Kein Mitleid

■ Die FU-Studiobühne zeigt Igor Strawinskys „Geschichte des Soldaten“

Vor der Bühne steht eine Dame in Grau und kaut an den Nägeln. Sie steht schon, wenn das Publikum den Saal betritt. Unerbittlich starrt sie uns an, die Personifizierung von Recht und Ordnung. Nach und nach kommen die anderen: Eine Klavierspielerin, eine Geigerin und ein Klarinettist, und die Dame beginnt mit unbeteiligter Miene, die Geschichte vom Soldaten zu erzählen.

Der Soldat ist auf Urlaub. Er will nach Hause zu seiner Geliebten. Aber ein zwielichtiger Genosse stellt sich ihm in den Weg und dreht ihm ein seltsames Buch an, welches ihm angeblich zu Geld verhelfen wird. Dafür gibt der Soldat das letzte, was er hat: seine Geige. Der Unbekannte nimmt den Soldaten, der nicht mehr sehen und nicht richtig laufen kann, mit zu sich nach Hause. Wir hätten ihm das nicht empfohlen, denn wir ahnen bereits – der Kerl mit dem frechen Grinsen ist der Teufel.

Die Geschichte vom Soldaten ist ein melodramatisches Bühnenstück mit tragischem Ende. Und doch entlockt sie kein Mitgefühl. Denn Strawinskys Musik beleuchtet das Groteske, die vollkommene Verrücktheit der Handlung so nüchtern und böse, daß Furcht oder Mitleid sich nicht einstellen können. Diese Bösartigkeit der Geschichte wird in der Inszenierung der FU-Studiobühne mit MusikstudentInnen der Hanns-Eisler- Schule kalt und lakonisch dargestellt. Die Bühne symbolisiert mit zwei gezackten Pfeilen die Zerrissenheit der Welt und ist auf Kühlschränken erbaut. Daneben sitzen die drei MusikerInnen und spielen zum Höllentanz auf. Der Soldat hat kein Gesicht, ist ein Niemand und trägt all seine Kleider, ausnahmslos rote Overalls, nach dem Zwiebelprinzip übereinander. Unzählige Male häutet er sich, nur um stets doch auszusehen wie immer. Für ihn gibt es keine Veränderung und kein Entkommen. Einzig der Teufel ist munter und lebendig, ein charmantes Kerlchen, eher drollig als dämonisch.

Gerade die kalte Darstellung macht die Geschichte vom Soldaten so schaurig. Wenn der Teufel mit dem Soldaten seine Possen treibt oder der Soldat durch die Reihen zieht und alle fragt, ob sie seine Mama seien, bleibt einem das Lachen im Halse stecken. Auch wenn im Klamauk die Löffel fliegen: Die Geschichte bleibt eine wütende Abrechnung mit dem Krieg, mit der Krämerseele und der Vergeßlichkeit der Menschen. 1918 unter dem Eindruck des Ersten Weltkrieges und der Oktoberrevolution geschrieben, ist sie zeitlos und sehenswert – solange es Soldaten gibt. Christine Hohmeyer

Bis 30.10. Fr-So, 20.30 Uhr, FU- Studiobühne im Theater Forum Kreuzberg, Eisenbahnstraße 21