„Persönlich sehe ich es sehr emotional“

■ John Neumeier über „Kunst und AIDS“ anläßlich der heutigen Ballett-Benefiz-Gala für „Hamburg Leuchtfeuer“

Mit einem Programm, das neben der Choreographie Die Kameliendame noch diverse andere Programmpunkte aufweist – unter anderem liest Will Quadflieg, singen Jochen Kowalski und Andreas Schmidt Arien und zeigen Ensemble-Tänzer Soli –, hofft Hamburgs Ballett-Chef John Neumeier, 250.000 Mark sammeln zu können. Es gibt noch Restkarten.

taz: Sie sind einer der Schirmherren von Hamburg Leuchtfeuer. Was bedeutet das für Sie?

John Neumeier: Solidarität mit einer Aktion gegen eine schreckliche Krankheit zu demonstrieren. Doch diese Demonstration hat mehr Bedeutung, als wenn es sich um Krebs handeln würde. AIDS hat viel mehr Schichten eines moralischen Stigmas. Und diese zu lüften, wäre für mich ein sehr großes Anliegen. Das wichtigste ist aber, daß ich helfen möchte.

Diese Gala kann ein Zeichen setzen

Empfinden Sie es nicht als beschämend, daß Privatleute Geld sammeln müssen, damit Kranke in Würde sterben können? Stiehlt sich der Staat hier nicht aus der Verantwortung?

Natürlich. Aber ich bin eher ein Positiv-Denker und versuche selbst etwas zu machen. Die erste Idee war, eine Gala im Schmidts Tivoli zu veranstalten, aber ich wollte bewußt nicht in die Alternativszene, sondern direkt in das bürgerliche Milieu gehen und da die Worte laut sagen. Vielleicht setzt das ein Zeichen in der Stadt.

Aber kann eine solche Benefiz-Aktion nicht auch die unliebsame Nebenwirkung haben, daß sich das öffentliche Bewußtsein verfestigt, AIDS sei eine Privatangelegenheit, sowohl als Krankheit, als auch in der Pflegefinanzierung?

Sicherlich gibt es viele derartige Aspekte, aber ich glaube, so sollte man nicht denken. Ich hoffe, daß sich der Sinn solcher Aktionen und die Richtigkeit solcher Einrichtungen einprägen. Es wäre furchtbar, wenn man danach sagt, „Macht noch eine Gala, damit das Restgeld zusammenkommt“.

Die AIDS-Debatte wird in Deutschland sehr sachlich, geradezu kaufmännisch geführt. Müßten da nicht gerade Künstler viel emotionaler und damit auch politischer mit dem Thema umgehen?

Persönlich sehe ich die Sache sehr emotional. Wir in dieser Compagnie waren auch von AIDS betroffen und ich bin höchst emotionalisiert über diese Dinge. Aber ich bin kein politisch klug denkender Mensch, daß ich sagen könnte, wie ich dem eine politische Ebene verleihen könnte. Vielleicht haben Sie recht. Ich denke nur, jeder sieht die Sache wie er kann und muß so daran herangehen.

Es fällt auf, daß sich Hamburger Künstler kaum mit dem Thema AIDS beschäftigen.

Vielleicht ist es für viele Künstler noch zu früh. Ich mache jetzt zum Beispiel für die Gala Die Kameliendame. Und im Prinzip ist es dasselbe Thema, nur hat sie nicht AIDS, sondern TB. Aber alle anderen Beziehungen könnte man genauso sehen. Das Milieu von Paris 1860 ist das Milieu von New York 1970. Es ist eine wahnsinnig laszive Zeit. Dennoch kommt es bei mir nicht direkt als Thema vor, denn dazu müßte ich zu plakativ werden, und das ist nicht mein Stil. Gleichzeitig kann man sein Bewußtsein nicht davon separieren, was in der Welt geschieht. Mit diesem Gefühl inszeniere ich, um das Thema den Menschen noch näher zu bringen.

Ich habe in Ihren letzten Choreographien das Thema AIDS immer wieder anklingen gespürt.

Das stimmt. Das letzte Stück in der Trilogie M.R. steht durchaus unter diesem Einfluß.

Wobei Sie Tod stets sehr melancholisch behandeln. Ein Auflehnen gegen das Sterben findet nicht statt.

Vielleicht, weil ich das als letze Botschaft lassen will, daß der Tod etwas ist, was wir alle nicht verstehen. Aber wir entgehen ihm nicht. Insofern tendieren die Werke zu diesem letzten wahren Schluß. Man könnte die Stücke auch mitten im Kampf enden lassen, aber vielleicht ist es so, daß es für alle und auch für mich im gewissen Sinne eine Hoffnung ist.

Daß man den Tod akzeptiert?

Daß man diese Ruhe hat, das, was wir Leben nennen, mit all seinen Regeln zu akzeptieren, so wie es geschieht. Nicht passiv, sondern als aktives Akzeptieren.

Auch in ihrem Ensemble sind Tänzer an AIDS gestorben. Hat das ihre Arbeit und ihre Aussage verändert?

Ich glaube schon. Nicht nur in der Kameliendame. Wir zeigen bei der Gala ein Stück aus Des Knaben Wunderhorn. Diese Pas de deux habe ich ursprünglich für Jeffrey Kirk choreographiert, nachdem er krank war. Ich habe es kreiert in dem Bewußtsein, daß es wahrscheinlich das letzte sein würde, was er machen kann. Und natürlich macht das eine Arbeit sehr wichtig und gleichzeitig sehr unwichtig.

Man muß das Thema generell human sehen

Gibt es bei Ihnen im Ensemble auch eine Diskussion über Homosexualität und AIDS? In der Gesellschaft besteht ja latent immer noch der Vorwurf, die Schwulen seien schuld an AIDS. Ist das etwas, was Sie in Ihrer Comapgnie, was Sie selber versuchen, zu bearbeiten?

Nicht direkt. Für mich ist das Argument unwichtig, denn es geht für mich nicht darum, wer stirbt an Krebs oder an AIDS oder an was weiß ich? Daß man über eine Krankheit, die durch Sexualverkehr übertragen wird, nicht sprechen darf, das finde ich unglaublich verlogen. Als ob wir alle anderen niemals Sexualverkehr gehabt hätten, nur die Armen, die jetzt sterben, die waren ganz schlimm. Es hat überhaupt keinen Sinn, jetzt über Homosexualität zu sprechen und wer daran schuld ist. So sind Menschen, so ist unsere Natur. Und durch unsere Natur passiert das und das. Und dann können wir nur sagen, wie können wir diesen Menschen helfen.

Aber die Stigmatisierung der Homosexuellen für die Schuld an AIDS ist ja durchaus vorhanden.

Natürlich.

Und kommt da nicht gerade dem Künstler als Gewissen und Gedächtnis einer Gesellschaft eine besondere Verantwortung zu, derartige Koppelungen zu knacken?

Richtig. Aber ich weiß nicht wie man das machen kann. Man muß dieses Thema viel genereller human sehen. Wenn jemand krank ist, ist wie diese Krankheit zustande kommt für mich nicht so wichtig. Und vor allem wenn es heißt: das ist wegen der Sexualität. Das finde ich ganz furchtbar und vor allem völlig unchristlich.

Dennoch wird diese konstruierte Verbindung immer noch dafür instrumentalisiert, daß man für die Bekämpfung von AIDS bei weitem nicht das politische Engagement zeigt, wie etwa bei Krebs. Und das betrifft leider genau die sogenannten christlichen Parteien.

Doch das zu thematisieren, muß man ein guter Politiker sein. Ich finde durchaus, daß es jemand machen soll, aber ich glaube, daß ich nicht der richtige Mensch dafür bin.

Sehen Sie überhaupt eine Möglichkeit, in der Sprache des Balletts etwas Explizites zu sagen? Kann man mit dieser Form, die ja das Schöne sucht, etwas so grausiges wie AIDS behandeln?

Ich glaube schwer. Nicht daß das Ballett nicht grausig sein kann. Aber ich muß ganz andere Zusammenhänge innerhalb der Menschen wecken: nicht unbedingt spezifische Ideen, sondern eher seelische Möglichkeiten. Aus diesen Möglichkeiten kann ich aktiv sein gegen oder für etwas.

Die Rolle des Künstlers bedingt aber auch, daß die Menschen von ihm wissen wollen, was er denkt.

Das ist wahr. Die Frage ist nur, inwieweit muß diese Aussage spezifisch sein oder inwieweit liefert sie etwas wie einen Akupunkturstich. Ich bin eher vorsichtig bei der Beurteilung der Aufgabe des Künstlers, der direkte Aussagen machen muß. Das kann auch gefährlich sein.

Fragen: Till Briegleb