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■ Strafkammer des Landgerichts Lübeck verkündet drastische Strafsenkung für Handel, Besitz und Abgabe von Haschisch / Strafe erst ab Menge von zweieinhalb bis vier Kilo

Berlin/Lübeck (taz) – In Lübeck können Haschisch-Händler jetzt tief inhalieren vor Erleichterung: vorausgesetzt, sie haben das Glück, daß ihre Strafsache vor der 1. Kleinen Strafkammer des Landgerichts verhandelt wird. Denn dort fällte gestern der Vorsitzende Richter Hartmut Schneider ein sensationelles Urteil. Der Handel, Besitz und die Abgabe von weniger als 200 Gramm THC – das entspricht einer Handelsmenge von zweieinhalb bis vier Kilogramm Haschisch durchschnittlicher Qualität – ist nicht mehr, wie vom Bundesgerichtshof (BGH) festgelegt, ein Verbrechen, sondern nur noch ein Vergehen. Für die DelinquentInnen bedeutet diese deutliche Erhöhung des Grenzwertes eine massive Strafsenkung.

Während bislang bereits bei 7,5 Gramm THC – umgerechnet etwa 150 Konsumeinheiten – eine Mindestfreiheitsstrafe von einem Jahr und eine Höchststrafe von fünfzehn Jahren drohte, greift bei Richter Schneider die erhöhte Strafandrohung erst bei 200 Gramm (sofort Dreisatz lernen, bitte!). Alles, was unter dieser Menge liegt, wird als geringe Menge definiert, es drohen nur noch Geldbußen oder Freiheitsstrafen zwischen einem Monat und fünf Jahren.

Richter Schneider knüpfte bei der Neuorientierung für die Grenzwertbestimmung einer „nicht geringen Menge“ an den sogenannten Cannabis-Beschluß des Bundesverfassungsgerichtes vom März an. Das Gericht kam damals zu der Erkenntnis, daß die Gesundheitsgefahr bei Cannabis-Produkten lange nicht so gravierend sei, wie vom Gesetzgeber einmal angenommen.

Die Lübecker Kammer setzte jetzt noch eins drauf, indem sie nach ausführlicher Anhörung von Drogenexperten zu der Überzeugung gelangte, daß „der einigermaßen geordnete Gebrauch von Haschisch faktisch frei von Bedenken ist“. Cannabis sei „keine Einstiegsdroge“, es gebe keinen „stoffgebundenen Weg“ vom Joint zum Heroinschuß. Alkohol mache abhängiger als ein Pfeifchen. Folgerichtig, so Richter Schneider, müsse Haschisch jetzt auch rechtlich in einen drastischeren Abstand zu harten Drogen gesetzt werden. Das BGH begreife heute noch Cannabis nur dreieinhalbmal weniger gefährlich als Heroin, „was nicht der Realität entspricht“, so Schneider. Er hofft, daß andere Kammern sich seiner Auffassung anschließen.

Bis dahin braucht es aber noch viel Überzeugungsarbeit. Unmittelbar nach Bekanntgabe des Richterspruches legte die Staatsanwaltschaft Lübeck Revision ein. Jetzt ist der 1. Strafsenat des Schleswig- Holsteinischen Oberlandesgerichts am Zuge. Anita Kugler