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Ökotopia an der Costa del Spree

Die Umweltfabrik Atlantis produziert seit fünf Jahren klimafreundliche Energieanlagen, schafft damit Arbeitsplätze und spart Geld / Ein Stück verwirklichte Utopie mitten in Kreuzberg  ■ Von Hannes Koch

Wenn bei Kreuzberg die weiße Sonne im Fluß sich spiegelt, schlagen die Zeiger der Schalttafel aus. Dann sehen Schulklassen, Umweltgruppen, Lehrlinge, daß es auch anders geht. Daß Strom und warmes Wasser vom Dach des alten Fabrikgebäudes fließen, Lampen und Computer betreiben, Duschen erwärmen, ohne daß ein Tropfen Öl verbrennt. Der große Schaltschrank der Umweltfirma Atlantis mit seinen farbigen Anzeigen und Displays symbolisiert das Netzwerk der umweltfreundlichen Hausversorgung und dient sowohl als Demonstrationsobjekt als auch zur Überprüfung der energetischen Leistungsfähigkeit der Anlagen, die Atlantis seit fünf Jahren auf Häusern, Fabriken und Schiffen montiert.

Auf dem Dach des Gründerzeithauses, das einstmals eine königlich-preußische Dampfwäscherei beherbergte, gibt Ingenieur Dieter Uh einen Einführungskurs in Solartechnik. Links unterhalb des Dachgartens hängen die Photovoltaik-Module verschiedener Kraft und Technik, die Sonnenlicht in elektrischen Strom umsetzen. Blau und rot schimmern die quadratmetergroßen Platten aus Silicium. Besonders ausgeklügelt: Auf einem Metallständer sind vier Module befestigt, die, in horizontaler und vertikaler Richtung beweglich, automatisch den Lauf der Sonne verfolgen. Rechts oberhalb der Terrasse sammeln Sonnenkollektoren die Energiestrahlung. Durch die Rohre der Kollektoren fließt kaltes Wasser, heizt sich auf und kann später Heizungen und Duschen speisen. Für die Förderung der Sonnenenergie und die Reduktion der Verbrennung von Holz, Kohle, Öl und Uran hat Atlantis unlängst den Europäischen Solarpreis der EU erhalten.

Natürlich steht die Sonnenwende erst am Anfang. Fraglich ist, ob sie sich angesichts der politischen Prioritäten jemals durchsetzen kann. Ein Blick vom Atlantis- Hauptsitz an der Cuvrystraße über die Kreuzberger Dächer beweist, daß kaum ein Haus die umweltfreundliche Energie nutzt. „Jede Menge Platz“, meint Dieter Uh, und seine Gedanken schweifen in die Ferne, „auch für die zweite und dritte Welt bietet Sonnenenergie eine Entwicklungschance ohne Krieg und Naturverwüstung.“

Bevor es aber daran geht, die Welt zu retten, expandiert Atlantis kräftig in heimischen Gefilden. An sechs Standorten residiert die Firma mittlerweile in Kreuzberg, Außenstellen betreibt sie in Potsdam und Neu Zittau. Der Betrieb bietet ein umfangreiches Angebot von Bildung, Entwicklung und Produktion. Die Herstellung von Windkraftanlagen gehört ebenso zum Programm wie energiesparende Um- und Ausbauten von Gebäuden, die die Atlantis-Bautrupps erledigen. Auch im Verkehrssektor ist man tätig: die Barkasse „Van Loon“, ein im Landwehrkanal liegendes Kneipenschiff, wird jetzt teilweise mit Strom aus Solarmodulen versorgt.

Atlantis – der Name ist der griechischen Mythologie entlehnt und bezeichnet die sagenhafte, kulturell hochstehende Insel, die leider im Meer versank. Züge eines paradiesischen Eilandes trägt der aufwendig sanierte Gebäudekomplex am Spreeufer durchaus. Im Innern erinnern die Farben an das milde Türkis und strahlende Weiß griechischer Bauernhäuser, dank eigenwilliger Architektur und vieler gläserner Zwischenwände gelangt genug Licht in die tiefen Geschosse. Und wer am geöffneten Fabrikfenster sitzt, auf den im Sonnenlicht gleißenden Fluß blickt und unten die Wellen an die Hauswand klatschen hört, mag sich an Südspanien erinnert fühlen.

Auch das betriebs- und volkswirtschaftliche Konzept ist ein Stück verwirklichte Utopie. Denn Atlantis ist kein normaler Betrieb, der sich überwiegend durch den kapitalistischen Markt finanziert. Statt dessen kommen 70 Prozent des Budgets vom Staat, Arbeitsplätze für Arbeitslose und innovative, umweltfreundliche Technologien werden hier subventioniert. Rund 350 der insgesamt 400 Beschäftigten werden ganz oder teilweise öffentlich bezahlt, qualifizieren sich in Umweltberufen und haben nach dem Auslaufen der meist befristeten Arbeitsplätze oft bessere Vermittlungschancen auf dem normalen Arbeitsmarkt.

Für den Staat hat der sogenannte zweite Arbeitsmarkt ebenfalls sein Gutes, denn die öffentlichen Kassen sparen Geld. Der Trick ist einfach: Arbeitslose bekommen Arbeitslosengeld, zahlen aber keine Steuern und Sozialversicherungsbeiträge. Öffentlich geförderte Atlantis-Arbeiter hingegen zahlen wieder Steuern und stellen darüber hinaus Produkte her, die dem Staat mittels Abgaben weitere Einnahmen bringen. Im Saldo ist die Bezahlung von Arbeit allemal billiger als die Finanzierung von Arbeitslosigkeit.

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