Unschädliche Kleidung entsteht mit der Idee

■ Zwar ist Vorsicht beim Kleiderkauf geboten, doch ist das Tragen weniger gefährlich als die Herstellung / Greenpeace präferiert eine Volldeklaration aller Inhaltsstoffe / Die Angst der ...

10 bis 20 Kilogramm Textilien verbraucht jährlich jeder Deutsche. Für deren Produktion verschwinden 100.000 von insgesamt 400.000 Tonnen verbrauchter Chemikalien im Abwasser. 12.000 Tonnen Farbe verwenden deutsche Textilveredler zum Färben der Stoffe. Dabei werden 250 Millionen Kubikmeter Abwasser pro Jahr durch die deutschen Kläranlagen gepumpt. Irgendwo müssen die Rückstände ja bleiben. Über mögliche Gefahren, die von Kleidung ausgehen, sprach die taz mit der Produktmanagerin für Textilien bei Greenpeace, Regine Rascher-Friesenhausen (32).

taz: Kleider machen nicht nur Leute, sondern auch krank. Wie gefährlich sind denn Textilien tatsächlich?

Regine Rascher-Friesenhausen: Textilien sind vor allem für jene gefährlich, die sie herstellen. Gesundheitsgefahren des fertigen Bekleidungsstücks gibt es zumeist nur für besonders empfindliche Menschen und Allergiker und das auch nur in bezug auf bestimmte Stoffe. Bei Kleidung, die in Deutschland oder Europa produziert wird, ist die Gesundheitsgefahr nach unserer Einschätzung für den Verbraucher nicht so groß wie teilweise behauptet.

Nun kaufen achtsame Menschen keine Textilien aus Plastik, sondern aus Baumwolle, Leinen oder Seide – ist das allein schon Gewähr für ein unter Umweltgesichtspunkten unschädliches Kleidungsstück?

Nein, es ist leider viel komplizierter. Wenn man tatsächlich ökologisch hergestellte Kleidung kaufen möchte, setzt das ein großes Informationsinteresse der Verbraucher voraus. Denn die Informationen darüber, wie ein Kleidungsstück hergestellt wird, gibt es nur in ganz seltenen Fällen an der Kleidung selber.

Worauf muß ich achten?

Sie sollten versuchen, möglichst viele Informationen zu bekommen. Oft ist es schwierig, die von den Verkäufern zu bekommen, aber es gibt einige Hinweise: Bei Stichworten wie knitterfrei, pflegeleicht, aber auch „separat waschen“, „kann beim ersten Waschen ausbluten“ oder „nur reinigen lassen“ sollte man ganz vorsichtig sein. Das alles sind Hinweise darauf, daß mit Chemikalien gearbeitet wurde, die zu Umweltverschmutzungen führen. Auch bei Mischfasern ist Vorsicht geboten. Man sollte prüfen, aus welchem Material das Produkt hergestellt wurde. Auch eine Geruchsprobe kann hilfreich sein.

Mal mit der heißen Nadel gestrickt: Wie muß denn ein Label für umweltfreundliche Textilien aussehen, auf das ich mich als Kunde wirklich verlassen kann?

Greenpeace präferiert ganz klar die Volldeklaration wie bei Lebensmitteln oder Kosmetik: An dem Artikel muß ein Kärtchen hängen, auf dem draufsteht, aus welchen Materialien das Stück hergestellt und welche Chemikalien zu seiner Produktion eingesetzt wurden.

Das klingt nicht sehr kompliziert.

Aber die Textilindustrie sagt, daß in einem solchen Fall angeblich der Anhänger länger sein würde als das Kleidungsstück selber. Diese Erfahrung haben wir allerdings nicht gemacht. In den von uns vertriebenen Kleidungsstücken hängt so etwas, und es ist sehr klein und unauffällig.

Mal konkret zu Ihren Produkten: Sie tragen das Schlagwort „clean production“ vor sich her – was genau heißt das denn?

Das heißt „umweltverantwortliches Produzieren“. Bei jedem Produkt, das wir anbieten, beobachten wir genau, wie es hergestellt wird und ob die Produktion tatsächlich einen Fortschritt gegenüber herkömmlicher Produktion bedeutet; auch hinsichtlich des Energie- und Wasserverbrauchs, des Abfalls, der Entsorgung und des Recyclings.

Bitte ein bißchen konkreter ...

Wir bieten zum Beispiel ein weißes Hemd an, worauf wir in der Vergangenheit verzichtet haben, weil der Bleichprozeß viel Energie und Wasser verbraucht. In Zusammenarbeit mit einem Hersteller haben wir nun ein wassersparendes Bleichverfahren mit Wasserstoffperoxid entwickelt. Dadurch kann ohne Mehrverbrauch an Wasser unter Benutzung einer Chemikalie, die im Abwasser nicht umweltschädigend ist, das Produkt umweltverträglicher als sonst hergestellt werden.

Nun gibt es im Greenpeace- Verkaufssortiment T-Shirts, deren Baumwolle aus Australien eingeflogen wird, Pullover aus dem Haar der bolivianischen Alpakas, Gummistiefel aus dem Kautschuk malaysischer Monokulturen – da kann doch die Öko-Bilanz gar nicht stimmen.

Sicherlich haben wir auch einige Produkte, die noch zu verbessern sind. Andererseits gibt es manche Rohstoffe in Europa überhaupt nicht – Alpakahaar und Kautschuk zum Beispiel –, und in solchen Fällen ist deren Verwendung tragbar, solange alle anderen Produktionsbedingungen stimmen. Das bedeutet beim Alpaka zum Beispiel eine Produktion in einer kleinen Region Boliviens und keine weltumspannende.

Muß es denn Alpaka sein? Wieso verkaufen Sie so etwas, statt zum Beispiel heimische Schafzüchter zur Ökologie zu verpflichten und deren Produkte zu vermarkten?

Genau daran arbeiten wir gerade und verhandeln im Moment intensiv sowohl mit deutschen Spinnereien als auch mit dem Wollverarbeitungsverband. Von beiden Seiten besteht natürlich großes Interesse. Aber wenn wir solche Produktentwicklungen machen, dann dauert das eben seine Zeit. Ich hoffe, daß wir schon im nächsten Jahr Pullover aus deutscher Wolle anbieten können.

Jetzt mal bitte Hand aufs Herz: Läßt sich denn Kleidung in der im Jahre 1994 erforderlichen Menge überhaupt ohne nennenswerte weltökologische Belastung herstellen? Lassen sich mit den derzeit produzierten, schadstoffarm verarbeiteten Rohstoffen überhaupt alle Regale füllen?

Sicherlich nicht. Aber wir finden, daß es diesen Massentextilmarkt in Kauf- und Versandhäusern, der sich durch eine relativ schlechte Qualität auszeichnet, eigentlich gar nicht geben sollte. Und wenn man die Umsätze nicht nur in Stückzahlen zu niedrigen Preisen, sondern weniger Umsätze zu höheren Preisen durchsetzt, dann wird sicherlich ein Teil – ich würde sogar sagen ein Großteil –, des Textilmarktes wesentlich umweltfreundlicher zu machen sein.

Häufig ist es ja gar nicht so kompliziert. Es geht oft nur um das Weglassen von einigen Dingen. Warum zum Beispiel muß eine zu färbende Textilie vorher gebleicht werden? Man kann es einfach mal ohne Bleiche ausprobieren. Dadurch spare ich Wasser und Chemie und habe trotzdem ein annähernd gleiches Resultat.

Ich persönlich hasse es, für alle möglichen Dinge und ideologischen Bekenntnisse auf meinem T- Shirt kostenlos Werbung laufen zu müssen, und habe Schwierigkeiten, unbedruckte zu finden. Warum verkauft denn Greenpeace nur bedruckte Hemden und verzichtet nicht auf Drucke? Das wäre doch auch ein Schritt zur Reduktion der Umweltbelastung.

Das Bedrucken eines T-Shirts erfordert nur relativ wenig Chemie und Energie. Das Färben wäre viel aufwendiger. Insofern ist ein mit solchen Farben bedrucktes T- Shirt, wie wir sie verwenden, allemal besser als ein gefärbtes.

Ob „Pest“ oder „Cholera“ ist hier nicht die Frage, sondern die Frage ist, warum verzichten Sie nicht überhaupt auf das Bedrucken, das doch auch umweltbelastend ist? Machen Sie doch mal einen Versuch: Verkaufen Sie unbedruckte T-Shirts fünf Mark billiger und bedruckte zehn Mark teurer. Wer dann seinen Delphin noch unbedingt will, kann ihn ja immer noch auf dem Hemd durch die Stadt tragen.

Keine schlechte Idee. Allerdings verkaufen wir ja auch unbedruckte Sachen. Die Ringelshirts zum Beispiel sind aus farbig gewachsener Baumwolle und haben keinen Aufdruck. Wir bieten beides.

Mal einen Schritt zur Weltmode: Joop, Armani, Laurent und Konsorten erfinden alljährlich Produkte, die allenfalls eine Saison taugen, manchmal schon die Verkaufsmesse gar nicht überstehen. Sind die weltberühmten Modedesigner – mal ökologisch betrachtet – nicht die Reaktionäre par excellence?

Das ist ein sehr spezielles Problem, das den Massenmarkt nicht so berührt. Aber natürlich wird nach wie vor Mode gemacht, denn auch die Textilindustrie bemüht sich um Wachstum und darum, daß sich Modeströmungen schnell ändern und die produzierten Mengen weiter steigen. Das ist schon ein umweltschädigendes Problem.

Die Branche ist in Pionierstimmung. Mindestens 30 Prozent höhere Preise ließen sich mit Öko- Textilien erzielen, meinen Insider. Warum sind diese Textilien so teuer?

Vor allem deshalb, weil solche Textilien nicht in Fernost produziert werden, sondern zumeist in Europa. Das bedeutet höhere Löhne. Natürlich ist auch ökologisch verträglich angebaute Baumwolle teurer, aber dieser Punkt hat am Preis des fertigen Produkts nicht den Hauptanteil. Aufgrund der hiesigen Umweltstandards und im Interesse kurzer Transportwege wird diese Öko-Mode hauptsächlich in Europa produziert.

Spielen bei der Preisfindung auch jene Strategen eine Rolle, die das Prädikat „Öko“ verteilen wie andere den Mercedes-Stern, um damit gut zu verdienen?

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Das ist sicherlich nicht auszuschließen. Besonders schlimm ist allerdings, daß dadurch die Tatsache verschleiert wird, daß manche Produkte gar nicht ökologisch produziert wurden. Damit sind wir wieder bei der Forderung nach einer Volldeklaration aller eingesetzten Stoffe. Dann könnte sich der Verbraucher selber ein Bild machen, und es kommt auf schöne Schlagworte im Marketing nicht mehr an.

Die Textilbranche ist doch eigentlich Vorreiter, wenn es um neue Moden geht. Warum entdeckt denn die Industrie die Mode mit Öko erst jetzt?

Das liegt daran, daß in der Branche eine große Angst vor dem Vergleich herrscht. Wenn einen Teil der Ware der Begriff „Öko“ auszeichnet, könnte der Verbraucher ja fragen: „Igittigitt, und was ist mit dem Rest?“ Ich kann diese Angst nicht teilen, denn auch im Bereich Lebensmittel hat sich gezeigt, daß beide Marktsegmente nebeneinander existieren: Obwohl es heute Biobrot gibt, wird auch industriell gefertigtes Toastbrot noch verkauft.

Kleinproduzenten tingeln seit Jahren von Wochenmarkt zu Wochenmarkt und haben Mühe, ihre Öko-Pullis unters Volk zu bringen. Jetzt kommt die Industrie den wohlbereiteten Pfad daher, um den inzwischen aufgeklärten Kunden ihre Öko-Produkte anzubieten und abzusahnen – ist das nicht ungerecht?

Ich glaube, daß da ein Unterschied zwischen den kleinen Vorreitern besteht, die die Saat streuen, und denen, die heute ernten. Zwar gibt es auch schon größere Unternehmen, die schon in einigen Bereichen konsequent sind, aber im Verhältnis zu ihrem Gesamtumsatz ist das oft nur ein kleiner Teil. Wenn dieser Teil nicht ein Feigenblatt ist, sondern der Anfang für eine generelle Umstellung, ist das auch in Ordnung. Aber Tatsache ist: Die kleinen Textilproduzenten sind heute noch am konsequentesten.

Sie fordern also mehr Aufklärung der Verbraucher und damit auch mehr deren kritisches Augenmerk beim Einkauf.

Vor allen Dingen eine offene und ehrliche Information seitens der Hersteller. Wenn das gegeben ist, dann hat der Verbraucher auch eine reelle Chance, sich zu informieren und zu entscheiden, ob er die ökologischen Produkte kaufen möchte oder die konventionell hergestellten.

Wo muß man ansetzen, um diese Kennzeichnung gesetzlich einzuführen?

Zum Beispiel bei den Textilverbänden, dem Arbeitskreis Naturtextilien und beim Gesamttextilverband. Der TÜV-Rheinland plant jetzt die Herausgabe eines eigenen Öko-Labels, da werden dieser Tage die Kriterien diskutiert. Zudem gibt es bei der Enquetekommission des Deutschen Bundestages eine Arbeitsgruppe, die sich mit der Ökologie in der textilen Kette beschäftigt. Da werden wir überall mitdiskutieren und ebenso unsere Forderungen stellen wie die Verbraucherverbände.

Ein weiterer Schritt ist, daß wir zum Beispiel unseren Lieferanten sagen, was wir von ihnen haben wollen und worauf wir gern verzichten. Häufig stellen die dann fest, daß sie genauso wie für uns auch für andere produzieren und die Produkte verkaufen können. Auf diese Weise haben wir schon einiges in Bewegung gebracht.

Zum Beispiel?

Zum Beispiel, daß Textilien mit Deklaration der Inhaltsstoffe nicht nur an uns, sondern auch an normale Geschäfte verkauft wurden. Was es allerdings in der Textilindustrie so schwierig macht, ökologische Forderungen durchzusetzen, ist, daß es sich dabei um einen sehr vielstufigen Produktionsprozeß handelt. Am einen Ende sitzen die Designer, entwerfen bunte neue Mode und wissen oft gar nicht um die ökologischen Folgen ihrer Skizzen, weil viele Designer nie mit dem Ausrüster sprechen. Die kaufen ihre Sachen auf Stoffmessen, und irgendwann spricht sicherlich auch mal jemand mit dem Färber. Aber eine direkte Verbindung gibt es sehr selten.

Ich wünschte, daß Firmen, die Farbkarten herstellen oder Modetrends aus der Luft greifen, nicht nur vom allgemeinen Feeling ausgehen, sondern auch ganz klare Informationen über ökologische Gesichtspunkte zur Verfügung stellen. Dann stellt sich nämlich heraus, daß vielleicht der eine Rotton, der nur um Nuancen neben einem anderen liegt, wesentlich umweltverträglicher ist als der erste. So was müssen Designer und das muß auch der Markt wissen.

Der Schritt zum unschädlichen Kleidungsstück beginnt also mit der Idee. Und derjenige, der diese Idee aufgreift, muß die ökologischen Aspekte immer im Hinterkopf haben.

Vielen Dank für das Gespräch.

Interview: Andreas Lohse