Menschliche Gene bald im Besitz der Industrie?

■ Europarat und EU-Parlament uneinig über Richtlinie zur Gen-Patentierung

Berlin (taz) – Das Europäische Parlament will Erbmaterial von Menschen, Tieren und Pflanzen wirksamer vor dem Zugriff der Industrie schützen, als der Ministerrat ursprünglich vorhatte. Nun muß sich der Vermittlungsausschuß zwischen beiden Institutionen mit der „Richtlinie über den rechtlichen Schutz für biotechnologische Erfindungen“ befassen.

Die Europa-PolitikerInnen versuchen seit sechs Jahren, der um sich greifenden Patentierung gentechnologischer Erzeugnisse einen rechtlichen Rahmen zu geben. Industrieunternehmen fordern eine Regelung, weil sie ihre Investitionen in die Gentechnologie mittels Patenten gegen die Konkurrenz schützen wollen.

Das Vermittlungsverfahren in Brüssel war notwendig geworden, weil das Parlament den Richtlinien-Entwurf des Rates der JustizministerInnen in einigen Punkten verändert sehen wollte. Anders als früher hat das Parlament seit dem Vertrag von Maastricht die Macht, Vorgaben des Rates abzulehnen.

Die Patentierbarkeit menschlicher Gene, Keimzellen oder gar Embryonen wird der zentrale Streitpunkt während der voraussichtlich sechs Verhandlungswochen sein. Der Entwurf des Rates sieht vor, daß für Erbmaterial ein Patent angemeldet werden kann, sobald es als „isolierter Bestandteil des menschlichen Körpers“ vorliegt. Das Parlament hingegen findet, menschliche Erbinformationen seien Allgemeingut. Es will den rechtlichen Schutz erst gewähren, wenn ein Unternehmen mittels der isolierten Gene ein neues Produkt, zum Beispiel ein Medikament oder ein Therapieverfahren, entwickelt hat. Auch die Frage, welche Genmanipulationen am Menschen überhaupt Patentschutz genießen sollen, ist strittig. Anders als der Ministerrat wollen die ParlamentarierInnen Genpatentierung nur zu „therapeutischen Zwecken“ gestatten.

Hiltrud Breyer, Europaabgeordnete von Bündnis 90/Die Grünen, lehnt die beiden Entwürfe trotzdem grundsätzlich ab, steht damit jedoch allein im Vermittlungssausschuß. Die Richtlinie werde der Patentierung von menschlichem, tierischem und pflanzlichem Erbmaterial Tür und Tor öffnen. Besonders kritisiert Breyer, daß jetzt erstmalig medizinische Therapien zum Eigentum von Industrieunternehmen erklärt werden sollen, womit dann Lizenzgebühren fällig würden. Für das Gen-ethische Netzwerk in Berlin ist das Ergebnis klar: „Nicht die Krankheit eines Menschen, sondern Geld und Besitzrechte bestimmen damit die Wahl der Therapie.“ Hannes Koch