■ Offener Brief von 134 iranischen Schriftstellern
: Unser Ziel ist die Freiheit des Wortes

Der offene Brief der iranischen Intellektuellen, der hier veröffentlicht wird, ist zweifelsohne ein Politikum ersten Ranges, ein Meilenstein im Kampf zwischen den säkularen Kräften und der Mullahkratie im Iran. Erstmals in der 15jährigen Geschichte der Islamischen Republik erhebt die Crème de la crème der iranischen Kulturwelt ihre Stimme gegen die religiöse Intoleranz und fordert die Freiheit des Denkens und des Wortes. Für die westlichen Leser wird der Brief teilweise unklar oder sogar unverständlich sein. Das hat mit den sprachlichen Kodierungen zu tun, die in totalitären Staaten vonnöten sind, aber auch mit Differenzen zwischen den Unterzeichnern. Seit Jahren diskutieren die iranischen Schriftsteller über die Bildung einer Berufsorganisation. Während die einen der Meinung sind, daß ein solcher Verband auch unter dem Mullah-Regime einen Sinn mache, glauben andere, nur in einer freien Gesellschaft könne es eine Freiheit des Wortes geben. Im Brief zeigt sich nun ein Kompromiß zwischen diesen beiden Richtungen: Die Bildung einer Berufsorganisation wird nicht angekündigt, wie in europäischen Zeitungen fälschlich gemeldet wurde, sondern lediglich als künftiges Ziel in Aussicht gestellt. Ferner wird im Brief mehrfach betont, daß die Unterzeichner „keine Verantwortung für persönliche politische Ansichten und Praktiken“ der einzelnen Autoren tragen. Hinter derlei Bekundungen steht die Befürchtung, die Mullahs könnten die politische oder private Lebensgeschichte der einzelnen Autoren zum Anlaß nehmen, um über die gesamte Versammlung den Bann zu sprechen. Der offene Protest gegen die Zensur dürfte heftige Reaktionen der Mullahs hervorrufen. Denn er ist ein, wenn auch vorsichtiges, Manifest des freien Geistes gegen die klerikale Knechtung. Ahmad Taheri

Wir sind Schriftsteller. Und zur Zeit versuchen die (iranische) Regierung, ein Teil der Gesellschaft und sogar mancher Schriftsteller, das Ansehen von uns Schriftstellern zu demontieren. Dies führt dazu, daß die Schriftsteller selbst, ihre Werke sowie ihr gemeinsames Auftreten unerfreuliche Reaktionen hervorrufen.

Deshalb betrachten wir iranischen Schriftsteller es als unsere Aufgabe, den Grund für unser gemeinsames Auftreten und den Inhalt unserer kulturellen Arbeit klarzustellen, um jegliche Bedenken auszuräumen.

Als Schriftsteller schreiben wir unsere Emotionen, Phantasien, Gedanken und das Resultat unserer Recherchen in verschiedenen Formen nieder. Wir schreiben und veröffentlichen. Wir haben ein natürliches, gesellschaftliches und bürgerliches Recht, unsere Schriften – sowohl Gedichte wie Romane, Theaterstücke wie Drehbücher, recherchierte Fakten wie Kritiken und auch die Übersetzungen von Schriftstellern aus der ganzen Welt – frei und ohne jegliche Behinderung an unsere Adressaten bringen zu dürfen. Weder einem einzelnen noch einer Institution darf es gestattet sein, die Veröffentlichung dieser Werke – unter welchem Vorwand auch immer – zu verhindern. Selbstverständlich steht es nach der Veröffentlichung jedem frei, diese Werke zu beurteilen und zu kritisieren. Da die Kraft des einzelnen nicht ausreicht, der derzeitigen Einschränkung des Denkens und Schreibens (im Iran) wirksam zu begegnen, sehen wir uns gezwungen, diesem Druck gemeinsam gegenüberzutreten. Wir wollen uns gemeinsam für die Verwirklichung der Gedanken- und Meinungsfreiheit, für das Recht auf Veröffentlichung und für die Aufhebung der Zensur einsetzen.

Wir sind der Meinung, daß unser gemeinsames Auftreten mit dem Ziel der Bildung eines Berufsverbandes iranischer Schriftsteller Ausdruck der Unabhängigkeit jedes einzelnen von uns ist, weil ein Schriftsteller bei der Schöpfung seines Werkes, bei der Analyse und Kritik anderer Werke und bei der Äußerung seiner Überzeugung frei sein soll. Unsere Koordination und Zusammenarbeit bei der Lösung gemeinsamer Probleme bedeutet nicht die Übernahme der Verantwortung für die Handlungen jedes einzelnen. Jeder trägt allein die persönliche, politische und soziale Verantwortung für sein Handeln und seine Gedanken.

Dennoch wird ein Schriftsteller (im Iran) gewöhnlich nicht als Schriftsteller, sondern in einem unterstellten Zusammenhang einer wahrscheinlichen Verbindung (oder Zugehörigkeit) zu politischen Flügeln betrachtet und beurteilt. So kommt es, daß ein kultureller Verband, in dem die Schriftsteller gemeinsam auftreten, als parteipolitisch oder politisch tendenziös eingeschätzt würde.

Die Regierungen, Institutionen und ihnen nahestehende Gruppen beurteilen das Werk eines Schriftstellers gewöhnlich je nach tagespolitischen Interessen und Opportunitäten. Entsprechend beliebig sind ihre Kommentare zum gemeinsamen Auftreten der Schriftsteller, bald ist dies Zeichen für eine bestimmte politische Tendenz, bald für eine ausländische und inländische Verschwörung. Diese Interpretationen dienen als Grundlage für Mißachtung, Erniedrigung und Bedrohung.

Aus diesem Grunde bekräftigen wir, daß unser Hauptziel die Beseitigung der Einschränkung der Gedankenfreiheit sowie der Freiheit des Wortes und der Veröffentlichung ist. Wer uns ein anderes Ziel unterstellt, liegt falsch und trägt die Verantwortung dafür selbst.

Jeder Schriftsteller ist verantwortlich für das, was er frei schreibt und unterzeichnet. Jeder Text, der im In- und Ausland für oder gegen uns, die iranischen Schriftsteller, veröffentlicht wird, muß allein von dem verantwortet werden, der ihn unterzeichnet.

Selbstverständlich hat jeder das Recht, jede Schrift zu analysieren und zu überprüfen, und selbstverständlich ist die Kritik an den Werken der Schriftsteller ein kulturelles Erfordernis. Aber man darf nicht unter dem Vorwand der Kritik in die persönliche Sphäre der Schriftsteller eindringen. Ihn mit moralischen und ideologischen Argumenten zu verurteilen, ist ein Verstoß gegen demokratische Gepflogenheiten und die Berufsehre. Die Aufgabe des Schriftstellerverbandes ist die Verteidigung der menschlichen und bürgerlichen Rechte jedes Schriftstellers in jeder Situation.

So ist trotz unseres gemeinsamen Auftretens jeder einzelne von uns unabhängig; die Gedanken und das Handeln des einzelnen haben mit unserem gemeinsamen Auftreten nichts zu tun. Nur so kann aus der Sicht von Demokraten eine unabhängige Berufsorganisation funktionieren.

Obwohl alles klar ist, wollen wir wiederholen: Wir sind Schriftsteller. Betrachtet uns als Schriftsteller. Erkennt unser gemeinsames Auftreten als rein berufliches Auftreten von Schriftstellern an!

Eine Durchschrift dieses Schreibens geht an alle Zeitungen und Zeitschriften im Iran, an das Ministerium für Kultur und islamische Führung, an die Nachrichtenagentur der Islamischen Republik Iran, an den Internationalen PEN-Club (sowie alle Zweigstellen) und alle Schriftstellerverbände in der Welt.

134 Unterschriften liegen bei denjenigen vor, die die Unterschriften gesammelt haben.

Übersetzung: taz