Die Kunst der Möglichkeit

■ In den Indikativ überführt: Schwamm-drüber-Inszenierung von Ernst Jandls Sprechoper „Aus der Fremde“ im Acud

Platsch! Das Knäckebrot mit Magerquark fällt mit der bestrichenen Seite auf den Boden, der Dichter schluckt ein Beruhigungsmittel und konstatiert: „derlei trivialitäten stießen an den kern seiner existenz.“ Er sagt ausdrücklich „seiner“ und nicht „meiner“, „stießen“ und nicht „stoßen“, denn er spricht von sich grundsätzlich nur in der dritten Person und im Konjunktiv, in der Möglichkeitsform.

„Aus der Fremde“ von Ernst Jandl handelt von der Entfremdung eines Poeten, der zu keiner bestimmten Aussage über sich mehr fähig ist. Die ganze Kläglichkeit seiner Existenz wird uns an einem Tagesablauf vorgeführt: Wir sehen die täglichen Verrichtungen und Niederlagen, die tägliche Begegnung mit der Dichterfreundin, die mit ihm trinkt, ißt, die Arbeit an seinem Stück bespricht (eben das Stück, das gerade aufgeführt wird) – Rituale, die den Kampf gegen das leere Blatt Papier herauszögern. Eine „Sprechoper“ ist dieses Kunststück über die fortlaufende Ereignislosigkeit des Lebens. Es besteht aus durchnumerierten dreizeiligen, rhythmisierten Strophen, die mehr gesungen als gesprochen werden sollen. Das Theater Syndikat und die koproduzierende Studiobühne der FU halten sich nicht daran. Sie machen aus der Oper Volksmusik, rücken die Existenz im Konjunktiv wieder in den Indikativ.

Sagt der Dichter: „er nehme jetzt eine tablette“, so nimmt er hier wirklich eine Tablette, sagt er „die lesebrille lege er auf den nachttisch“, so legt er hier wirklich die Lesebrille auf den Nachttisch. Nur gelegentlich scheint Regisseur Götz Zuber-Goos dieses einfältige Verdopplungsprinzip nicht zu genügen. Dann kippt er das naturalistische Spiel in der Dichterstube ins Absurde: Der zerknirschte Poet (Gerhard Kulig als Waschlappen), der zuerst verzweifelt über seinen Manuskripte brütet, hampelt dann plötzlich wie Rumpelstilzchen herum, und die Poetin (Renate Weyl als Gymnasiallehrerin) lacht hysterisch. Das ist schon alles; und das ist leider alles falsch, ist so als spielte man einen Satie auf einer Hammondorgel, die hier obendrein noch verstimmt ist.

Die Spannung zwischen der Alltäglichkeit des Geschehens und der Künstlichkeit der Sprache geht auch mangels Kunstfertigkeit flöten, die Komik, die gerade im Ernst steckt, wird ausgetrieben. Und wenn das Magerquark- Knäckebrot mit der bestrichenen Seite auf den Boden platscht, dann ist das kein Symptom einer aus dem Gleichgewicht gekippten Welt, sondern nur eine Episode einer mißratenen Inszenierung. Ein kleines Malheur, Schwamm drüber. Dirk Nümann

Weitere Vorstellungen: 27. bis 30.10. sowie 3.-6.11., 20 Uhr; Veteranenstraße, Mitte.