Der finanzielle Wahnsinn

Obwohl es noch keinen neuen Arbeitsvertrag zwischen Spielern und NBA gibt, soll in einer Woche die Saison im US-Basketball beginnen  ■ Von Matti Lieske

Berlin (taz) – „Das Spiel wird durch Gier beeinträchtigt“, sagt George Karl, der Coach der Seattle SuperSonics, und er meint dabei nur partiell seinen All-Star Shawn Kemp, der vier Tage dem Trainingslager fernblieb, um eine Vertragsverbesserung zu erzwingen. Kemp hatte Erfolg. Zwar mußte er für seinen Privatstreik 1.200 Dollar Strafe zahlen, dafür wurde sein Vertrag, der eigentlich bis zum Jahre 2002 lief, um ein Jahr verlängert und bringt ihm statt 26 Millionen Dollar insgesamt 46 Millionen.

Obwohl es im US-amerikanischen Basketball seit 1983 jene Gehaltsobergrenze („salary cap“) gibt, die die Klubbesitzer im Eishockey und Baseball so vehement fordern, geraten die Verdienste in der florierenden NBA zunehmend aus den Fugen. Dabei sahnen vor allem die jungen Spieler und die vom College zu den Profis wechselnden Neulinge („Rookies“) am ausgiebigsten ab. Die restriktiven Regeln der NBA erschweren den Transfer älterer Spieler, daher ist die einfachste Möglichkeit, ein Team effektiv zu verstärken, die Verpflichtung talentierter Rookies. Diese paradoxe Situation nutzen die Manager der smarten College-Kids rigoros aus.

Immer noch ohne Vertrag ist die Nummer eins des diesjährigen „Draft“, einer kontrollierten Verlosung der College-Cracks. Glenn Robinson wurde von den Milwaukee Bucks gewonnen, die ihm immerhin 60 Millionen Dollar für neun Jahre zahlen wollen. Doch Robinson möchte gern der erste 100-Millionen-Dollar-Mann des US-Sports werden. Sein Agent verlangt genau diese Summe für 13 Jahre. Die Nummer eins des vergangenen Jahres, Chris Webber, hatte bei den Golden State Warriors noch für 74,4 Millionen und 15 Jahre unterschrieben, Larry Johnson mußte sich vor drei Jahren mit 19,9 Millionen für sechs Jahre bescheiden. Arme Kerle. Beide haben allerdings inzwischen schon kräftige Lohnerhöhungen durchgesetzt.

Unter Dach und Fach sind die Verträge mit der Nummer zwei des Draft, Jason Kidd, in Dallas (neun Jahre/54 Millionen) und der Nummer drei, Grant Hill (8/45), der nach einigen Vorbereitungsspielen für die Detroit Pistons bereits mit Michael Jordan verglichen wird. Auch die Nummer vier, Donyell Marshall (9/42,6), hat in Minnesota unterschrieben. Noch ohne Kontrakt ist kurz vor dem geplanten Saisonbeginn am 4. November die Nummer fünf, Juwan Howard aus Michigan. Er verlangt von den Washington Bullets 24 Millionen für sechs Jahre, geboten sind 30,7 für zehn Spielzeiten. Das ist ungefähr soviel, wie Patrick Ewing 1985 als Top-Draft bei den New York Knicks herausholte und rund 25 Prozent der „salary cap“ der Bullets, was den Spielraum für die anderen Akteure natürlich einengt.

„Das ist finanzieller Wahnsinn“, schimpft Bullets-Manager John Nash über die merkwürdige Gehaltsverteilung, „die Lotterie- Spieler verdienen mehr als die Stars von Dream Team II.“ Diese sind entsprechend sauer. Scottie Pippen, sogar ruhmreiches Mitglied des Original-Traumteams, will nichts wie weg von den Chicago Bulls, seit der ungeliebte Rivale Toni Kukoc mehr verdient. Shawn Kemp, Weltmeister von Toronto, reagierte mit beschriebener Arbeitsverweigerung, und der Rest murrt. Die allgemeine „salary cap“ wird von der Spielergewerkschaft zwar heftig bekämpft, gegen eine Obergrenze für Jungprofis hätten viele altgediente Stars aber wenig einzuwenden.

Gar den Unmut des Volkes bekam Anfernee Hardaway, Vize- Rookie des Jahres hinter Webber, zu spüren. Gerade hatte Orlando Magic die Eintrittspreise verdoppelt, da trat „Penny“, wie der begabte Bursche tiefstaplerisch genannt wird, in einen neuntägigen Trainingscamp-Streik, um eine Verbesserung seines ohnehin fürstlichen Kontraktes zu erzwingen. Auch ihm gelüstete nach den magischen 100 Millionen, doch er gab sich schließlich mit 70 Millionen für neun Jahre zufrieden. Damit verdient er fast doppelt soviel wie Superstar Shaquille O'Neal, der die Sache gelassen nahm: „Michael Jordan ist acht Jahre lang unterbezahlt worden. Ich denke, ich kann damit leben, auch unterbezahlt zu werden. Ich neige nicht zur Eifersucht.“ Das Publikum war weniger zartfühlend. Als Lamborghini-Fahrer Hardaway zum erstenmal, nachdem er den Medien im schicken lila Anzug seine Vertragserweiterung verkündet hatte, die Arena betrat, empfingen ihn anhaltende Buhrufe.

„Das Geld hat das Erlebnis für die Fans entwertet“, meint Steve Baker, Sportjurist an der Universität von San Francisco. Im Moment scheint es jedoch eher, daß die Fans schon froh sind, wenn überhaupt in irgendeiner Profiliga gespielt wird. Und sollte Orlando Magic seine ehrgeizigen Pläne wahrmachen und beim Kampf um den Titel mitmischen, wird niemand in der Stadt mehr etwas gegen „Greedy Penny“ sagen.

Die Chancen des Teams, das sich mit Horace Grant aus Chicago und Brian Shaw aus Miami klug verstärkt hat, stehen gar nicht so schlecht, zumal die neuen, schärferen Regeln den spielerisch starken Mannschaften Vorteile gegenüber den Abwehrrabauken von Meister Houston Rockets und Vize New York Knicks verschaffen könnten. Endlich seinen Meisterschaftsring gewinnen will aber auch der rückengeplagte Charles Barkley, dessen Phoenix Suns zwar mit Danny Manning und Wayman Tisdale zwei neue Virtuosen, aber dafür nach dem Abgang von Oliver Miller und Mark West keinen starken Center mehr haben.

Detlef Schrempf darf hoffen, daß sich seine Seattle SuperSonics diesmal nicht ganz so dumm anstellen wie letzte Saison, die San Antonio Spurs vertrauen darauf, daß der Veteran Moses Malone die Gefühle von Rebound-König Dennis Rodman zu zügeln vermag, die Punktekönige der Golden State Warriors wollen mit Großverdiener Webber und dem genesenen Tim Hardaway endlich auch dann gewinnen, wenn es drauf ankommt, bei den Charlotte Hornets darf der 41jährige Robert „Chief“ Parrish noch einmal nach den Bällen greifen, und in Atlanta wird der Traum des genialen Russen Sergej Bazarewitsch, ein NBA-Trikot tragen zu dürfen, doch noch wahr.

Fürchten muß man um die Chicago Bulls. Vom dreimaligen Meisterschaftsteam ist nur noch Pippen übrig, und der hat keine Lust. Wenn es dumm läuft, könnte das Ex-Team des Baseball-Lehrlings Michael Jordan sogar die Rolle des Liga-Deppen von den Dallas Mavericks übernehmen. Die Texaner nämlich sollten jetzt mit Rookie Jason Kidd, dem nach seiner Drogensperre aus Griechenland heimgekehrten Roy Tarpley und den bisherigen Alleinunterhaltern Jamal Mashburn und Jimmy Jackson stark genug sein, wenigstens hin und wieder zu gewinnen.