Zur Vorbereitung der Weltfrauenkonferenz, die nächstes Jahr in Peking stattfindet, wollte die Bundesregierung Liberalität beweisen und beauftragte Frauenorganisationen mit einem Bericht. Der Bericht kam – und alle sind sauer Von Vera Gaserow

Deutlich erkennbar abgegrenzt

Gut 200 Seiten liegen auf dem Tisch der Bonner Frauenministerin, in zweijähriger ehrenamtlicher Arbeit von rund 300 Frauen und einigen, wenigen Männern verfaßt – gemeinsam erarbeitete Berichte von nichtstaatlichen Organisationen über die Situation der Frauen in Deutschland. Sie sind zur Vorlage gedacht für die 4. Weltfrauenkonferenz in Peking im Herbst nächsten Jahres. Das Bundesfrauenministerium hat sie selbst in Auftrag gegeben, und eigentlich waren sie als Anhang zum nationalen Bericht der Bundesregierung für die Pekinger UN-Konferenz vorgesehen. Daß in den Berichten keine Lobeshymnen auf die Frauenpolitik der Bundesregierung gesungen würden, war auch den Auftraggebern im Bonner Frauenministerium klar. Doch nun enthält der Stapel Papier offenbar zu schwer verdauliche Kost.

Etliche „dicke Klöpse“ hat Angela Merkels Ministerium darin gesichtet. Und weil die Bundesregierung keine „Klöpse“ mag, hat sie die Speisefolge verändert: Wenn in Peking die internationale Gemeinschaft über die Situation der Frauen berät, wird es aus Deutschland zwei Berichte geben. Die Bundesregierung wird den kritischen Bericht der regierungsunabhängigen Organisationen (NGOs, nach den englischen „Non-Governmental Organizations“) zwar auf Staatskosten drucken. Aber anders als vereinbart wird sie ihn nicht als Anhang zu ihrem offiziellen Bericht präsentieren. Die Autorinnen fühlen sich durch diese „Ausgrenzung ungeheuer verscheißert“.

Zur Vorgeschichte: Im Juli 1992 hatte Frauenministerin Angela Merkel ein nationales Vorbereitungskomitee für die Weltfrauenkonferenz ins Leben gerufen. Darin sollten rund fünfzig Vertreterinnen aus Bundes- und Länderministerien, aus politischen Parteien, Wissenschaft und Medien, aus Frauenverbänden und -organisationen die bundesdeutschen Aktivitäten zur Weltfrauenkonferenz koordinieren und das Ministerium bei der Abfassung des nationalen Frauenberichts beraten. Und weil die UN für ihre Konferenz ausdrücklich keinen Wert auf Jubelberichte legt, waren auch in Deutschland nichtstaatliche Organisationen aufgefordert, ihre Sicht der (Frauen-)Dinge zu dokumentieren. Das versprach nicht nur Fachwissen, mit dem man sich schmücken konnte, sondern demonstrierte auch Liberalität und Souveränität gegenüber KritikerInnen im eigenen Land.

Rund 300 Frauen und einige Männer machten sich also ans Werk, um Analysen zu unterschiedlichen Problemkreisen vorzubereiten. Ein buntes Spektrum aus ganz unterschiedlichen Institutionen war beteiligt: Deutscher Hausfrauenbund und die Hurenorganisation Hydra, Dritte-Welt- Gruppen und katholische Frauenverbände, Deutscher Akademikerinnen-Bund und autonome Frauen- und Mädchenhäuser. Mehrmals im Jahr traf man im nationalen Vorbereitungskomitee mit den offiziellen Vertreterinnen aus dem Frauenministerium zusammen, um die Aktivitäten zu koordinieren.

In zwölf Arbeitsgruppen arbeiteten die Frauen an verschiedenen Themen: Gewalt gegen Frauen, wirtschaftliche und soziale Sicherung der Frau, Frauen in Führungspositionen und die Situation von Flüchtlingsfrauen standen unter anderem auf dem Plan. Jede dieser zwölf Gruppen, so wurde fest vereinbart, sollte einen fünfseitigen schriftlichen Kurzbericht und eine zwanzigseitige Langfassung vorlegen. Die Kurzberichte der NGOs sollten dem nationalen Frauenbericht der Regierung angehängt werden – so war es bei den Treffen vereinbart.

Im Sommer mahnte das vom Frauenministerium inthronisierte nationale Vorbereitungskomitee zur Eile. Die Berichte der Arbeitsgruppen müßten rasch fertig werden, denn im Herbst wolle man sie gemeinsam mit dem Regierungsbericht bei der internationalen Konferenzvorbereitung in Wien vorstellen. Doch als sich Mitte Oktober NGOs und offizielle VertreterInnen aus 54 Staaten trafen, hatten zwar die ehrenamtlich arbeitenden deutschen Fachfrauen ihre Hausaufgaben gemacht, die Bundesregierung jedoch nicht. Obwohl von gehörigem personellem und finanziellem Aufwand unterstützt, hatte das Bonner Ministerium nicht rechtzeitig geschafft, was etwa der Regierung Kasachstans termingerecht gelungen war: nach zweijähriger Vorbereitungszeit eine Bestandsaufnahme und Analyse vorzulegen. Es habe „Abstimmungsschwierigkeiten“ zwischen den verschiedenen Ressorts gegeben, verlautete dazu aus dem Frauenministerium.

Ende letzter Woche waren die „Abstimmungsschwierigkeiten“ behoben – auf ganz eigene Weise. Das Kabinett verabschiedete den offiziellen nationalen Frauenbericht – die Expertisen der unbequemen Kritikerinnen fehlten. Die sollen nun, so die offizielle Auskunft, vom Regierungsbericht „deutlich erkennbar abgegrenzt“, als zweiter Bericht an die UN-Zentrale nach Genf geschickt werden. Ursprünglich hatte man im Merkel-Ministerium noch überlegt, den Bericht der NGOs mit seinen unbequemen Stellungnahmen durch eine andere Papierfarbe oder Schrift vom offiziellen Konvolut abzugrenzen. Jetzt hat man sich vollends abgegrenzt.

„Als abgetrennten Bericht liest das kein Mensch“, schimpft Sybille Schücking-Helfferich, die als Vertreterin von terre des femmes an dem Bericht der NGOs mitgearbeitet hat, „die Bundesregierung ist damit auch nicht mehr verpflichtet, unseren Bericht auf der Weltfrauenkonferenz zu verteilen. Es war immer Grundvoraussetzung unserer Arbeit, daß Regierungsbericht und unser Bericht gemeinsam veröffentlicht werden. Man hat uns richtig Honig um den Bart geschmiert.“

„Einen gemeinsamen Bericht hätten wir niemals durch das Kabinett gekriegt, da können Sie Gift drauf nehmen“, verteidigt Angela Merkels Sprecherin, Gertrud Sahler, die Distanzierung. „Um den Segen des Kabinetts zu bekommen, hätten die NGOs ihre Position wesentlich verändern müssen, und da weiß ich nicht, ob denen das lieber gewesen wäre.“ Auf Unwillen sind offenbar vor allem die Kapitel „Frauen und Umwelt“, „Frauen und Frieden“ und die Seiten über Fluchtursachen und Situation von Flüchtlingsfrauen gestoßen. So, wie diese Teile geschrieben seien, mit all ihren „Klöpsen“, „hätten die anderen Häuser den Bericht niemals gebilligt. Oder glauben Sie, daß der Bundesverteidigungsminister zustimmt, daß die Bundeswehr als Angriffsarmee bezeichnet wird?“ Wohl kaum. Nur mußte er gar nicht zustimmen. Er mußte nur eine andere Meinung tolerieren.