Das Böse daran. Und das Kluge.

Deutschland-Gastspiel des Gesher Theaters aus Tel Aviv mit „Adam Hundesohn“ nach Yoram Kaniuk  ■ Von Petra Kohse

Am Ende geht Adam in die Wüste und spricht mit Gott. Und Gott erscheint, und Gott hat die Gestalt des KZ-Kommandanten Klein, als dessen Hund Adam Stein den Holocaust überlebte. Gott ähnelt auch Dr. Gross, dem Arzt des israelischen Irrenhauses, in dem Adam jetzt lebt. Und Adam wundert sich nicht. Gott ist, was einen quält.

Szenenwechsel, Blick zurück: Zirkuszelt, Zirkusmusik. Der berühmte Clown Adam stellt seiner Frau Gretchen während der Pause einen jungen Mann vor, der sich umbringen wollte und in Adams Zirkus wieder das Lachen gelernt hat. Er trägt eine SS- Binde am Arm. „Wie war Ihr Name?“ – „Klein.“ Später, im Lager, ließ Klein den Clown Adam Geige spielen, als Gretchen Stein ins Gas ging. Und wenn Adam nicht Geige spielte, war er der Hund des Kommandanten. Adam, Hundesohn.

Das Gesher Theater aus Tel Aviv spielt den Roman von Yoram Kaniuk in einer Dramatisierung von Alexander Chervinski. In Erfurt wurde das gezeigt, in Dresden, zum Schluß in Berlin. „Wir haben diese Aufführung in erster Linie für Juden gemacht“, sagt der Regisseur Yevgeny Arye. „Für Juden und Deutsche.“ Die Europa-Tournee des Gesher Theaters geht weiter nach Manchester, doch dort spielen sie Dostojewskis „Idiot“. Gesher heißt Brücke, das Theater wurde 1990 gegründet, SchauspielerInnen aus der früheren Sowjetunion, ImmigrantInnen schlossen sich zusammen. Eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme – und was sie zeigen, ist perfekt.

Arye erzählt die Geschichte sprunghaft von hinten nach vorne. Szenen im Irrenhaus, wo die anderen Adam Stein für einen Propheten halten, im Lager, Steins Ankunft in Israel, seine Suche nach der Tochter Ruth, die erste Begegnung mit Gretchen im Kino und zwischendurch Zirkuseinlagen. Schwarz Uniformierte singen auf deutsch „Großmama, laß dir die Haare schneiden“, Klein steht auf einem Podest und dirigiert die Show: „Wer will die Seife? Ein Stück Seife für Frau Fein.“

Gespielt wird in einem Zirkuszelt, Schienen halbieren die kleine Arena, Betten der geschlossenen Abteilung rollen herein, ein schwarzrotgold bekränztes Podest, ein Zwinger, ein kleiner Wagen mit Asche – Menschenasche. Schnell wechseln die Szenen, legen sich übereinander statt einander abzulösen: Adam auf der Schaukel, mit der Geige, von Irren in Sträflingskleidung umringt, auf den Knien am Grab seiner Tochter, mit dem Blechnapf im Mund. In der Anstalt lebt ein kleines Mädchen. Sie hält sich für einen Hund. Adam führt sie am Halsband spazieren, nennt sie Ruth. Irgendwann stellt sie sich auf Adams Drängen erstmals auf ihre Füße, die Insassen jubeln, Adam fällt mit dem Gesicht in den Sand.

Igor Mirkurbanov spielt den Adam. Schweiß rinnt ihm wie Wasser vom Gesicht, verwischt die weiße Schminke. Wenn er glücklich ist, könnte man heulen: ein Mime, ein Artist, ein Clown, expressiv, einsam und jeden Augenblick exakt. Die Schwärmer im Irrenhaus sind von zauberhaft skurriler Naivität, das SS- Kommando von einpeitschender Fröhlichkeit. Jewgenia Dodina wechselt blitzschnell von ihrer Rolle als Gretchen zur Psychiatrieschwester Jenny. Und wie die vielleicht zwölfjährige Masha Gamburg das Mädchen spielt, das sich für einen Hund hält, wie sie aufstehen will und wieder zusammensackt, wie sie es dann endlich schafft, zu stehen, wirkt unglaublich selbstverständlich.

Osteuropäisches Bildertheater, suggestiv und genau. Plötzlich kann man sich dieses Thema auf der Bühne kaum anders vorstellen als in dieser schrillen, grotesken Zirkusvorstellung. Ein Alptraum, der glücklich macht, das ist das Böse daran. Und das Kluge. Und Arye scheut auch die Albernheit nicht. Vladimir Halemsky geistert unter einem beeindruckenden Topfblumenhut als eingefrorene Leiche von Frau Zisling, der Gründerin des Irrenhauses, durch das Geschehen. Sie souffliert Adam seine ersten Schritte im neuen Alten Land und zitiert Weisheiten ihrer Tante Frieda: „Warum beten die Juden? Weil es geschrieben steht, weil es angenehm ist und weil es nichts nichts kostet.“

„Die härtesten Judenwitze sind nach dem Krieg in Israel erzählt worden“, sagt Yoram Kaniuk, der 1930 in Tel Aviv geboren ist. Und: „In Israel fühlen sich alle Holocaust-Überlebenden, die ich getroffen habe, schuldig. In Deutschland habe ich noch niemanden getroffen, der sich schuldig fühlt.“ Arye spricht in seiner Inszenierung nicht von Sinn, nicht von Wahrheit und von Schuld nur im allgemeinsten Sinne. Er psychologisiert nicht, sondern reiht emotionale Momentaufnahmen aneinander, übersetzt das nicht Darstellbare in Begegnungen der surrealen Art. Und das funktioniert. In der Banalität wird die Tragödie in diesem Fall konkret.

„Diese Frau hat alles...“, sagt Adam im Stück über die Krankenschwester Jenny, die sich an den Hundesohn hängt wie ein Hund und ihn anbettelt, mit ihr zu schlafen, „...außer Selbstachtung.“ Und nimmt sie in den Arm.

„Adam Hundesohn“ von Alexander Chervinski nach einem Roman von Yoram Kaniuk. Gesher Theater (Tel Aviv), Regie: Yevgeny Arye, Ausstattung: Elena Stepanova. Noch bis 27.10. auf dem Mariannenplatz in Berlin, am 25. in hebräischer, am 26. und 27.10. in russischer Sprache, mit deutscher Simultanübersetzung.