: Baby Kim und sein amerikanischer Held
Nordkorea trotzt den USA eine Einigung im Poker um sein Atomprogramm ab / IAEO darf alle atomaren Einrichtungen in Nordkorea inspizieren, dafür erhält das Land ein neues AKW ■ Von Georg Blume
Tokio (taz) – Nordkoreas angehender Diktator Kim Jing Il hatte sich am Montag nicht umsonst zum ersten Mal seit drei Monaten der Welt gezeigt. Kaum waren die Bilder über die westlichen Fensehbildschirme gelaufen, da enthüllten auch schon die Unterhändler in Genf in der Nacht zum Dienstag das neue verhandlungspolitische Gesicht des nordkoreanischen Regimes: kompromißbereit und flexibel statt unbeugsam und hartnäckig wie der alte Führer Kim Il Sung. So rücksichtsvoll, ja geradezu gehorsam benahm sich der gefürchtete nordkoreanische Delegationsleiter Kang Sok Ju gegenüber seinem amerikanischen Verhandlungspartner Robert Gallucci, daß er letzteren die durchaus unerwartete Einigung im koreanischen Atompoker allein verkünden ließ und in einer viel später anberaumten Pressekonferenz am Dienstag nur hinzufügte: „Unser Vertrag soll am Freitag unterzeichnet werden. Ansonsten stimme ich allen Erklärungen von Herrn Gallucci zu.“
Die vornehme Zurückhaltung der Nordkoreaner hatte sich zu diesem Zeitpunkt freilich schon bezahlt gemacht. Denn in Tönen, die noch am Vortag die wenigsten Experten für möglich gehalten hätten, pries der US-Vizeaußenminister Gallucci nun den neuesten Triumph der Clinton-Diplomatie: „Unser Abkommen ist eine Antwort auf alle Probleme hinsichtlich der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft des nordkoreanischen Atomprogramms.“ Ein solches Versprechen konnte wohl kaum einer glaubwürdiger machen als diese John-Wayne-Figur im Clinton-Team mit den leicht wehenden Haaren und der bei Fototerminen unverwechselbaren Sonnenbrille. Jemand wie Gallucci hätte sich wohl kaum von dem drei Köpfe kleineren Kang über den Tisch ziehen lassen.
Noch liegt das Verhandlungsergebnis nicht schriftlich einsehbar auf dem Tisch. Aber soviel weiß man schon: Beide Seiten haben Federn gelassen. Die Nordkoreaner versprachen, alle atomaren Einrichtungen ihres Landes den Kontrollen der Wiener Atombehörde (IAEO) zu öffnen – darunter auch die bislang nicht erklärten Anlagen in Yongbyon, wo die IAEO jene abgebrannten Atombrennstäbe vermutet, denen möglicherweise Plutonium für die Herstellung von Atombomben entnommen wurde. Wie gleich nun das Prinzip solcher Kontrollen im geplanten Abkommen zwischen Nordkorea und den USA festgehalten ist – der Zeitpunkt ist es nicht. Denn hier mußte nun die amerikanische Seite nachgeben. So verspricht Washington Nordkorea offenbar verbindlich, daß die USA für den Bau eines neues Leichtwasserreaktor-AKW Sorge tragen werden. Der Einigungspassus legt dabei fest, daß die Inspektionen der IAEO noch stattfinden sollen, bevor die großen Bauteile des Reaktors errichtet werden. Also kein Gratis-AKW für Pjöngjang, aber auch keine Gratis-Inspektionen für den Westen. Erst wenn sich der neue AKW-Bau schon auf guter Strecke befindet, soll das Geheimnis des nordkoreanischen Atomprogramms von den Inspektoren gelüftet werden können.
Entsprechend bissig fielen vor allem in Südkorea die Reaktionen aus. Dort hatte man bis zuletzt darauf bestanden, daß Reaktorhilfe für Nordkorea erst nach der Durchführung der Atominspektionen in Frage käme. Man sei nicht vollkommen zufrieden, kommentierte ein zerknirschter südkoreanischer Außenminister in Seoul, sprach dann aber doch von einer „sehr guten Übereinkunft“. Auch darüber durfte sich Baby Kim im Norden freuen: Seoul steht im Regen, während seinem Regime nun die Normalisierung der Beziehungen zu Amerika winkt.
Sogar für die zukünftige Energieversorgung hat sich Pjöngjang ein Versprechen eingeholt: Zehn Jahre lang wollen die USA Nordkorea mit alternativen Energiequellen versorgen. Als Gegendienst werden alle Atomreaktoren Nordkoreas sofort stillgelegt. Wenn alles gutgeht, läuft das neue Vertragswerk also frühestens im Jahr 2004 aus – aber ist es gut, wenn Baby Kim so lange überlebt?
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