Dieser mecklenburgische Dickschädel!

■ Der Bundes-SPD ist es ja peinlich, aber der mecklenburg-vorpommerische SPD-Chef Ringstorff möchte eine Minderheitsregierung anführen und sich von der PDS dulden lassen - sonst wäre die SPD nur ...

Der Bundes-SPD ist es ja peinlich, aber der mecklenburg-vorpommerische SPD-Chef Ringstorff möchte eine Minderheits-

regierung anführen und sich von der PDS dulden lassen – sonst wäre die SPD nur Juniorpartner in einer Großen Koalition

Dieser mecklenburgische Dickschädel!

„Die Mecklenburger sind Dickschädel, die sollen sich zusammensetzen und zwei Klare trinken, dann läuft das schon.“ Doch so schnell wie am Stammtisch scheint die Annäherung zwischen dem CDU-Ministerpräsidenten von Mecklenburg-Vorpommern Berndt Seite und seinem SPD- Herausforderer Harald Ringstorff nicht zu funktionieren. Im Wahlkampf waren sich die beiden aus dem Weg gegangen, aber auch am Wahlabend sträubten sie sich lange gegen einen gemeinsamen Auftritt vor der Kamera.

Am Montag abend schließlich traten die beiden Konkurrenten um den Chefsessel in der Landesregierung gemeinsam vor die Fernsehkamera. Mit den Worten „Mecklenburg braucht eine stabile Mehrheit“ lud der Ministerpräsident seinen SPD-Herausforderer zu Koalitionsverhandlungen ein. Doch dem Ministerpräsidenten sträubten sich die Haare, als Harald Ringstorff ankündigte, er wolle fast gleichberechtigt sowohl mit der CDU als auch mit der PDS Sondierungsgespräche führen. Mit dem kleinen Unterschied, bei den Gesprächen mit der CDU solle es um die Vorbereitung von Koalitionsverhandlungen gehen, mit der PDS solle lediglich über die Möglichkeiten einer Tolerierung gesprochen werden. Gestern nachmittag gab Ringstorff brav und auf Weisung von Bonn die Reihenfolge der Verhandlungen bekannt: erst CDU, dann PDS.

Reine Hinhaltetaktik ist es nicht, die den SPD-Chef dazu treibt, mit beiden Parteien das Gespräch zu suchen. Im Wahlkampf hatte Ringstorff scharf gegen die CDU geschossen und sich gleichzeitig mit versöhnlichen Wahlslogans wie „die SPD wird den lähmenden Streit um Gestern beenden“ um PDS-Wähler bemüht. Darüber hinaus gilt der SPD-Landesvorsitzende als besonders ehrgeizig. In vielen Fragen steht Ringstorff der PDS politisch sehr viel näher. In der Bildungs- und Wohnungsbaupolitik sind die Forderungen von PDS und SPD nahezu identisch. Beim Bau der Küstenautobahn und in der Wirtschaftspolitik jedoch sieht Ringstorff eine tiefe Kluft zu den Vorstellungen der PDS: Die SPD will die Autobahn, die PDS nicht. So schloß Ringstorff also nicht aus, als Ministerpräsident einer Minderheitsregierung sich auf beiden Seiten um Zustimmung in Einzelfragen zu bemühen. Seit den Wahlen im Juni macht die SPD in vielen Kommunalparlamenten Mecklenburg-Vorpommerns die bittere Erfahrung, daß sie – in die Große Koalition gezwungen – mit der CDU gleichgesetzt wird, während sich die PDS als freche Opposition profilieren kann. Schon im Sommer hatte die SPD in einigen Kreisen und Städten mit Hilfe der PDS versucht, die Vorherrschaft der CDU zu brechen, war aber nach Protesten dann vielfach wieder zurückgeschreckt. In Stralsund zum Beispiel hatten sich SPD, Grüne und PDS gemeinsam schon auf die öffentliche Ausschreibung des Oberbürgermeisterpostens geeinigt. Die Empörung in Teilen der SPD und in der Bevölkerung war so groß, daß die SPD schließlich doch den CDU-Kandidaten, den sie kurz zuvor noch für unfähig hielt, wieder ins Amt hob. – Laut einer Infas-Umfrage würden zwar 50 Prozent der SPD-Wähler in Mecklenburg eine Koalition der SPD mit der PDS unterstützen, aber fraglich scheint trotzdem, ob sich Ringstorff gegen Proteste in der Bevölkerung und Widerstände in den eigenen Reihen durchsetzen kann.

Von seiner Fraktion ist Ringstorff schon mehrfach wegen seiner politischen Alleingänge kritisiert worden. So hatte Ringstorff zum Beispiel im Frühjahr sein Schattenkabinett ohne Rücksprache mit der von ihm geführten Landtagsfraktion zusammengestellt und seine Parteifreunde lediglich eine Stunde vor der Pressekonferenz darüber informiert. Am Samstag trifft sich der Parteirat der mecklenburg-vorpommerschen SPD, um über das weitere Vorgehen zu beraten, und natürlich müsse, so Ringstorff, ein Sonderparteitag die Ergebnisse von Verhandlungen bestätigen.

Die PDS wolle alles dafür tun, vier weitere Seite-Jahre zu verhindern, erklärte der Landesvorsitzende der PDS, Helmut Holter, gestern in Schwerin und werde daher die Wahl von Ringstorff unterstützen. „Aber die PDS ist nicht wie in Magdeburg zum Nulltarif zu haben“. Mögliche Basis für eine Zusammenarbeit wären die vielen Beschlußvorlagen, bei denen PDS und SPD in den letzten Jahren zusammen abgestimmt haben. Darüber hinaus will die PDS die SPD zum Beispiel dazu bewegen, die Verfassungsdiskussion um soziale Rechte und Elemente unmittelbarer Demokratie in Mecklenburg- Vorpommern wieder aufzunehmen. Am Sonntag soll in Schwerin ein PDS-Parteitag die konkreten Ziele für Verhandlungen mit der SPD formulieren.

Wechselnde Mehrheiten sind auch für die PDS kein Problem. Im Gegenteil, so Holter, die PDS wolle sich nicht „das Recht und die Freiheit“ nehmen lassen, „eine SPD-Regierung zu kritisieren“. Schon die Verabschiedung des Haushalts könnte zum Knackpunkt für eine mögliche Tolerierung werden. Da drängt die Zeit, der letzte Landtag hat den Haushalt für 1995 noch nicht durchgebracht.

Bleibt die spannende Frage, ob die SPD in Bonn mitmachen wird, wenn die SPD in Schwerin wollen sollte. Eine Koalition mit der PDS werde es nicht geben, befand der SPD-Vorstand einhellig bei seiner Sitzung am Montag. Und auch sonst läuft, wenn es nach der SPD- Spitze gehen soll, mit der umgetauften SED so gut wie nichts.

Harald Ringstorff wurde die Botschaft durch seinen Stellvertreter übermittelt. Doch der Schweriner SPD-Landeschef will sich nicht so leicht überzeugen lassen. Die PDS stehe SPD-Positionen näher als die Union, wandte er wieder mal ein, er halte es nicht für ausgeschlossen, sich mit deren Stimmen zum Ministerpräsidenten wählen zu lassen.

„Keine bestimmende Rolle“ dürfe der PDS zufallen, legte sich auch Scharping fest. Eine Duldung einer SPD-Regierung durch die PDS, so der Parteichef, könne er sich schlecht vorstellen, finde es aber richtig, daß sondiert werde. Die Entscheidung liegt beim Landesverband. Ansonsten gibt sich Scharping einsilbig: Öffentlich wolle er zur dortigen Regierungsbildung nichts sagen.

In den SPD-Spitzengremien, so war zu hören, konnte sich niemand für eine wie auch immer geartete SPD-PDS-Liaison erwärmen. Nach der Meinung von so gewichtigen Personen wie Johannes Rau oder dem SPD-Vize Oskar Lafontaine ist eine Kooperation mit der PDS in Neufünfland nicht zu machen. Rau, der von jeher jedes Techtelmechtel mit der PDS kategorisch abgelehnt hatte, will erst gar nicht zulassen, daß eigenwillige Landesfürsten wie Ringstorff mit Hilfe von Gysis bunter Truppe an die Macht gelangen. Das Thema PDS, so der Versöhnler aus Düsseldorf, dürfe nicht der Obhut der Länder überlassen werden. Auch Ost- Vorsteher Wolfgang Thierse warnt vor einer Zusammenarbeit: „Das ist eine klare Grundposition, die darf auf keinen Fall in Frage gestellt werden“, erklärte der stellvertretende SPD- Vorsitzende im NDR. Für Günter Verheugen geht es gar ums Prinzip: Auf die PDS dürfe und werde es in der deutschen Politik nicht ankommen.

Schon einmal haben die Sozialdemokraten in Magdeburg hoch gepokert – und dabei verloren. Denn schließlich, gab Scharping am Montag offen zu, habe neben dem einsetzenden Aufschwung die Kampagne der CDU gegen die PDS-Tolerierung der rot-grünen Regierung in Sachsen-Anhalt zu der „schwierigen Lage im Sommer“ geführt. Da war Scharping im Tief, und keiner wollte auf den Wechsel mehr wetten. Verstrickt in den Widerspruch zwischen Maxime und Praxis, sich zwar gegen eine PDS-Kooperation auszusprechen, aber deren Stimmen fest einzukalkulieren, mußte sich die SPD von Helmut Kohl Unglaubwürdigkeit vorhalten lassen und lieferte Regierung und Medien auch noch den Wahlkampfschlager frei ins Haus. Die SPD hat Angst, daß die CDU Scharping der Täuschung bezichtigt. Auch die eigene Partei würde vor eine Zerreißprobe gestellt. Dann schon lieber, trotz Horror und Widerwillen, in eine Große Koalition mit der CDU, man muß ja nicht gleich das erste Angebot des Tierarztes Berndt Seite annehmen. Die CDU kann alleine nicht regieren, und das treibt selbstverständlich den Preis hoch. Ob in Bonn oder Schwerin – die SPD wird auf jeden Fall erst einmal ihren „strategischen Vorteil“ ausspielen. Scharpings sybillinischer Kommentar zur prekären Lage in Schwerin: „Es wird eine neue Politik im Lande geben.“ Christoph Seils/Erwin Single