Die Turbokuh kommt durch die Hintertür

■ Das neue Arzneimittelrecht der EU kapituliert vor den Pharmakonzernen

Stuttgart (taz) – Wenn Landwirtschaftsminister Jochen Borchert nach gentechnisch manipulierter Milch gefragt wird, winkt er ab. Das Memorandum für die Zulassung des Rinderwachstumshormons rBST werde verlängert, sagt er, 1995 werde es in der Europäischen Union keine Zulassung geben. Die Pharma-Lobby stört das Politikerversprechen wenig. Unbemerkt von der Öffentlichkeit tritt nämlich 1995 in der Europäischen Union eine Arzneimittelverordnung in Kraft, die die Zulassung von Leistungssteigerern regeln und erleichtern wird. Chemikalien wie rBST werden in der Verordnung als Tierarzneimittel geführt. Sie müssen immer dann zugelassen werden, wenn ihre therapeutische Wirksamkeit größer ist als die potentiellen Risiken. Mit dem Dopingmittel rBST können Kühe bis zu 25 Prozent mehr Milch geben. Die Qualität entsprechend behandelter Milch wird sich bei einer Dauerbehandlung allerdings verschlechtern. Vieles ist noch nicht ausreichend erforscht. Selbst die Pharmaindustrie, in diesem Fall die US-Firma Monsanto, mußte Anfang des Jahres im Zuge der Zulassung des rBST-Präparats „Posilac“ in den USA schädliche Nebenwirkungen zugeben. Der Pharmakonzern warnt unter anderem vor möglichen Störungen der Verdauungsorgane und der Fruchtbarkeit, vor der Möglichkeit von Temperaturerhöhungen, Veränderungen des Blutes und Euterentzündungen.

Trotzdem sagt das US-amerikanische Gesundheitsministerium, das Rinderwachstumshormon sei völlig unbedenklich – für die Verbraucher, für die Kühe und für die Umwelt. Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt der EU-Ausschuß für Tierarzneimittel. Die untersuchten Mittel genügten den Zulassungskriterien der Qualität, Sicherheit und Wirksamkeit. Und genau dies fordert auch die neue Arzneimittelverordnung der EU.

Eine Hintertür, so beschwichtigt man in Brüssel, habe die EU sich offen gelassen. Sie kann ein Tierarzneimittel verbieten, „wenn seine Anwendung den von der Gemeinschaft im Rahmen der gemeinsamen Landwirtschaftspolitik festgelegten Rechtsakten widerspricht“. Damit wird das Medikamant zum Testfall für Marktliberalisierung. Denn auch die USA und das Gatt werden Druck auf die EU ausüben. Dabei hat die Kommission in Brüssel schon 1989 erkannt, daß es eine eigene Zulassungsverordnung für Leistungssteigerer geben muß. In ihrem Bericht über Rindersomatotropin (BST) fordert sie „eine Neufassung der Vorschriften über Tierarzneimittel und Futterzusatzstoffe, die eine Leistungssteigerung bewirken sollen“. Erst dann könne über die Zulassung des Wachstumshormons entschieden werden.

Dasselbe fordert auch Professor Reinhard Kroker, das deutsche Mitglied des EU-Tierarzneimittelausschusses. Die Verordnung müsse Natur- und Tierschutzkriterien formulieren. EU-Agrarkommissar René Steichen hatte Anfang des Jahres gefordert, die Zulassung von rBST noch einmal zu verzögern. Das Moratorium solle zusammen mit der Milchquotenregelung erst im Jahr 2000 auslaufen. Kritiker befürchten, daß die Wende schon früher kommt. Nicht zuletzt das neue Arzneimittelrecht macht es möglich. Herbert Mayers