Selbstmord kurz vor der Hochzeit

■ War der Suizid eines abgelehnten Asylbewerbers im Polizeigewahrsam letztlich nur eine Fahndungspanne?

Berlin (taz) – Was vergangenen Sonntag kurz vor Mitternacht geschah, war „nach menschlichem Ermessen eigentlich unmöglich“, sagt Andreas Tröster, der Sprecher der Ludwigsburger Polizei. Abdullah J. beging Selbstmord in polizeilichem Gewahrsam. Gegen 23.45 Uhr, kaum drei Stunden nach seiner Festnahme, fand man den Marrokaner erhängt an einem Fensterblech, das nur vier Millimeter von der Wand abstand. Zwischen zwei Routinekontrollen, die alle dreißig Minuten durchgeführt werden, hatte er sein Unterhemd zerrissen, zum Strick gedreht und sich damit stranguliert. Für Menschen, die ihn kannten, ist das unerklärlich: „Abdullah war doch lustig und lebensfroh“, sagt Elisabeth Schmitt vom Freudenstädter Arbeitskreis Ausländersolidarität.

Abdullah J. lebte, nachdem er im August 1994 einen Asylantrag gestellt hatte, in einer Sammelunterkunft für Flüchtlinge in Dornstätten. Dort war er auch nach der Ablehnung seines Asylantrages geblieben. Eigentlich hätte Abdullah J. Deutschland zwar verlassen müssen. Doch er wollte demnächst seine deutsche Verlobte heiraten und wartete nur noch auf die Übersetzung einiger Dokumente. Nach der Hochzeit wäre eine Abschiebung J.s kein Thema mehr gewesen.

Trotzdem wurde Abdullah J. am vergangenen Sonntag festgenommen. „Der Mann sollte abgeschoben werden“, begründet der Sprecher der Ludwigsburger Polizei. Zur Festnahme sei es gekommen, als der Marokkaner eine Sammelunterkunft in Ludwigsburg betreten wollte, um dort einen Freund zu besuchen. Bei der Ausweiskontrolle sei dem Pförtner aufgefallen, daß J. sich in Ludwigsburg gar nicht aufhalten durfte. Daraufhin habe der Mann die Polizei verständigt. Diese nahm den Asylbewerber fest, um seine Identität zu überprüfen. Auf dem Revier stellte sich dann heraus, daß die Polzei bereits nach Abdullah J. fahndete. Wer diese Fahndung allerdings ausgeschrieben hatte, will die Behörde nicht preisgeben.

Die zuständige Bezirksstelle für Asyl in Rastatt jedenfalls bestreitet, die Fahndung veranlaßt zu haben. „Abdullah J. war ja nicht untergetaucht.“ Außerdem besaß er eine gültige Reiseerlaubnis zur Verlobten nach Ravensburg, um seine Hochzeit vorzubereiten. Der Polizei lag diese Erlaubnis vor. Auch die Stuttgarter Staatsanwaltschaft kann über die Herkunft des Haftbefehls keine Auskunft geben. Sie geht davon aus, daß J. abgeschoben werden sollte.

Aufgrund all dieser Widersprüche fordert Pfarrer Werner Baumgarten vom Arbeitskreis Asyl Baden-Württemberg, daß der Fall Abdullah J. nun in einer parlamentarischen Untersuchungskommission aufgeklärt wird. „Hier herrscht derzeit ein regelrechtes Abschiebefieber“, meint er. Was Abdullah J.s Selbstmord angehe, müsse man davon ausgehen, daß ein Flüchtling eine vorläufige Festnahme kaum von Abschiebehaft unterscheiden könne.

Auch J.s Rechtsanwalt weiß: „Abdullah hatte fürchterliche Angst vor der Abschiebung.“ Schon wenn in Marroko bekanntgeworden wäre, daß sein Mandant einen Asylantrag gestellt hatte, hätte er mit Schwierigkeiten rechnen müssen. Was den Haftbefehl angeht, rätselt der Anwalt noch: „Der Asylantrag wurde doch erst Ende September abgelehnt.“ Er befürchtet, daß ein alter Haftbefehl gegen seinen Mandanten möglicherweise nicht aus dem Computer getilgt wurde. 1991 war Abdullah J. nach der Ablehnung eines ersten Asylantrages untergetaucht. „Damals wurde er gesucht.“ Eva Rhode