Asymmetrische Verhältnisse in Sein und Wesen

■ Die Berichte der Bundesregierung und der Frauenorganisationen stehen in scharfem Kontrast. Selbst in der Begrifflichkeit gibt es kaum Berührungspunkte

Zwei Berichte aus ein und demselben Land. Bericht A vermeldet eine Erfolgsbilanz: „Die Anzahl der Frauenhäuser ist von ca. 120 1985 auf derzeit über 330 gestiegen. Sie werden zumeist durch die Bundesländer und Kommunen finanziell gefördert, vielen Frauenhäusern sind Beratungsstellen für mißhandelte Frauen angegliedert.“ Bericht B kritisiert: „Trotz der im Zuge der Frauenbewegung öffentlich gemachten sexuellen Gewalt und des Wissens über die Situation der Opfer ist das Hilfesystem höchst unzureichend entwickelt. Notrufe für vergewaltigte Frauen existieren nur vereinzelt, unter völlig unzureichenden Bedingungen und von entsprechend begrenzter Wirksamkeit.“

Bericht A: „Die verstärkte Thematisierung des sexuellen Mißbrauchs von Kindern hat ebenso zu einer Vielzahl von Beratungsstellen, Kampagnen und Fortbildungsmaßnahmen geführt.“ Bericht B: „Diese Haltung der Gesellschaft deutet darauf hin, daß sie sich im Unterschied zur Gewaltkriminalität in anderen Bereichen mit der gegen Frauen und Kinder gerichteten Gewalt arrangiert hat – Frauenhäuser verwalten und versorgen die Auswirkungen von Gewalt. Durch ihre Existenz werden die bestehenden Machtverhältnisse nicht angetastet.“ So wie hier beim Kapitel „Gewalt gegen Frauen“ stehen der Bericht der Bundesregierung und der Bericht der NGOs in scharfem Kontrast.

Der eine zählt zwar auch einige Mißstände auf, endet aber meist im Selbstlob der Regierung, die mit hohem Aufwand dem Glück der Frauen entgegeneilt. Der andere ist eine Bilanz von Unterlassungssünden, durchsetzt mit Resignation über Stagnation und Rollback.

Selbst in der Begrifflichkeit finden sich kaum Berührungspunkte: Der Regierungsbericht fabuliert über das „asymmetrische Geschlechterverhältnis, die gedachten und gelebten Vorstellungen über das Sein, Wesen und Handeln von Frauen und Männern und die daraus gefolgerte Dominanz des Mannes“, der Gegenbericht konstatiert, daß „Geschlechterhierarchie und Dominanz des Mannes auf allen gesellschaftlichen Ebenen durch gegenwärtig noch herrschende Strukturen unseres Gesellschafts- und Wirtschaftssystems aufrechterhalten werden“. Der eine lobt die juristischen und organisatorischen Maßnahmen zum Schutz der Frauen vor Gewalt. Der andere spricht von „Wut, Ärger und Resignation gegenüber der Polizei, der Staatsanwaltschaft und den Richtern“.

Daß die Bundesregierung den Bericht der NGOs nicht in engster Nähe gedruckt wissen wollte, kann da kaum verwundern. Die beiden Berichte bilden eine unfriedliche Koexistenz. Der eine entglorifiziert die Meriten, die der andere sich an die Brust heften will.

Obwohl an dem Nichtregierungsbericht sehr unterschiedliche politische Gruppierungen und Einzelpersonen mitgearbeitet haben, enthält er kaum Schmeichelhaftes für die bundesdeutsche Frauenpolitik. Bestes Beispiel: das Kapitel Ausländerinnen und weibliche Flüchtlinge. Der Regierungsbericht erschöpft sich in Zahlen, die unterschwellig vor allem eine Botschaft transportieren: In der Bundesrepublik leben viele, viele Ausländer, und die sind für den Steuerzahler teuer, teuer. „Bund, Länder, Kommunen, Kirchen, freie Träger der Wohlfahrtspflege sowie andere öffentliche und private Einrichtungen wenden jährlich erhebliche Beträge für die Integrationsarbeit für Ausländerinnen und Ausländer auf“, lautet das Eigenlob. Ausländische Männer und Frauen sind rechtlich gleichgestellt. Wenn die Frauen es schwerer haben, dann vor allem durch eigene Schuld, „durch Sprachprobleme, fehlende Erfahrung im Umgang mit deutschen Behörden, ein anderes Rollenverständnis der Frau sowie religiös und ethisch bedingte Hemmnisse“.

Der Nichtregierungsbericht zu diesem Kapitel, an dem neben Flüchtlingsorganisationen auch Vertreterinnen der Ausländerbeauftragten des Bundes und des Hohen Flüchtlingskommissars mitgearbeitet haben, enthält dagegen einen präzisen Forderungskatalag zur „Entschärfung der Situation von Flüchtlingsfrauen“. Der Katalog ist gleichzeitig Anklage: „Die Wirtschaftspolitik der BRD setzt die Ausbeutung von wirtschaftlich schwachen Ländern weiter fort und trägt dort zu einer Verschärfung von Arbeitslosigkeit, Armut, Hunger, Krankheit, Abhängigkeit und Gewalt bei. Insbesondere Frauen und Kindern wird so ihre Existenzgrundlage entzogen.“ Weiter unten steht: „Die Neuregelung des Art. 16 GG sowie die Neufassung des Asylverfahrensgesetzes müssen unverzüglich wiederaufgehoben werden. Mit ihrer Konzeption der sogenannten sicheren Dritt- und Herkunftsstaaten machen sie es besonders Flüchtlingsfrauen nahezu unmöglich, in der BRD Zugang zum Asylverfahren zu finden.“ Das läßt sich eine Bundesregierung nicht zweimal sagen. Einmal ist ihr schon zuviel.