Hunderte Hinrichtungen ohne Urteil in Algerien

■ Amnesty-Bericht über Mord und Folter durch die algerischen Sicherheitskräfte / Tausende im Visier radikaler Islamisten / Spanische Nonnen getötet

Berlin/Algier (taz/AFP) – Die Formulierungen der algerischen Behörden sind immer gleichlautend: Seit vergangenen Dienstag, so melden die Nachrichtenagenturen zum Beispiel, wurden nach amtlichen Angaben bei Zwischenfällen in verschiedenen Landesteilen 64 bewaffnete Islamisten getötet. Diese Todesnachrichten hat amnesty international (ai) in einem heute vorgelegten Bericht über Menschenrechtsverletzungen in Algerien aufgegriffen.

Während auf der einen Seite bewaffnete islamistische Gruppen willkürlich und vorsätzlich Personen umbringen, die ihren politischen Zielen angeblich im Wege stehen, ermorden auf der anderen die Sicherheitskräfte Zivilisten als Vergeltung für Anschläge. Oder sie bringen Verdächtige gleich um, anstatt sie festzunehmen. „Wir appellieren an die algerischen Behörden, gegen das blutige Vorgehen ihrer Sicherheitskräfte etwas zu unternehmen“, heißt es in dem Bericht. „Und wir fordern die Führer der Islamischen Heilsfront FIS auf, die bewaffneten Gruppen zu einem Ende der Morde aufzurufen.“

Nach Informationen von ai wurden Hunderte von Zivilisten von Einheiten der Armee und Polizei hingerichtet, obwohl die Behörden behaupten, die Opfer seien bei bewaffneten Auseinandersetzungen umgekommen. Augenzeugen sagten jedoch, daß einige sogar vor ihrer Familie oder Nachbarn erschossen worden seien. Andere seien verhaftet und später zu Tode gefoltert oder auf andere Weise umgebracht worden. Amnesty zufolge brachten die Sicherheitskräfte zwischen April und August dieses Jahres besonders in der Vorstädten von Algier „reihenweise“ unbewaffnete Zivilisten um. Zeugen berichteten von einem Vorfall am 16. August, bei dem mindestens 20 Menschen vor ihren Häusern erschossen wurden, nachdem eine bewaffnete Islamisten-Gruppe ein Armeefahrzeug angegriffen habe. Am 12. März wurden neun Studenten verhaftet. Ihren Angehörigen teilte die Gendarmerie mit, ihre Söhne kämen bald wieder auf freien Fuß. Einen Monat später hieß es dann, die Inhaftierten seien unmittelbar nach ihrer Freilassung von „Terroristen“ ermordet worden. Doch Verwandte öffneten die versiegelten Särge und fanden an den Leichen deutliche Spuren von Mißhandlungen. Bis heute, so ai, hätten die algerischen Behörden keinen einzigen Fall genannt, in dem den Berichten über solche Hinrichtungen und Folter nachgegangen worden sei.

Auch gestern gingen die Anschläge in Algerien weiter. Nahe der Stadt Setif stoppte ein bewaffnetes Kommando den Zug Algier–Tunis und steckte ihn in Brand. Am Sonntag waren in Algier zwei spanische Nonnen getötet worden. Das Madrider Außenministerium rief erneut die rund 300 in Algerien lebenden Spanier auf, das Land zu verlassen.