Denn sie wissen, was sie nicht tun

Weltmarkt-Monopoly und Öko-Krise: Michael Müller und Peter Hennicke suchen den „Wohlstand durch Vermeiden“ / Eine rot-grüne Regierungserklärung, der leider die Regierung fehlt  ■ Von Manfred Kriener

„Im vergangenen Monat hat die Autoindustrie kräftig zugelegt. Die Produktion stieg gegenüber dem gleichen Zeitraum des Vorjahres um elf Prozent.“ Die Monströsität des Weiter-so, verpackt als kleine Erfolgsmeldung im abendlichen Nachrichtenblock. Wir merken es kaum noch. Wer das Buch von Michael Müller und Peter Hennicke gelesen hat, wird den scheinbar unaufhaltsamen Sog des Wachstums wieder intensiver spüren, wird seine Sensoren präziser auf die „gedehnte Katastrophe“ (Matthias Greffrath), auf die Diktatur der Ökonomie und die Stoffwechselstörung unseres Planeten Erde ausrichten. Das zumindest schafft dieses Buch.

Gleichwohl nehmen seine beiden Autoren das Scheitern ihrer Bemühungen vorweg, wenn sie gleich zu Beginn auf ein eher achselzuckendes Publikum angesichts des inzwischen beachtlichen Outputs aufklärerischer Umwelt-Literatur hinweisen: Über die ökologische Zivilisationskrise, schreiben sie, „ist das Vielfache dessen bekannt, was notwendig wäre, um anders zu handeln, doch folgenarme Betroffenheit ist noch immer die vorherrschende Reaktion“. In Deutschland, beim selbsternannten umweltpolitischen Vorreiter, ist dieser Widerspruch besonders ausgeprägt. Wir wissen alles und tun fast nichts (mehr).

Die Buchhaltung der Katastrophe ist in der Tat mustergültig. Weltweit. Wir entdecken DDT- Spuren auf dem Gipfel des Kilimandscharo, wir dokumentieren das Sterben der pazifischen Korallenbänke. Und wir messen die Bleibelastung der Neugeborenen von Mexico City. Aber wissen wir auch, wie wir das gestörte Verhältnis zu unserem Planeten reparieren können? Haben wir Konzepte, um Vorräte im Supermarkt Erde aufzufrischen?

Müller und Hennicke verstehen sich in aller Bescheidenheit als zwei Autoren, die sich „an der Suchbewegung nach einem neuen Fortschritts- und Wohlstandsmodell beteiligen“ wollen. Schön gesagt. Fertige Konzepte oder eine grüne Schnellspur in die Zukunft könne es dabei nicht geben, aber Anregungen und gute Vorschläge. Die machen sie dann auch.

Aber der größte Teil ihres Buches ist der Analyse des Status quo gewidmet. Diese Analyse beschert uns keine Inflation neuer Erkenntnisse, aber doch einen eindrücklichen Blick auf eine Menschheit, die im Prinzip noch immer mit dem Instrumentarium der preußischen Dampfkesselgesetzgebung von 1831 der globalen Umweltkrise hinterherhechelt. Eine Menschheit, die nach wie vor mit End-of- the-pipe-Technologien nachsorgend und kurativ die Umweltschäden begrenzen will, anstatt vorausschauend und „nachhaltig“ mit weniger und effizienteren Mitteln ökologisch verträglich zu wirtschaften.

Der Lieblingsbegriff der Autoren heißt „Globalisierung der Ökonomie“. Das Weltmarkt-Monopoly dreht sich in schwindelerregendem Tempo, die Global Players entziehen sich in der Champions League der Multis nationalstaatlichen Zugriffen, die „Internationalisierung des Geld- und Kapitalwachstums ist die treibende Kraft“: Der Chip werde heutzutage in Kalifornien entworfen, in Schottland produziert, in Fernost getestet und in Castrop-Rauxel verkauft. Made in Germany bedeute heute Forschung in Indien, Fertigung in Taiwan und Lagerung in Osteuropa. In Osteuropa arbeite eine große industrielle Reservearmee für Hungerlöhne, während die asiatischen Tiger Hongkong, Singapur, Südkorea und Taiwan inzwischen europäisches Niveau im Bruttosozialprodukt, also in Ressourcenverbrauch und Umweltzerstörung erreicht hätten. Indien und China lauerten drohend im Hintergrund, auch sie wollen das westliche Lebensmodell nachvollziehen – milliardenfach.

Zur Globalisierung der Ökonomie gehört die Globalisierung der Umweltkrise. Anders als viele Autoren vor ihnen nennen Müller und Hennicke aber im gleichen Atemzug mit der ökologischen die soziale Krise. In Bangladesch gibt es nicht nur Wirbelstürme und die ersten Opfer der Klimakatastrophe, sondern auch die Opfer der Armut, die 60 Stunden die Woche für 100 Mark arbeiten. Beides gehört zusammen. Konzepte für die Natur müssen auch Konzepte für mehr Demokratie, Gerechtigkeit und gegen die Armut sein.

In weiten Teilen liest sich das Buch wie eine rot-grüne Regierungserklärung für Wirtschafts- und Umweltpolitik. Nicht ganz zufällig ist es auch wenige Wochen vor der Bundestagswahl erschienen. Fehlt nur noch die passende Bundesregierung. Was es indes nicht verbergen kann, ist die wachsende Ohnmacht. Weil das Autorenduo bei seiner Bestandsaufnahme – zwangsläufig – wiederholen muß, was andere schon vergeblich gepredigt haben, spürt man die gegenwärtige Müdigkeit in der Umweltdebatte. Und natürlich ist ihr Forderungskatalog so riesig wie die bevorstehende Aufgabe des Zivilisationssprungs gewaltig ist. Auch die im Superwahljahr neu gefestigte Einsicht, daß die beiden klugen Öko-Streiter mit ihrer Position schon in ihrer eigenen Partei (SPD) ziemlich alleine dastehen, befördert nicht eben den Optimismus. Es geht um „mehr als Korrekturen“. Das klingt besonders hübsch, wenn man weiß, daß Müllers SPD nicht einmal für ein Tempolimit zu gewinnen war. Charme gewinnt der Band durch die pointierten Zuspitzungen und originellen Begriffe, die aus der einschlägigen Literatur gesammelt wurden. Alle wichtigen Autoren und umweltpolitischen Etappen der letzten Jahre sind präsent.

Ärger hätten die beiden Autoren in einer rot-grünen Regierung indes mit ihrer Analyse der achtziger Jahre bekommen, die sie – dank Reaganomics und Thatcherismus – als ökologisches Gruseljahrzehnt konservativer Regenten darstellen. Falsch wird diese Aussage allein dadurch, daß verschwiegen wird, daß sozialdemokratische Regierungen wie die spanischen und französischen Sozialisten ökologisch keinen Deut erfolgreicher agierten.

„Wohlstand durch Vermeiden“ heißt für Müller/Hennicke, dieselbe Dienstleistung mit weniger Material- und Energieeinsatz zu bekommen. Ihre Vorschläge dazu sind eine aktuelle und gute Zusammenfassung dessen, was Institute, Enquetekommissionen und nachdenkliche Einzelkämpfer an Ideen produziert haben. Und was – siehe Einsparkraftwerke – in anderen Ländern teilweise schon erfolgreich praktiziert wird. Wer wissen will, was an grünen Konzepten in Verkehr-, Chemie-, Energie- und Müllpolitik derzeit auf dem Tisch liegt, wird hier fündig.

Der schönste Satz des Buches: „Befreit von seinen Werkzeugen, seinen Gesten und Muskeln, von der Programmierung seiner Handlungen und seines Gedächtnisses, befreit von der Phantasie, an deren Stelle die Perfektion des Fernsehens getreten ist, befreit auch von der Tier- und Pflanzenwelt, vom Wind, von der Kälte, von den Mikroben und dem Unbekannten der Gebirge und Meere, steht der Homo sapiens wahrscheinlich am Ende seiner Laufbahn (André Leroy-Gourhan).“

Müller/Hennicke: „Wohlstand durch Vermeiden“. Wissenschaftliche Buchgesellschaft Darmstadt, 210 Seiten, 19.80 DM