Motto aller Lesbenwochen: Stunk hält jung

■ Die lesbische Streitlust ist auch ein Ausdruck von Stärke, findet Sabine Hark

taz: Ist die Berliner Lesbenwoche repräsentativ für die deutsche Lesbenbewegung?

Sabine Hark: Die Lesbenwoche ist in gewisser Weise schon ein Spiegel dessen, was Lesbenbewegung in der Bundesrepublik darstellt, allerdings nicht vollständig. Lesbenpolitische Forderungen, die sich stärker an den Staat richten, sind zum Beispiel weniger repräsentiert.

Auch der akademische Diskurs scheint rausgefallen zu sein.

Es ist nicht mehr so einfach, feministisch-theoretische Überlegungen in politische Praxis zu übersetzen. Die theoretische Sicht auf Dinge ist komplexer geworden, was im Widerspruch zu stehen scheint zu den Notwendigkeiten des politischen Alltags.

Das ist sicherlich eine große Herausforderung, diese Komplexität in politische Arbeit umzusetzen.

In den USA scheint diese Verbindung besser zu funktionieren als hier.

Die queer-Bewegung war zunächst eine politische Bewegung und wurde dann in die Universitäten, in akademisch-theoretische Zusammenhänge hineingetragen. Allerdings ist die Theoriebildung mittlerweile radikaler als das, was politisch passiert. Das ursprünglich sehr offene Konzept von queer, das alle Interessierten, unabhängig von ihrer sexuellen Orientierung, ansprechen wollte, ist in der Praxis wieder tendenziell in ein identitätszentriertes umgeschlagen.

Ist die sexuelle Identität als identitätsbildendes Moment so wichtig?

Sexualität ist offenbar doch sehr stark mit der Vorstellung verbunden: „Das bin ganz authentisch ich.“ Das ist die Energie, die für das Bedürfnis nach klaren Identitätsgrenzen eine sehr starke Rolle spielt.

Gerade die deutsche Lesbenbewegung scheint zur Binnendifferenzierung zu neigen.

Das ist eine der politischen Stärken von lesbenbewegter Auseinandersetzung in der Bundesrepublik. Der Konsens darüber, was Frausein und dementsprechend Frauenpolitik ist, zerbrach bereits Anfang der achtziger Jahre.

Das zeigte sich auch auf der letzten Frauensommeruni 1983. Die Lesbenwoche ein Jahr später trat dann an, um Lesben sichtbar zu machen und Verständigung untereinander zu ermöglichen, auch mit dem Gestus: „Jetzt definieren wir uns selbst.“ Das erwies sich jedoch von Anfang an als schwierig, wie bereits der Eklat um Begriffe wie „Volk“ oder „Deutschsein“ auf dem ersten Abschlußplenum klarmachte. Ich denke aber, daß es die Lesbenwoche nach zehn Jahren gerade deshalb noch gibt, weil sie immer wieder Raum geboten hat, die Konflikte zu thematisieren.

Es gibt dieses Jahr kaum Veranstaltungen, die über die Lesbengemeinde hinausweisen, die eine politische Arbeit anvisieren, welche auf gesellschaftliche Veränderungen abzielt.

Wichtig ist ein selbstreflexives Moment. Das gilt nicht nur für die Lesbenbewegung. Für bestimmte Fragen, für bestimmte Phasen sind bestimmte Strategien und Umgangsweisen wichtig. Aber ihre Tauglichkeit muß immer wieder überprüft werden.

Interview: Sonja Schock