiner Partei Mut.

Zwei Jahre ist überhaupt die magische Frist der Opposition im Moment. Auch Rudolf Scharping wollte gestern zwar öffentlich nicht darüber spekulieren, wie lange die zukünftige Regierung wohl halten würde, aber er rechne damit, daß „Kohl nach zwei Jahren seinen Platz für einen Nachfolger freimachen werde“. Betont sachlich und emotionslos gratulierte sich die SPD gegenseitig zu ihrem „hervorragenden Ergebnis“, welches, so Scharping, „ganz neue strategische Möglichkeiten für die kommenden Jahre eröffnen würde“. Konkret verweist er auf die mögliche Zweidrittelmehrheit im Bundesrat, den geringen Vorsprung der Koalition im Bundestag und die ganz neue Stabilität der SPD unter seiner Führung. Daran werde sich ganz sicher nichts ändern, machte sein Bundesgeschäftsführer Günter Verheugen deutlich.

Rudolf Scharping, in der Partei unumstritten, will auch weiter die Hauptrolle spielen – als Regisseur der SPD-Opposition. Schon heute, beim ersten Zusammentreffen der neuen Bundestagsfraktion, soll er zu deren Vorsitzendem gekürt werden. Danach, so Verheugen, könne man gleich loslegen. Der Koalition, ergänzte Scharping, werde seine Partei klarmachen, daß „an der SPD nichts mehr vorbeiführt“. Er kündigte eine „offensive, völlig entschlossene und an der Sache orientierte“ Oppositionsarbeit an.

Die Themen liegen auf der Hand: wirtschaftlicher Fortschritt, soziale Gerechtigkeit und ökologische Modernisierung. Hier werden die Sozialdemokraten ihre reformerische Gestaltungskraft, die sie im Wahlkampf zumeist vermissen ließen, unter Beweis stellen müssen.

Doch zunächst muß die heikle Koalitionsfrage in Mecklenburg- Vorpommern und Thüringen geklärt werden. Empfehlungen an seine Parteifreunde in Schwerin und Erfurt wollte der SPD-Chef zwar nicht abgeben, aber allein aus der Formulierung, die SPD habe ja nun eine Zweidrittelmehrheit im Bundesrat, wurde allerdings deutlich, daß die Bonner Parteispitze auf Große Koalitionen in beiden östlichen Bundesländern setzt. Bei einer Koalition mit der CDU würden diese Länder im Bundesrat im Zweifelsfall mit Enthaltung stimmen. Eine Zusammenarbeit mit der PDS, so war schon am Wahlabend in der SPD-Baracke zu hören, wäre tödlich. Doch als Drohung gegenüber der Kohl-Regierung taugt sie allemal.

Unklar blieb gestern in Bonn vor allem eins: Wenn die konservativ-liberale Regierung tatsächlich vorzeitig ihre Mehrheit verlieren sollte, wie könnte denn dann eine neue Mehrheit aussehen? Sowohl Fischer als auch Scharping wichen dieser Frage systematisch aus. „Meine Sorge im Moment ist, wie Opposition aggressiv und offensiv aussehen kann und nicht wie eine hypothetische Mehrheit für uns aussehen könnte“, fertigte Fischer lästige Frager einigermaßen genervt ab. Und auch die SPD-Spitze wollte sich auf keine Spekulationen einlassen. Nur daß die neue Regierung keine vier Jahre halten wird, so Verheugen, „sagt mir schon mein Lebensgefühl“. Jürgen Gottschlich/

Erwin Single, Bonn

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen