Bügeln, Essen, Schlafen

■ Wenn die Glotze zurückglotzt: "Bleiben Sie dran!" - Der Film zum Fernsehen (21.45 Uhr, ARD)

Damals in den sechziger Jahren, als das Fernsehen noch jung war, sahen die TV-Geräte noch wie Möbel aus. Vor Gebrauch holte man die Mattscheibe aus der diskreten Versenkung von holzfurnierten Schränken, Kommoden oder Truhen. Nach ihrem Erlöschen wurde sie wieder aus dem Blickfeld verbannt. Ganz so, als hätte man sich sonst von der blind in die gute Stube starrenden Elektronenröhre beobachtet gefühlt.

Den abgeklärten TV-Nutzern von heute mag diese Verschämtheit als atavistische Technikdämonisierung erscheinen. Unverhohlen und im permamenten Stand-by glotzen die modernen TV-Screens in die Wohnungen. Längst begleitet uns das Fernsehen bei allen Lebensvollzügen, bevorzugt aber – wie Marktforscher wiederholt entsetzt feststellen mußten – beim Bügeln, Essen und Schlafen.

So scheint mit dem Instrumentarium der Statistik mittlerweile die Frage geklärt zu sein, was die TV-Geräte erblicken würden, wenn sie denn magischerweise doch sehen könnten. Eine Antwort, mit der sich Claus Strigel und Bertram Verhaag nicht zufriedengegeben haben. Also machten sie Ernst mit der abergläubischen Furcht der Altvorderen und polten die Fernseher um. Ein brillanter Kunstgriff: „Bleiben Sie dran!“ ist der erste TV-Film, der die TV- Nutzer aus der Sicht der TV-Geräte beobachtet und befragt. Herausgekommen ist ein raffiniertes Stück Medienreflexion, schwindelerregend vor lauter Selbstbezüglichkeit. Eine Montage aus O-Tönen und unkommentierten Kamerabeobachtungen, die ein Sittenbild des Mediums in den Neunzigern ergibt: ein Kompendium der Lüste, der Langeweile und der Abhängigkeiten angesichts des ewig nicht mehr endenden Bilderstroms auf bald 30 Kanälen.

Da funktioniert der Fernsehapparat als gnädige Vergessensmaschine. Ein alter Herr findet es am „allerschönsten“, daß er am nächsten Tag gar nicht mehr weiß, was er angeschaut hat: „Ich gehe unbeschwert ins Bett und träume auch nicht davon.“ Nicht die Inhalte, sondern die Sendezeiten bleiben in den Köpfen: Mühelos beten die TV-User in „Bleiben sie dran!“ die Sendezeiten der Meisers, Christens und Schreinemakers herunter. Fernsehen strukturiert unseren Alltag wie früher der Kirchgang. Die „Tagesschau“ wird unversehens zur Nachtmette, wenn Strigel und Verhaag zum Trailer die Glocken läuten lassen.

Schließlich ist das Fern-Sehen auch das Distanzmedium par excellence. Beruhigend stellt sich die Mattscheibe zwischen unsere voyeuristische Neugier und die Gefahr eines wirklichen Involviertseins. „Hier kommt mir keiner zu nah“, sagt ein Zuschauer. Weder die armen Seelen, die mit ihren Defekten und Absonderlichkeiten die Talkshow bevölkern, noch die virtuellen Nachbarn aus der „Lindenstraße“. Und natürlich ist Fernsehen immer auch der große Bluff. Zu den entlarvendsten Szenen von „Bleiben Sie dran!“ gehören die Aufnahmen von den Vorbereitungen einer Spielshow. Ein smarter Einpeitscher instruiert das Publikum, wann es zu klatschen beziehungsweise zu buhen habe: „Der Zuschauer muß das Gefühl haben, heute ist der schönste Tag in ihrem Leben.“ Gleich busseweise werden Seniorengruppen zum „Glücksrad“ gekarrt, um dort bei der Studioaufzeichnung für die dem TV-Zuschauer so wichtige Erlebnisdichte zu sorgen.

Die meisten Versuche einer reflexiven Annäherung des Fernsehens an sich selbst haben ein Problem: Entweder sie verfehlen das Fernsehen, indem sie es von vorneherein verteufeln, oder sie bleiben darin stecken, indem sie nicht über es herauskommen. Das alles verwertende elektronische Medium scheint die angemessene Distanz zu sich selbst nur schwer aufbringen zu können. Sendungen, die in der jüngsten Zeit mit dem Anspruch einer Mediendurchdringung angetreten sind („Canale Grande“, „studio/moor“, „Parlazzo“) laufen immer wieder Gefahr, in gefälliger Selbstreferentialität zu implodieren. Mit kritischer Geste tun sie letztlich nichts anderes, als den Mythos vom grandiosen TV-Betrieb einmal mehr weiterzuweben. Gemessen daran, kann das Verdienst des Autorenduos Strigel/Verhaag hier gar nicht genug herausgestellt werden. Im wahrsten Sinne formvollendet spiegeln sie in „Bleiben Sie dran!“ den TV-Apparat als einen Moloch, der uns in Abhängigkeiten zwingt und uns die Lebenszeit wegsaugt, um sie in Form von Einschaltquoten zu den Sendern zu pumpen. Selten wird im Fernsehen derart klarsichtig über Fernsehen nachgedacht – und das bar jeder eitlen Attitüde. Also: „Bleiben Sie heute dran!“ Und nach Sendeschluß: Her mit den Grimme-Preisen! Martin Muser