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Hat die Waschmaschine ein Geschlecht?

Frauen und Naturwissenschaften – eine Sammelrezension zur feministischen Technikdebatte / Ist Technik männlich, weil von Männern betrieben? Sie ist jedenfalls vergegenständlichte männliche Kultur  ■ Von Ulrike Baureithel

Als 32jährige beginnt sie, mit dem Teleskop ihres Bruders den Himmel nach bemerkenswerten Erscheinungen abzutasten. In sternenklaren Nächten steht sie auf dem taugetränkten Rasenplatz und spürt mit dem Kometensucher nach Nebelflecken und Sternhaufen, schreibt auf, ordnet, legt Verzeichnisse an. Die Rede ist von Caroline Herschel (1750-1848), zunächst Gehilfin, dann unentbehrliche Mitarbeiterin des Astronomen Wilhelm Herschel.

Caroline Herschel ist eine jener Pionierinnen ihres Geschlechts, an deren bedeutenden Beitrag zur Entwicklung der modernen Naturwissenschaften sich heute kaum mehr jemand erinnert. Ihre vergessene Geschichte hat Renate Feyl als eine von elf literarisierten Porträts aufgeschrieben – darunter die geläufigeren von Ricarda Huch oder Lise Meitner, aber auch so unbekannte wie das der ersten weiblichen Doktorin Dorothea Schlözer oder der Botanikerin Amelie Deitrich. Herschel lebt in der Zeit, in der das moderne naturwissenschaftliche Weltbild hergestellt wird, in einer Periode, in der, wie die amerikanische Wissenschaftshistorikerin Carolyn Merchant nachweist, ein grundlegender Paradigmenwechsel stattfindet: Die Natur wird zunehmend nicht mehr als „Organismus“, sondern als „Maschine“ wahrgenommen, die beliebig verfügbar ist und nach dem Willen des (männlichen Natur-)Wissenschaftlers zu funktionieren hat.

Pionierinnen am „patriarchalen Großprojekt“

Nun ist es gewiß kein Zufall, daß der Anteil der Frauen an diesem „patriarchalen Großprojekt“ verschwiegen wird, und verdienstvoll sind deshalb die Anstrengungen, diesen weiblichen Beitrag in Erinnerung zu bringen; nicht nur, um den Mythos zu zerstören, daß Naturwissenschaft von jeher eine Männerangelegenheit gewesen sei, sondern auch, um die Rolle von Frauen in der Geschichte der modernen Wissenschaft kritisch zu beleuchten. Denn als Caroline Herschel mit dem berühmten vierzigfüßigen Teleskop den Himmel absuchte und ihre Beobachtungen katalogisierte – handelte es sich da um ein anderes Projekt als bei den Forschungen ihres Bruders? Und ist das Instrument, mit dem sie den Weltraum „penetrierte“, weniger „phallisch“, nur weil es von einer Frau bedient wurde?

Offenbar verdeckt die unendliche Skandalgeschichte des weiblichen Ausschlusses noch immer die Frage nach dem Charakter des ganzen Unternehmens, oder provozierender: Führen die so offensichtlich männerbündischen Strukturen der modernen Natur- und Ingenieurwissenschaften dazu, ihren Gegenstand zu retten und ihn vom Verdacht der Einseitigkeit und Unangemessenheit zu befreien? Bürgt es nicht schon für die Seriosität des Projektes, wenn Frauen so nachdrücklich auf ihre Teilhabe an ihm beharren? Und sind Naturwissenschaft und Technik „nur“ deshalb sexistische Veranstaltungen, weil sie fast ausschließlich von Männern durchgeführt werden, oder verbirgt sich das „Geschlecht“ der Wissenschaft sozusagen hinter den schützenden Rücken ihrer männlichen Betreiber?

Diese Fragen begleiten meine Durchsicht der aktuellen Publikationen zur feministischen Wissenschafts- und Technikkritik, deren Lektüre den Eindruck hinterläßt, daß einerseits einige liebgewordene Positionen in bezug auf eine „weibliche Wissenschaft“ dringender Revision bedürfen und andererseits die feministische Technikdebatte – insbesondere hinsichtlich der Zukunftstechnologien – noch ganz am Anfang steht.

Zu den gehätschelten Vorstellungen des wissenschaftlichen Feminismus gehört die Annahme, daß „die Frauen“ befähigt seien, „bessere“, daß heißt den Bedürfnissen der Realität angemessenere Wissenschaft zu betreiben. Nachdem sich Feministinnen jahrzehntelang am Nachweis abarbeiteten, daß die von Männern entwickelte wissenschaftliche Rationalität „schlechte“ – also „einseitige“ und sozial unverträgliche – Wissenschaft hervorgebracht hat, versprach und verspricht „die“ weibliche Perspektive auf die Welt, adäquatere Resultate zu liefern. Nachlesen läßt sich diese Position in einem Band, der die Beiträge eines 1993 in Wien veranstalteten Kongresses „Frauen in Naturwissenschaft, Technik, Handwerk und Medizin“ versammelt.

Während die Physikerin Rosemarie Rübsamen beispielsweise für eine moderate Drittelquotierung plädiert, um die „patriarchalen Strukturen“ in ihrer Disziplin „aufzuspüren“, während also das „Projekt Physik“ durch weibliche Einflußnahme grundsätzlich für „rettungswürdig“ erklärt wird, zerstört Claudia von Werlhof mit ihrer dualistischen „auf Leben und Tod“-Anordnung – konkret: hier die lichte Frauenweisheit, dort schwarze (Männer-)Magie – jede Hoffnung, daß im finstern Wissenschaftstempel des Patriarchats noch ein (natürliches!) Licht aufgehen könnte. „Unseren VorfahrInnen“, betrauert die Professorin aus Innsbruck den zivilisatorischen Naturverlust, „war alles Wasser heilig, nicht nur das Weihwasser!“ Solchermaßen eingestimmt, wird die ökologisch bewußte Hausfrau künftig ihre Waschmaschine wie der Teufel das Weihwasser meiden, und es erübrigt sich, auch nur eine Minute über das „Geschlecht“ dieser Haushaltsmaschine nachzudenken!

Nun läßt sich andererseits mit gutem Grund der Anspruch der Physik, als Leitmodell für alle übrigen Wissenschaften zu fungieren, bezweifeln. Die amerikanische Wissenschaftstheoretikerin Sandra Harding hat schon vor etlichen Jahren das unreflektierte Bewußtsein der Naturwissenschaften – insbesondere für Physik – über sich selbst kritisiert und deren „exakte“ Methoden für die Erfassung der Wirklichkeit als unzureichend erklärt (vgl. taz v. 30.7.94). An die theoretischen Überlegungen Hardings knüpft auch die Studie der australischen Soziologin Judy Wajcman über das Verhältnis von Technik und Geschlecht an, und sie legt damit einen ersten umfassenden Überblick über die feministische Technikdiskussion vor. Im ersten Kapitel referiert sie streckenweise Hardings Wissenschaftskritik und übernimmt deren skeptische Beurteilung des sogenannten weiblichen „Kulturfeminismus“, der Frauen quasi ontologisch zu „besseren Menschen“ erklärt und der die moderne Technik als Teufelswerk des Patriarchats ablehnt oder verdammt.

Aber auch der Annahme, daß die technischen Produkte wissenschaftlicher Forschung prinzipiell „neutral“ seien und nur bösartige Interessen (der Männer, der Industrie, des Staats etc.) sie mit einem Fluch belegen, begegnet Wajcman mit ausgesprochener Ablehnung und stellt die gleiche Schlüsselfrage wie im Hinblick auf die Naturwissenschaften: Besteht das Problem in der Vorherrschaft der Männer über die Technik, oder ist die Technik selbst patriarchal? Und wie läßt sich die vertrackte Tautologie vermeiden, die Technik sei männlich, weil sie von Männern betrieben würde?

Maschinenmänner und Muttermaschinen

Ihr Gang durch die feministische Technikkritik durchquert vier Felder: Die Produktions- und Reproduktionstechnologie, die Haushaltstechnik und die Architektur und Stadtplanung. Erklärtes Ziel ihrer Untersuchung ist die Widerlegung des verbreiteten „Technikdeterminismus“, der besagt, daß die technologische Entwicklung der Motor des gesellschaftlichen Wandels sei. Dagegen führt Wajcman den Nachweis, daß auch vielfältige gesellschaftliche Faktoren die Technikentwicklung beeinflussen und Technik nicht „neutral“, sondern in vielfältigster Form „vergeschlechtlicht“ in Erscheinung tritt.

In der marxistischen, aber auch in der Postfordismus-Diskussion gibt es eine lange Auseinandersetzung über die Frage, welche Auswirkungen die Automatisierung auf die Arbeit und die berufliche Qualifikation hat. Die einen behaupten, durch den Wegfall repetitiver Arbeitsschritte erhöhe sich das Qualifikationsniveau der Belegschaft.

Andere hingegen sind der Ansicht, daß durch die Auslagerung des Produktionswissens auf die Maschine die Fähigkeiten der Beschäftigten sinken. Selten allerdings wird der Zusammenhang zwischen der Macht von Männern am Arbeitsplatz und ihrer Macht über Maschinen untersucht: Und noch seltener wird darüber nachgedacht, welche Rolle die technologische Entwicklung in der Konstruktion der Geschlechterverhältnisse am Arbeitsplatz spielt.

Offensichtlich ist der Trend, daß die Automatisierung der Werkzeugmaschinen begleitet wird von Machtkämpfen zwischen Kapital und Arbeit, bei denen die Geschlechterdifferenz ausgebeutet wird. Die englische Soziologin Cynthia Cockburn zeigt in einer Untersuchung beispielsweise, wie in den Arbeitskämpfen der britischen Setzer gegen die Einführung des Computersatzes alle Register sexistischer Propaganda gezogen wurden, um sich gegen die „Feminisierung“, das heißt die Abwertung ihres Berufs zu wehren. Auch die Unternehmensseite ist wenig zimperlich, wenn sie bei der Einführung von neuer Technologie mit der billigeren Frauenarbeit droht. Sowohl das Geschlecht der Arbeiterschaft als auch das Geschlechterverhältnis am Arbeitsplatz, so das Fazit Wajcmans, bestimmen Richtung und Tempo des technischen Wandels.

Herumgesprochen hat sich mittlerweile, daß die Haushaltstechnologie die Hausarbeiterin selten „freisetzt“ für Muse und Entspannung. Daß ein Elektroherd beispielsweise keineswegs nur ein „neutrales“ Gerät ist, sondern ein Ding, in das die Verkaufsinteressen der Industrie ebenso eingegangen sind wie die der um ihr eigenes Wohl besorgten Männer, offenbaren die vernachlässigten und teilweise vergessenen Alternativen: den billigeren Gasherd oder die Versuche mit kollektiven Hauswirtschaftsformen. Und über die enge Küche hinaus finden sich die Spuren einer Technikgestaltung, die vorwiegend männliche Bedürfnisse bedient, auch in der Architektur und der Stadtplanung.

Ist also die Bindung der Technik an die Männer „natürlich“? Zweifellos scheint es eine Affinität zu geben, aber in anderer Hinsicht: „Technik“ und ihre Beherrschung ist fundamental für die Herstellung männlicher Identität und ein entscheidender Faktor, der Männern Macht über Frauen verleiht. Umgekehrt schuldet sich die weibliche „Technikferne“ deshalb nicht einfach nur mangelndem Selbstvertrauen, sondern sie ist ebenso Teil der weiblichen Geschlechtsidentität. Und die Art und Weise, wie sich Technik in unserer Kultur verkörpert, entspricht den sozialen Beziehungen in einer Gesellschaft, auch denen zwischen den Geschlechtern. Von den Männern, so Wajcman, ließe sich allerdings lernen, wie schnell sie sich an neue und ungewohnte technologische Entwicklungen anpassen und unter Umständen sogar ihre Identität entsprechend ummodellieren.

Das Verhältnis von Technik und Geschlecht ist also so wenig wie das von (Natur-)Wissenschaft und Geschlecht nur eine Frage der Differenz: Es geht eindeutig auch um Macht, nicht zuletzt um Definitionsmacht darüber, wie Zukunft aussehen soll. Abgesehen von der verdienstvollen Übersicht über den Stand der feministischen Technikdebatte liefert Wajcman damit auch einen brauchbaren Ansatz für eine feministische Technikbewertung und -kritik. Die Probleme beginnen, wo ihr Referat endet – möglicherweise, weil die Dinge problematischer werden: bei den Zukunfts-, insbesondere den Informations- und Computertechnologien.

Es geht um Macht, um Definitionsmacht

In einer nicht explizit feministischen Studie hat Bettina Heintz einen aufschlußreichen wissenssoziologischen Beitrag über die Voraussetzungen der modernen Computerentwicklung vorgelegt. Darin zeigt sie einerseits die vielfältigen gesellschaftlichen Einflüsse einer sich explizit „wertneutral“ gerierenden Wissenschaft wie die Mathematik, indem sie den verschiedenen Diskurssträngen der Disziplin nachgeht und fragt, warum sich das Fach in Richtung abstrakter Formalisierung (wie sie zum Beispiel David Hilbert in den zwanziger Jahren vordachte) und nicht anders entwickelte.

Dieser eminent wissenschaftskritische Befund wird ergänzt durch eine Untersuchung über den Zusammenhang von gesellschaftlichen Rationalisierungsprozessen und Computerentwicklung. Die berühmte Turingmaschine, Vorläuferin des heutigen Computers, sollte bekanntlich den Nachweis erbringen, daß eine Maschine das menschliche Denken übernehmen kann, solange es sich nach Regeln vollzieht. Diese im Computer simulierte Austauschbarkeit von Mensch und Maschine führt Heintz zu der folgenschweren Frage, unter welchen Bedingungen sich der Mensch „maschinenhaft“, das heißt „berechenbar“, verhält und – das wäre die feministische Folgeüberlegung – unter welchen Voraussetzungen er oder sie sich dieser Zumutung entziehen kann.

Erst in Umrissen deuten sich damit die Herausforderungen an, die die Entwicklung der künstlichen Intelligenz an die feministische Wissenschaftskritik stellt; und sie ist gewiß nicht damit zu beantworten, daß Frauen größere moralische Kompetenzen unterstellt werden und sie dadurch den Anfechtungen der Technologie gewachsener gegenüberstünden.

Übrigens gehörte die Mathematikerin Emmy Noether, wie Renate Feyl erzählt, zu der Göttinger Wissenschaftsgruppe um Hilbert, die die Mathematik auf den Weg ihrer axiomatischen Formalisierung brachte, unter Verzicht auf deren Rückbindung an die „Welt“. Mit dieser Leistung war eine wesentliche Voraussetzung für die moderne Computerentwicklung gelegt. In Deutschland scheiterte Emmy Noether als Wissenschaftlerin an ihrem Geschlecht, sie wurde trotz internationaler Anerkennung nie zur ordentlichen Professorin berufen und verließ 1933 das Land. Was zeigt, daß die Frage der Vergeschlechtlichung von Naturwissenschaft und Technik erheblich komplizierter liegt, als es die partizipationsorientierten Quotierungsbemühungen glauben machen wollen.

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