Rot-braunes Strickmuster ohne Ende

■ Die Totalitarismustheorie ist wieder Thema: Rechte kramen in der Mottenkiste, Linke suchen nach einer Neudefinition

Der Kalte Krieg ist vorbei, aber ein Lieblingswort der Kalten Krieger ist in aller Munde: Totalitarismus. Vor 1989 hätten die antifaschistischen Tugendwächter in den politologischen Proseminaren jeden Kommilitonen niederdiskutiert, der das DDR-System „totalitär“ nannte. Totalitarismus, das hieß, Nationalsozialismus gleich Stalinismus zu setzen.

In diesem Sinne macht der Bochumer Historiker Hans Mommsen eine „Rechtswende in der Geschichtswissenschaft“ für die Renaissance des Totalitarismusbegriffs verantwortlich. Es sind freilich nicht nur rechtskonservative Extremismusforscher, die das alte Kategoriengerüst aufleben lassen. Zwar wird der Begriff heute gerne von Rainer Zitelmann und seinen nationalen Ullstein-Autoren benutzt. Aber auch die Linke greift das Konzept wieder auf. Sie will es neu denken – wie etwa Jürgen Habermas, der jüngst in einer Diskussion der Enquete-Komission zur Aufarbeitung der DDR-Geschichte einen „antitotalitären Konsens“ forderte.

Auch ein Symposium des (linken) Hamburger Instituts für Sozialforschung stellte sich die Frage, ob sich die Totalitarismustheorie für heutige Forschungen aktualisieren läßt. Denn die enge Totalitarismusdefinition des Kalten Krieges hatte schon vor 1989 ausgedient. Danach ist ein totalitäres Regime unter anderem gekennzeichnet durch ein Einparteiensystem, eine Einheitsideologie, kalkulierten Staatsterror – und die Planwirtschaft.

Die „Transformationsforscher“ – sie untersuchen den Übergang von der realsozialistischen Plan- zur Marktwirtschaft – können der verstaubten Theorie nichts abgewinnen. Hubertus Buchstein, Dozent für Politische Philosophie am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität Berlin, sieht deshalb keinen Grund, die Herrschaftsformenlehre wiederzubeleben. Es gebe „eine theoretische Suchbewegung“, so Buchstein. „Aber das hat wohl mehr mit der Vergangenheitsbewältigung von 68ern zu tun, die glauben, die DDR nicht stark genug kritisiert zu haben.“

Ein Tabu der Linken?

Wolfgang Kraushaar vom Hamburger Institut für Sozialforschung hingegen, der mit Alfons Söllner die „linke“ Totalitarismusdiskussion vorantreibt, möchte vor allem ein Tabu brechen: „Ich will die Totalitarismus-Theorie der 50er Jahre nicht reaktivieren, aber ich will sie für neue Untersuchungen fruchtbar machen.“ Kraushaar versucht, die Kalte-Krieg-Theorie um sozialpsychologische Elemente zu erweitern: In künftigen Untersuchungen will er vor allem nach dem „libidinösen Kitt totalitärer Regime“ fragen. Auch Kraushaars Engagement setzt bei linken Tabus an: „Viele Linke tun sich schwer, sich mit ihrer Vergangenheit auseinanderzusetzen. Deshalb treiben Rechtsintellektuelle sie immer wieder in die Defensive.“

Wenn einige Linke auch eine überholt geglaubte Theorie reanimieren – mit der Forschung und Interpretation des Begriffs durch das Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung wollen sie nichts zu tun haben. Das Dresdner Institut war am 17. Juni 1993 auf Initiative der CDU-Fraktion im sächsischen Landtag gegründet worden. Unter Hannah Arendts Namen, einer der Totalitarismustheoretikerinnen schlechthin, sollen zehn Historiker sächsische Regionalgeschichte schreiben. Der Gründungsdirektor des Forschungsinstitutes, der Bonner Osteuropa-Historiker Alexander Fischer, bestreitet, daß in seinem Institut nach dem Motto „rot gleich braun“ geforscht werde. Die jüngste Buchpublikation der Dresdner tut aber genau dies: Im „Torgau-Tabu“ werden das Wehrmachtsstrafsystem im NS, NKWD- Speziallager und der DDR-Strafvollzug verglichen.

Wolfgang Kraushaar distanziert sich von den Dresdner Forschern. Das Forschungsinstitut sei stark von der sächsischen CDU inspiriert. Für Kraushaar ist es dafür geschaffen, „in den neuen Bundesländern eine neue politische Ideologiebildung voranzutreiben“. Rüdiger Soldt