Eine latent erotische Ebene

Deutsche Geschichte in privaten Bildern und ohne Stars: Ein Porträt des ostdeutschen Dokumentarfilmregisseurs Volker Koepp zur Deutschlandtournee seiner Filme  ■ Von Anke Westphal

Kein Computer, keine Kaffeemaschine, kein Faxgerät. In der Schlafecke eine Glotze mit briefmarkengroßem Bildschirm. Am Trennpfeiler zur Küche klebt noch die Quittung von „Möbel-Höffi“, und über dem Pankower Dach setzt ein Flugzeug zur Landung auf Tegel an. Volker Koepp ist gastfreundlich. Ein Täßchen Dackelbraunen, ein Kaviarbrötchen, Wodka und Musik. Koepp meditiert vor seiner fabrikneuen Stereoanlage. „Ich krieg das oft hin, daß sie angeht“, triumphiert er. Dies hier ist eher eines der Male, wo er's nicht hinkriegt. Am Schneidetisch kennt Koepp sich besser aus. Der Fotograf springt als Tontechniker ein. Tom Waits auf russisch und John Lee Hooker. Ein argloser Held, ein Hans im Glück, ein guter Tor, dieser Herr Regisseur?

Stellt lieber selber Fragen

1993 der Preis der Deutschen Filmkritik für Koepps „Wismut“, eine Bestandsaufnahme des größten Umweltskandals der DDR. Der diesjährige Bundesfilmpreis dann für die „Wittstock“-Trilogie. Volker Koepp dreht Filme ohne „richtige Stars“ – Dokumentarfilme. „Dokumentarfilme drehen ist das Herstellen von Dokumenten“, definiert er etwas schläfrig. Herr Koepp hat eine Gastprofessur für Dokumentarfilm an der Babelsberger Filmhochschule.

Diese Situation hier behagt ihm anfangs nicht so richtig. Er beantwortet zwar, gaaanz langsam, die Fragen, stellt aber lieber selber welche. Das ist schließlich sein Metier. „Woher kommen Sie?“ „Aus Eisenhüttenstadt.“ „Ah, Josef Wissarionowitsch Eisenhüttenstadt!“ Die „erste sozialistische Stadt“, 1952 auf dem Reißbrett entworfen, hieß bis 1961 „Stalinstadt“. Der Mann hat die Hintertreppenwitze der Geschichte nicht vergessen.

In der Produktion bewährt

Warum drehte einer – ausgerechnet! – den Arbeitsalltag in der DDR, wo „Polizeiruf 110“ oder Indianerschmonzetten mit Gojko Mitić doch ungleich mehr Popularität versprachen. Ende der 60er Jahre sollte Koepp wegen „ideologischer Verfehlungen“ von der Filmhochschule fliegen, durfte sich dann aber „in der Produktion bewähren“. „Bewährt“ hatte sich der gelernte Maschinenbauschlosser jedoch schon. Als Strafarbeit lieferte er einen kurzen Film über eine Baubrigade. Die Materie hat Koepp gefallen, die Erziehungsmaßnahme fruchtete nicht so richtig: „Arbeiter waren in der DDR zwar die herrschende Klasse, aber genauso angeschissen wie überall.“ Die Hinwendung zum Alltag, eine verbesserte Kameratechnik, die Synchronaufnahmen von Bild und Ton ermöglichten, Cinema Verité und Cinema Direct machten die „sogenannten einfachen Menschen“ in den 60ern für die Kamera interessant, wie Koepp sagte, „etwas aus der Wirklichkeit herausfiltern und es beschreiben“. Nun entsprach Koepps unheroische Art, Wirklichkeit zu beschreiben, nicht unbedingt den Vorstellungen der Hauptverwaltung Film beim Ministerium für Kultur. Nicht nur Koepp verbrachte unglaublich viel Zeit damit, seine Filme durch „die Abnahme zu kriegen“. Sie wurden in ausgewählten Programmkinos, nie aber im DDR-Fernsehen gezeigt. „Das Symbol ist die Wirklichkeit“, behauptet Koepp noch heute. Das hatte man auch oben begriffen.

Man wird geboren, qualifiziert sich...

In Wittstock an der Dosse wird Anfang der 70er Jahre vor der Stadtmauer ein „Obertrikotagenwerk“ für 2.700 Werktätige gebaut. Zwischen 1974 und 1992 begleitet Koepp das Leben von drei Arbeiterinnen in der märkischen Kleinstadt. Elsbeth, Edith und Renate sehen sich 1992, beim Dreh zu „Neues aus Wittstock“, die alten Filme an. Junge Frauen, die beim Betriebsvergnügen miteinander tanzten, weil die Monoindustrie einen Männermangel nach sich zog. Träume von einem Ehemann, der nicht trinkt oder prügelt, und einem Urlaub in Bulgarien. „Was macht das Leben aus?“ – „Man wird geboren, qualifiziert sich, später stirbt man wieder.“ 18 Jahre später erinnern sich Elsbeth, Edith und Renate an Frauentagsfeiern, Demonstrationen zum 1.Mai, Jugendweihe und die „Würdigung der Arbeit“. „Die alten Zeiten waren schön“, denn „heute ist jeder für sich“. Deutsche Geschichte in privaten Bildern. Eine Finanzberaterin erläutert der inzwischen arbeitslosen Edith im Wohnzimmer, wie man mit einem Grundkapital von 50Mark reich wird. Renate soll einem Altbundesbürger, der ihr großmäulig erklärt, wie der Sozialismus eigentlich war, etwas über Planwirtschaft erzählen. Renate war 30 Jahre in der SED – „alles für die Katz“. Die Wittstocker Karl-Marx-Straße heißt jetzt Sankt-Marien-Straße. Langsam fährt die Kamera am verwaisten Textilwerk entlang; Einheimische blinzeln ins Schaufenster eines Reisebüros: Neugier und Argwohn. Die Welt ist weder gut noch schlecht. Koepps Kommentar tönt nicht aus dem Off, er liegt im Material. Im Dezember 1990 darf Volker Koepp zum letztenmal ins Werk. „Sie gewinnen mir ja keine Kunden“, konstatiert der neue Eigentümer am Telefon. Er verlangt 1.000 DM Aufwandsentschädigung für eine Interviewminute. Dennoch: Volker Koepp macht niemanden lächerlich, weder ihn noch Elsbeth im Nylonkittel, noch Edith vor einer Schrankwand in Eiche brutal. Heute sagt Koepp: „Ich zeige fast alle Filme gern, die ich gemacht habe.“ Wer kann das schon von seiner Arbeit behaupten. Edith verläßt Wittstock 1992 und zieht nach Süddeutschland, um dort Arbeit zu finden. Koepp nimmt Anteil am Schicksal der drei über die Lebens-Wende müde gewordenen Frauen, identifiziert sich jedoch nicht. „Leben in Wittstock“ (1984) verortet Sicherheit in einem Unglück, das besser nicht erkannt werden will. Nach 20 Jahren gibt Koepp sich pragmatisch: „Es wäre sowieso nicht so weiter gegangen.“ Er hat recht. Ein Regisseur ist nicht Gott. „Ich dringe in fremde Leben ein, aber ich fahre wieder weg. Ich tue erst gar nicht so, als würde ich dazugehören.“ Im Sommer 1994 bereist Volker Koepp das äußerste Ostpreußen, wo oft mehr als fünfzig Nationen miteinander lebten, ein Bürgergemisch aus Polen, Litauern, Russen, Juden, Deutschen und anderen.

Warum immer und immerFrauen?

Der 50jährige Koepp stammt aus Szczecin, und „der frühere Osten Deutschlands“ hat ihn immer interessiert. Sein neuer Film „Kalte Heimat“ wird „ein Bild von Wanderungen in diesem Jahrhundert“. Fünf Frauen, Deutsche und Russinnen, hat Koepp diesmal porträtiert. Warum immer Frauen? – Nun, „das sind wohl meist die stärkeren Figuren in der Kunst“, doziert Koepp ernsthaft. Ich falle um vor Lachen. Neuer Ansatz: „Frauen sind eher bereit als Männer, zu sagen, was sie denken.“ Das kommt der Wahrheit wohl näher. Schließlich: „Ich bin gern mit Frauen zusammen.“ Koepp lacht, als er das sagt. Bei ihm gewinnt jeder Dialog zwischen der Kamera und ihrem Gegenüber eine latent erotische Ebene. Eine ungemein schöne, würdevolle Spannung teilt sich mit, selbst auf den Standfotos zu „Kalte Heimat“. Die Russin Olga mit einer Geburtstagstorte im Garten, eine früh verbrauchte Prinzessin. Dieselbe Olga beim Abwasch in der schäbigen Küche. 400.000 Mark, das Geld vom Bundesfilmpreis, hat Koepp in „Kalte Heimat“ investiert. „Es ist eine aufwendige Geschichte, 35mm und Schwarzweiß zu finanzieren.“ Zur Berlinale 1995 wird man den Film dann sehen können, vielleicht auch, später mal, in den dritten Fernsehprogrammen. Das war „im Osten“ unbestreitbar besser, finde ich, die Pflichtpräsenz von Dokumentarfilmen in den Kinos.

Das Herstellen von Dokumenten

Das Budget „Dokumentarfilm“ in der DDR mußte auch für „Unser Sandmännchen“, Russischkurse und Industriefilme reichen. Volker Koepp ist einer der wenigen, die beim Thema DDR nicht sentimental werden. Seine Aufgabe ist „das Herstellen von Dokumenten“, der Flüchtigkeit von Fernsehbildern etwas entgegenzusetzen. „Das find' ich janz jut, auch wenn das ein hoffnungsloses Unterfangen ist.“ Koepp hatte sich innerlich schon lange vom Osten verabschiedet, seine Entlassung bei der DEFA als Befreiung empfunden. Wittstock, Wismut, Märkische Heide, Thüringer „Hütes“, weite Felder meinen die Abwesenheit von Pathos. Sein Bekanntheitsgrad, so grummelt Koepp zufrieden, halte sich trotz aller Ehrungen in Grenzen. Das sollte geändert werden.

Retrospektive mit Filmen Volker Koepps: Berlin 20. bis 26.10. (Checkpoint), Essen 5./6.11., Hannover 11. bis 13.11., Augsburg 24.11., München 25. bis 27.11., Freiburg 8.12., Frankfurt/M. 9.12.

„Der Koepp denkt immer noch, das mit der Film-Promotion geht von allein!“

O-Ton Verleih der Filmemacher