Wer bietet mehr?

Frankreichs Topmanager im Visier der Justiz / Täglich neue Verhöre, Inhaftierungen und Verfahren wegen Bestechung  ■ Aus Paris Dorothea Hahn

„Tous pourris“ – alle verdorben – sagen die Franzosen über ihre Politiker, von denen immer mehr wegen Bestechlichkeit vor den Kadi müssen. Einer hat sich eine hübsche Villa zum Dumpingpreis bauen lassen, ein anderer hat sein Badezimmer zum Nulltarif veredelt, ein Dritter ist gratis durch die Weltgeschichte gejettet, und beinahe alle haben sich ihre Parteien und deren Wahlkämpfe aus trüben Quellen finanzieren lassen.

Von den enttarnten Empfängern – Sozialisten, Liberale und Konservative – erlitten manche steile Karriereknicke. Den Absendern der eigennützigen Geschenke galt lange viel weniger die Aufmerksamkeit. Dabei ist die französische Landschaft gespickt mit Spitzenmanagern, die sich öffentliche Aufträge erkauft haben. Ein paar sitzen heute hinter Gittern – oft in Klopfzeichennähe zu ihren früheren Günstlingen –, andere sind – noch? – auf freiem Fuß und müssen regelmäßig beim Untersuchungsrichter vorsprechen.

Didier Pineau-Valencienne machte den Vorreiter, als er im Mai in belgische Untersuchungshaft geriet. Ein Brüsseler Richter hatte den Generaldirektor der französischen Schneider-Gruppe, eines Elektrokonzerns mit weltweit 91.000 Beschäftigten, zum Gespräch geladen und anschließend wegen des Verdachts auf Urkundenfälschung und betrügerische Buchführung gleich dabehalten.

Die Inhaftierung von „DPV“, Frankreichs „Manager des Jahres 1990“, löste daheim eine beispiellose Solidarisierung aus. Regierungschef Edouard Balladur und Außenminister Alain Juppé protestierten telefonisch bei ihren belgischen Kollegen. Ihr Botschafter machte Knastbesuche, und drei Dutzend französische Topmanager veröffentlichten wütend eine Unterschriftenliste gegen die belgische Justiz.

Die Richter in Frankreichs kleinem Nachbarland zeigten sich unbeeindruckt von dem Spektakel. Zwar ließen sie den 63jährigen gegen eine Kaution von 750.000 Mark laufen, doch ihre Ermittlungen führten sie unbeirrt weiter. Ende September, als „DPV“ sich weigerte, zu einem neuen Termin nach Brüssel zu reisen, erwirkten sie einen internationalen Haftbefehl. Der Chef der Schneider- Gruppe mit Filialen unter anderem in den USA kann Frankeich seither nicht mehr verlassen – überall sonst liefe er Gefahr, an die belgische Justiz ausgeliefert zu werden.

Möglicherweise hat die Unabhängigkeit ihrer belgischen Kollegen den an politische Gängelung gewöhnten französischen Richtern den Rücken gestärkt. Jedenfalls holten auch in Frankreich ein paar junge Richter in diesem Sommer zum großen Schlag gegen die Korruption aus. Nach den Sozialisten, die sie schon seit Jahren verfolgen, nahmen sie die konservativen Politiker ins Visier. Und nach den auf das „Geldzapfen“ spezialisierten Finanzjongleuren der Parteien stürzten sie sich auf das Spitzenmanagement.

Jean-Louis Beffa war Pineau- Valenciennes Vorgänger als „Manager des Jahres“. Im September eröffnete der Untersuchungsrichter ein Verfahren wegen Bestechung gegen den 53jährigen Generaldirektor von Saint-Gobain, einem Mischkonzern mit 21 Milliarden Mark Jahresumsatz und 92.300 Beschäftigten weltweit. Es geht um 1,3 Millionen Mark, die 1988 von einer Tochterfirma der Saint-Gobain (der Pont-à-Mousson) auf ein Schweizer Konto überwiesen wurden, bevor sie bei einem Mitarbeiter des Bürgermeisters von Nantes ankamen, der damals gerade einen gigantischen öffentlichen Auftrag zu vergeben hatte – den die Pont-à-Mousson bekam.

Kurz nach Beffa war Michel Mauer, Generaldirektor des drittgrößten Bauunternehmens Frankreichs, fällig. Er wurde am 29. September in Handschellen in eine Zelle gebracht, wo er seither lebt. Seine Firma Cogedim soll in den 80ern, den Boomjahren der Baubranche, ansehnliche Schmiergelder gezahlt haben, unter anderem 3,6 Millionen Mark, um den Zuschlag für den Schnellzugbahnhof und andere öffentliche Bauten in Massy bei Paris zu bekommen.

Ein anderer Topmanager Frankreichs ist bisher einem eigenen Verfahren entgangen: Jérôme Monod ist Generaldirektor der Lyonnaise des Eaux, Frankreichs zweitgrößten Dienstleistungsunternehmens im öffentlichen Sektor. Unter anderem soll die Lyonnaise des Eaux den Wahlkampf des späteren Bürgermeisters von Grenoble finanziert haben, worauf sie im Gegenzug den Zuschlag für die privatisierte städtische Wasserversorgung bekam. Der Bürgermeister, der bis zu seinem Rücktritt wegen Korruption im Juli auch Kommunikationsminister war, heißt Alain Carignon und sitzt gegenwärtig in Untersuchungshaft – wo er auch bleibt, wie ein Haftprüfungstermin gestern ergab. In einer Nachbarzelle ist Jean-Louis Dutaret untergebracht – der Mann, der für die Zuteilung von Lyonnaise- des-Eaux-Geschenken im Wert von 6 Millionen Mark zuständig gewesen sein soll.

Eine komplette Liste der französischen Manager, die bestochen haben, gibt es nicht. Beinahe täglich kommen neue Namen hinzu. Ständig finden sich neue öffentliche Bauten – eine Brücke, ein Marktplatz, eine Kläranlage –, die irgendeinen Politiker reich gemacht haben. Wo die Untersuchungsrichter hingucken – sie werden fündig. Wer Interesse an öffentlichen Aufträgen hat, so heißt es, kommt an der Überweisung auf ein Konto in der Schweiz, in Luxemburg oder auf den Bahamas einfach nicht vorbei.

In den vergangenen zehn Jahren, so der Eindruck vieler Manager, haben die versteckten Überweisungen noch zugenommen. Eine der Ursachen mag die Dezentralisierung von 1982 sein, die den Kommunen größere Mitspracherechte – auch bei Investitionsentscheidungen – gab, eine andere die Privatisierung der kommunalen Wasserversorgung, was zahlreiche konkurrierende Bewerber in Versuchung führte. Ein weiterer Grund ist der chronische Geldmangel der französischen Parteien, die in der Regel nur wenige Mitglieder haben und erst seit kurzem Geld aus legalen öffentlichen Quellen bekommen.

Jetzt, da erstmals Licht auf den Korruptionssumpf fällt, ertönt allerorten der Wunsch nach „Moralisierung“. Einige Manager, etwa der Chef der Générale des Eaux, Monot, kommen zu der Einsicht: „Ich glaube, es wäre ein Fortschritt, für die Demokratie, wenn Unternehmen und Politik klar getrennt würden.“ Auch in Frankreich brauche man eine Operation „mani pulite“ („saubere Hände“) nach italienischem Vorbild, die eigene Branche habe einen Ehrenkodex nötig. Alle Manager – beschuldigte, inhaftierte und unbescholtene – sind sich plötzlich einig in ihrem Drang nach mehr Aufrichtigkeit im Geschäftsleben. Vielleicht verbergen sich hinter der neuen Moral auch betriebswirtschaftliche Argumente: Frankreichs Unternehmer könnten Millionen sparen, müßten sie ihre Politiker nicht mehr bestechen.