■ Ohne Reform der Wohnungsbauförderung wird es keinen Abbau der wachsenden Wohnungsnot geben
: Eigentum verpflichtet?

Die Jahre 1993, 1994 und 1995 werden als Bauboom in die Wohnungsbaugeschichte der Bundesrepublik eingehen. Die Anzahl der in diesen Jahren neu errichteten Wohnungen, die etwa zwei- bis dreimal über der der zweiten Hälfte der 80er Jahre liegt, erfüllen voll und ganz die Vorhersagen der Optimisten. Und doch: Dieses Neubauhoch ist nicht in der Lage, die Wohnungsnot spürbar abzubauen. Das kann nicht nur an der Höhe der für den Wohnungsbau zur Verfügung stehenden Mittel liegen. Insgesamt fließen aus den Haushalten von Bund und Ländern jährlich Mittel in Höhe von etwa 50 Milliarden Mark in den Wohnungsbau. Sie erreichen damit eine Höhe, die in der Größenordnung des Verteidigungsetats liegt. Es stellt sich also die Frage nach der Effektivität des Ganzen.

Schaut man sich die Verteilung von Förderung und Subventionen im Wohnungssektor auf einzelne Einkommensgruppen an, so springt die große Disparität ins Auge. Das obere Einkommensfünftel erhält insgesamt genausoviel Förderung wie das untere Einkommensfünftel. Die mittleren Einkommensgruppen liegen um etwa ein Drittel unter diesem Niveau. Diese ungleiche Entwicklung hat sich dabei seit 1987 noch verstärkt. Da jeder Wohnungsneubau nur durch Förderung beziehungsweise Subvention möglich ist, muß die politische Zielsetzung der derzeitigen Wohnungsbauförderung diskutiert werden.

Die Grundzüge der derzeitigen Wohnungsbauförderung sind in den 50er Jahren gelegt worden. Damals waren beinahe alle sozialen Gruppen mit Wohnraum erheblich unterversorgt. Durch die Bildung von Wohneigentum sollte die Bindung an die junge Bonner Demokratie gestärkt werden. Damals wie heute geht es der Wohnungsbauförderung vor allem darum, unabhängig von einer sozialpolitisch definierten Bedürftigkeit Mengeneffekte zu erzielen. Damals wie heute wird aus ideologischen und vermögenspolitischen Gründen die Bildung von Wohneigentum gefördert. Durch die Orientierung der Neubauförderung an der steuerlichen Abzugsfähigkeit werden zudem diejenigen Investoren bevorzugt, die möglichst viel und möglichst dauerhaft Steuern zahlen. Eine Reform ist angesichts der Wohnungsnot dringend erforderlich. Sie muß sich dabei an folgende Orientierungen halten:

1. Wohnungsneubau muß zuallererst für diejenigen erfolgen, die nicht oder nur unzureichend mit Wohnraum versorgt sind. Wohnungspolitik muß also primär sozialpolitischen Zielsetzungen folgen. Sie muß von sachfremden ideologischen und vermögenspolitischen Erwägungen „befreit“ werden. Dies bedeutet in der Praxis der Wohnungspolitik nicht nur eine sozialpolitisch effizientere Bündelung der eingesetzten Steuermittel für den Neubau, sondern insbesondere auch Regelungen zur Sicherung und zum Erhalt bestehender Wohnungen und Mietverhältnisse (etwa durch ein wirksames Verbot der Zweckentfremdung von Wohnraum und die Streichung der steuerlichen Förderung bei der Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen). Eine soziale Wohnungspolitik muß vorrangig dafür Sorge tragen, daß für Wohnungslose und Obdachlose gebaut werden kann. Sie muß aber auch ihr Augenmerk auf die Unterversorgten legen, auf die in zu kleinen Wohnungen Lebenden, auf die jungen Erwachsenen, die das Elternhaus nicht verlassen können. Struktur und Höhe der Förderung sind also auf die Beseitigung von Wohnungsnot zu konzentrieren.

2. Jede Förderung und jede Subvention darf nur dann gegeben werden, wenn dadurch im öffentlichen Interesse liegende Bindungen (etwa Mietpreisbindung, Belegungsrechte, ökologische oder städtebauliche Qualitäten) geschaffen werden. Derzeit wird bei den meisten Subventionsformen überhaupt nicht nach den Inhalten gefragt. Mit Ausnahme des sozialen Wohnungsbaus ist es dem Staat egal, welche Wohnungen mit den 50 Milliarden Mark Subvention gebaut werden; er überläßt (beinahe) alles dem Markt. Dies ist, verglichen mit anderen hochsubventionierten Wirtschaftssektoren, ungewöhnlich; hinzu kommt, daß es sich bei der Wohnungsversorgung um ein Grundbedürfnis handelt und der Staat mit viel Geld die Haushalte, die aus der Wohnungsmarktversorgung herausgefallen sind, anderswo versorgen muß. Deswegen müssen an die Bereitstellung jeder Subvention Bedingungen gestellt werden.

3. Wohnungsbauförderung wird über Zuschüsse und Darlehen gewährt. Dies führt zu einer höheren Verschuldung der öffentlichen Haushalte; die dadurch entstehende Zinsbelastung muß von den SteuerzahlerInnen getragen werden. Daher sollte für alle Wohnungen, die mit öffentlicher Förderung gebaut wurden, auch nach Rückzahlung aller Kredite, eine (objektbezogene) Solidarabgabe gezahlt werden, die durchaus nach „sozialer Verantwortung“ gestaffelt sein kann. Aus den Rückflüssen der Solidarabgabe wird ein Sondervermögen gebildet, aus dem dann langfristig Wohnungsneubau finanziert werden kann. Die dadurch mögliche partielle Abkoppelung des Wohnungsbaus vom Kapitalmarkt führt über die Senkung der Zinsbelastung (die beim Neubau 70 Prozent und mehr der Miete ausmacht) zu einer Begrenzung der Miete. Dieses für einen sozialen Wohnungsbau gewollte Ergebnis korrespondiert mit einem für die Wohnungs- und Bauwirtschaft positiven Effekt, da ein solches Sondervermögen zu einer Verstetigung der Bautätigkeit führt. Wohnungsbau wird damit weniger von konjunkturellen Schwankungen und den Bewegungen des Kapitalmarktes abhängig. Dies könnte die mit der Obdachlosigkeit einhergehende Verelendung von mittlerweile fast einer Million Menschen verhindern helfen. Die jetzige Spaltung der Wohnungsbauförderung, die den unteren Einkommensgruppen bei steigendem Einkommen die Förderung reduziert und den oberen Einkommensgruppen mit steigendem Einkommen stetig mehr gibt, kann so überwunden werden. Dafür sind in der neuen Legislaturperiode folgende zentrale Reformprojekte umzusetzen:

– Die indirekte steuerliche Abschreibung ist auf eine direkte Förderung (Zuschuß) umzustellen. Degressive Abschreibungen und Mehrfachabschreibungen initiieren sogar Wohnungsbau, wo er unter Marktbedingungen niemals entstehen würde. Eine Umstellung ermöglicht, die öffentliche Förderung an die Einhaltung gesellschaftlich gewünschter sozialer, städtebaulicher und ökologischer Bedingungen zu koppeln. Die Höhe der Förderung kann je nach Bindung durchaus variieren. Ein solches System von Zuschüssen, das sich in der absoluten Höhe an dem Durchschnittsbetrag der jetzigen Steuerverzichte orientieren kann, bevorzugt dann nicht mehr die steuerpflichtigen Investoren, sondern stellt alle gleich. Die derzeitigen Investoren werden so nicht aus dem Wohnungsneubau herausgedrängt, und die nicht steuerpflichtigen Investoren können nun auch Mietwohnungsbau betreiben.

– Dringend veränderungsbedürftig ist auch die steuerliche Eigentumsförderung. Es fragt sich, ob es noch dem Sozialstaatsgebot entspricht, wenn angesichts einer Million Menschen ohne Dach über dem Kopf gutverdienende Haushalte beim Bau von Eigenheimen hoch subventioniert werden. Kann es denn angesichts beinahe leerer öffentlicher Kassen finanzpolitisch vertretbar sein, im oberen Marktsegment große Wohnungen zu fördern, damit für das untere Marktsegment eine kleine Wohnung frei wird? Die jetzige Form der Eigentumsförderung verfährt nach dem Prinzip, daß dem viel gegeben wird, der viel hat.

Zweifellos hat der klassische soziale Wohnungsbau durch Fehlbelegung und eine für Außenstehende nicht mehr nachvollziehbare Verzerrung von Sozialmieten verschiedener Baujahrgänge und freifinanzierter Mieten viel an gesellschaftlicher Zustimmung verloren. Ein Ende der 80er Jahre von den Grünen in die Diskussion gebrachtes Reformkonzept weist in die richtige Richtung. Es geht von der Grundüberlegung aus, daß sozialer Wohnungsbau nur mit massiver öffentlicher Förderung möglich ist.

Der Kapitaleinsatz privater Investoren ist relativ gering, hat aber eine zeitlich befristete Mietpreis- und Belegungsbindung zur Folge – ansonsten würde sich für dieses Modell kaum ein Investor finden. Der neue soziale Wohnungsbau wird nun voll aus öffentlichen Mitteln finanziert – dafür werden alle Bindungen dauerhaft erhalten. Das dafür erforderliche Kapital wird über „normal“ verzinste Wohnungsbausparbriefe aufgebracht; die (variable) Zinsdifferenz zwischen der Rendite der Sozialwohnungen (die auch im jetzigen System nicht bei Null liegt) und dem Kapitalmarktzins wird aus Steuermitteln aufgebracht. Die Miete wird am Einkommen orientiert. Dieser soziale Wohnungsbau ist auf Dauer billiger, weil keine Rendite an Investoren abfließt.

Die Reform der gesamten Wohnungsbauförderung muß herausragendes Reformprojekt der neuen Legislaturperiode werden. Die Probleme der 90er Jahre sind nicht mehr die der 50er und 60er Jahre, das muß endlich begriffen werden. Gelingt eine solche Reform allerdings nicht bald, können Wohnungslosigkeit und Wohnungsnot viele Jahre nicht mehr abgebaut werden. Wolfgang Kiehle

Mitarbeiter der WohnBund-Beratung NRW (Bochum) und Leiter des „Arbeitskreises Wohnungspolitik“ im Deutschen Mieterbund, Landesverband Nordrhein-Westfalen